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Die „Straße der dunklen Geschäfte”

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Rom, im Juni

Der Zentralsitz der Kommunistischen Partei Italiens befindet sich in der Via delle Botteghe Oscure — der „Straße der dunklen Geschäfte” — und es genügt in politischem Zusammenhänge diesen pittoresken Namen auszusprechen, um die Fülle der Assoziationen auf jenes palastähnliche Haus zu lenken, das ähnlich wie Quai d’Orsay oder Scotland Yard oder Alexanderplatz nicht mehr Straßen, sondern Institutionen bezeichnet. In der Via delle Botteghe Oscure nun fand Mitte Mai eine Versammlung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei statt, auf der die Ursachen des Mißerfolges der Volksfront am 18. April mit klinischer Gewissenhaftigkeit untersucht wurden, um dann aus dem Befund die wirksamste Therapie abzuleiten. Die Versammlung blieb zunächst in der Öffentlichkeit unbeachtet, aber bald begannen in der sozialistischen Presse Indiskretionen durchzusickern, die erkennen ließen, daß nicht sosehr kommunistische Belange, als die Geschicke der Sozialistischen Partei Itaüens diskutiert worden waren. Togliatti hatte die Notwendigkeit eingesehen, der Sozialistischen Partei, dem P. S. L, den Anschein größerer Aktionsfreiheit zu gewähren, was mit anderen Worten bedeutete, daß die beiden Hauptverfechter des Fusionismus, N e n n i und Basso, vorübergehend in den Hintergrund zu treten hätten.

Die beiden fusionistischen Leader des P.’S. I. fügten sich ohne weiteres den Direktiven aus der Via delle Botteghe Oscure. Basso erklärte, auf dem am 26. Juni in Genua beginnenden Parteikongreß nicht mehr für das Sekretariat kandidieren zu wollen. N e n n i veröffentlichte im „Avanti” einen Artikel, in dem er den sozialdemokratischen Konkurrenten von der „Unitä Socialista” gegenüber zum erstenmal den sarkastischen Ton auf gab und den Saragatianern Ernsthaftigkeit in den Zielen und eine spezifisch reformistische Funktion zubilligte, die genau so ihre Berechtigung habe wie die maximalistische der Nenni- Partei. Keine Fusion also, weder auf dem rechten noch auf dem linken Flügel. Platz für beide hat Italien. Es ist dies die Position aus dem Jahre 1921, die Nenni verteidigt, indem er sich die Rolle Serratis zulegt. Aber Simonini, der politische Sekretär des P. S. L. L, zeigte wenig Lust, das Gesellschaftsspiel Nennis mitzumachen, und deckte Sarragat in der „Umanitä” die Richtlinien der „Straße der dunklen Geschäfte” bloß.

Nenni bezichtigte die Kommunistische Partei des Imperialismus zum Nachteil ihrer sozialistischen Frontkameraden. Es war dies ein geschickter Versuch, den tiefen, durch den Wahlausgang noch verschärften Gegensatz zwischen Sozialisten und Kommunisten auf bloße Divergenzen bei der Aufteilung der Mandate zurückzuführen. Wie habe man sich aber in der Zukunft zu verhalten? Die Schlußfolgerung Nennis ist überraschend: genau wie bisher. Er gleicht einem Familienvater, der den Seinen die traurige Mitteilung macht, daß der Kompagnon das gesamte Inkasso eingesteckt habe und dann fortfährt: „Ich weiß, daß ihr zufrieden seid und habt vollkommen recht damit. In Zukunft werden wir mit unserem treuen, geliebten Partner halb und halb machen wie bisher.” In der „Straße der dunklen Geschäfte” fing man den zugeworfenen Ball nicht weniger geschickt auf und veranlaßte einige kommunistische Abgeordnete, auf ihre Mandate zugunsten von zuverlässigen Sozialisten zu verzichten — „Zwangsanleihe” nannten die Christlichdemokraten dies und legten im Parlament das Veto ein.

Aber nicht Nenni soll auf dem Genueser Kongreß seiner Partei den letzten Versuch unternehmen, die Einheit der Partei zu retten und zugleich die fusionistische Richtung zu wahren. Zur Beruhigung der „Basis” bedarf es eines Mannes, der weder durch fusionistische noch durch autonomistische Tendenzen kompromittiert ist. Die Wahl der Via delle Botteghe Oscure fiel auf P e r t i n i. Pertini gehört zur Elite des kämpferischen italienischen Sozialismus und viele sehen in ihm bereits den neuen Parteisekretär, wohl nicht zu Unrecht. Seine Tagesordnung „Per la ris- cossa del socialismo”, „Für die Aufrichtung des SoziaUsmus”, ist die Hoffnung des Parteisekretariats und des kommunistischen Zentralkomitees, sie soll die Plattform bilden, auf der die mehr oder minder laue Zustimmung der Majorität zu erreichen ist. Pertinis Gruppe hat die Aufgabe zugewiesen bekommen, stolze, leidenschaftliche Proteste zu erheben, aber dann im Grunde alles zu lassen wie es ist.

Pertini sieht sich vor die gleiche Frage gestellt wie Nenni: Wie beruhigt man die Basis, ohne irgendwelche grundlegende Änderungen herbeizuführen? Er hat das Problem gelöst, indem er Nenni und dessen Politik kritisierte, natürlich nicht namentlich, sondern durch Angriffe, besonders auf die berüchtigten „slogans” des romagnolischen Leaders, wie etwa: „Für hunderttausend Bourgeois, die uns verlassen, bekommen wir eine Million Arbeiter!” Welche Politik wird also vor- gerhlagen? Volksfront mehr denn je!

Die Entschließung bezeichnet sich seltsam-r- weise als autonomistisch, aber es handelt sichum eine rein formelle Autonomie. Auch Nenni und Basso sprachen oft von ihr. In einem einzigen Punkt scheint sich die Tagesordnung Pertini von den Richtlinien der Kominform zu entfernen: dort, wo es um den Marshall-Plan geht. Nenni lehnte ihn ab, auch wenn er von einer „konstruktiven Kritik” redete. Pertini nimmt ihn als vollendete Tatsache hin, die zu bekämpfen nun keinen Sinn mehr habe. Jetzt gehe es darum, die Interessen der Arbeiterschaft zu schützen, „damit sich die Hilfe nicht für uns in einen dauernden Zustand der Unterordnung und politischer und militärischer Unterwerfung verwandle”.

Scheinbar hat diese Politik Pertinis auch bereits Erfolge zu verzeichnen gehabt. Die Entschließungen der örtlichen Sektionen der sozialistischen Mehrheitspartei ergaben aus dem vorläufig vorliegenden Ergebnis von sechsunddreißig Provinzen 310.000 Stimmen für die Resolution Pertinis gegen nur 103.077 Stimmen für die Richtung Nenni- Morandi. Das.Lossagen von den Kommunisten und damit den Weg Saragats unterstützten 64.000 Stimmen innerhalb der bisherigen Partei Nennis. Dieses Verhältnis der einzelnen Fraktionen zeigt deutlich, daß, obwohl die Fusionsbestrebungen der Kommunisten in naher Zukunft nicht zu einem Erfolg führen werden, die Masse der Sozialisten dennoch hinter der Volksfrontpolitik stellt.

Um die einschläfernde Wirkung der Entschließung „Per la riscossa” zu verstärken, mußte man sie trotz ihrem Inhalte in die Mitte der Strömungen rücken, das heißt ihr an die linke Seite eine noch extremere stellen, deren Zweck kein anderer ist als die Kontrastwirkung. Es entstand so die Tagesordnung Cacciatore-Morandi- Tolloj, die „nach Einsicht in die Entschließung ,Per la riscossa’ ihre offene Entrüstung ausspricht und die gegen die Parteileitung erhabene Kritik auf das tiefste bedauert. Als Zeichen des Protestes hat die Gruppe Cacciatore selbst eine Entschließung herausgegeben, in der dieVolksfront- politik vorbehaltlos bejaht w i r d”. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die linke Tagesordnung die geringsten Erfolgsaussichten hat und der Apparat Bassos und Nennis in der Entschließung Pertini, der sogenannten Mitte, den Triumph davontragen wird. Aber für wen immer sich die Majorität der „Basis” entscheiden sollte, die Via delle Botteghe Oscure kann mit dem Ergebnis zufrieden sein. Der eigentliche Feind ist R o m i t a, der ehemalige Innenminister, der Mann, der ein Leben lang dem Sozialismus Kopf und Herz geliehen hat und am 18. April sein Werk zusammenbrechen sah. Auch er will mit der Tagesordnung „Per il Socialismo” ein letztes Rettungswerkversuchen, jedoch mit der völligen Loslösung der Sozialistischen Partei von der Kommunistischen. Die Neoautonomisten Romitas glauben, daß die Zeit gekommen ist, wo eine absolute Klärung der Lage notwendig sei. Keine Zweideutigkeiten, keine Formeln mehr, wie „Zwei Parteien, eine Politik”. Auf dem Kongreß müßten sich die Sozialisten der „Basis” klar darüber aussprechen dürfen, ob sie den Fusionismus wünschen oder die Autonomie.

Soviel Klarheit ist jedoch derzeit in der „Straße der dunklen Geschäfte” nidit erwünscht. Romita und die Seinen wollten die Schlacht haben und sie werden sie bekommen. Dies wird ihr letzter Sieg sein,, und nachher werden sie sich nur noch fragen dürfen, ob sie weiterhin als Bußfertige an der Seite ihrer fusionistischen Kameraden verbleiben wollen oder zu dem „Verräter des Sozialismus” Saragat stoßen.

Das Problem der Nenni-Partei wird dadurch freilich nidit aus ‘der Welt geschafft. Vermehrung durch Teilung ist ein biologisches Prinzip, das für das Parteileben keine Gültigkeit hat. Die ideellen Divergenzen zwischen Sozialisten und Kommunisten werden weiter bestehenbleiben, und Genua bedeutet nicht das Ende der Schwierigkeiten, sondern nur eine Etappe auf dem Weg.

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