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Eine Mauer des Schweigens

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Die Marktgemeinde Rechnitz (Rohonc) mit ihren knapp 4.000 Einwohnern liegt am Fuße des Geschriebensteins an der österreichisch-ungarischen Staatsgrenze.

Die Geschichte des Ortes wurde jahrhundertelang durch das Adelsgeschlecht der Familie Batthyäny bestimmt. In dieser Zeit war Rechnitz weithin durch sein schönes Schloß bekannt. Zum heutigen Leidwesen der Gemeinde wurde das Schloß zu Ende des Zweiten Weltkrieges, in der Karwoche 1945, ein Raub der Flammen.

Seit 1944 war das Schloß Rechnitz Sitz der Leitung für den Abschnitt VI der sogenannten Reichsschutz-Stellung (Südostwall). Diese Verteidigungsbauten sollten das Deutsche Reich gegen die Rote Armee schützen. Im Abschnitt VI, der die Kreise Oberwart (Felsöör) und Fürstenfeld umfaßte, waren auf Oberwarter Kreisgebiet ein Panzergraben, diverse Laufgräben, Bunker und Unterstände von den Hängen des Geschriebensteins bis nach Deutsch-Schützen (Nemetlövö) einschließlich der Gemeinden Hölln und St. Kath-rein zu errichten. Für die Schanzarbeiten wurden Kriegsgefangene, Ostarbeiter, Dienstverpflichtete aus verschiedenen Reichsgauen (Steiermark, Wien, Bayern), den betroffenen Ortschaften sowie der näheren Umgebung herangezogen.

Jüdische Zwangsarbeiter

Die Gesamtorganisation wurde von der Organisation Todt geleitet, wobei vor Ort der Stellungsbau der Partei übertragen wurde - für den Kreis Oberwart war Kreisleiter Eduard Nicka zuständig. Für die Beschaffung der Arbeitskräfte mußte der damalige Bürgermeister von Oberwart Ludwig Groll sorgen.

Nach der Entmachtung des Reichsverwesers Admiral Miklos Horthy begann mit der Machtergreifung der Pfeilkreuzler unter Ministerpräsident Ferenc Szälasi die Deportation der Juden ins Deutsche Reich. So wurden ungarische Juden einerseits in Konzentrationslager andererseits zu Schanzarbeiten deportiert. Da während des Winters 1944/45 die Zahl der Arbeiter unter anderem auch im Kreis Oberwart ra-

Judenerschießen gingen

vor 50 Jahren, in der Nacht auf Palmsonntag 1945,

Teilnehmer eines Festes auf Schloß Rechnitz. Heute sucht man die Leichen.

pide abnahm (von zirka 10.000 auf rund 3.000), wurden durch die Kreisleitung ab Jänner 1945 vermehrt jüdisch-ungarische Zwangsarbeiter angefordert. Diese wurden aus den grenznahen Lagern in Szombathely (Steinamanger) oder Köszeg (Güns) herbeigeschafft. Im Fall der bei Rechnitz Umgekommenen handelte es sich um einen Zugtransport aus einem der drei Lager in Köszeg. Als diese zirka 1.000 ungarischen Juden per Zug von Köszeg über Szombathely in Burg, einem Unterabschnitt des Abschnitts VI, ankamen, wurden rund 200 als zu schwach beziehungsweise krank und daher arbeitsunfähig zurückgeschickt. Am Bahnhof bei Rechnitz wurden diese gegen 18 Uhr ausgeladen. Gleichzeitig waren zirka 500 andere jüdisch-ungarische Zwangsarbeiter im Schloß und in dem zum Schloß gehörigen Meierhof untergebracht, die im Abschnitt Rechnitz schanzen mußten.

So lagerten am Abend des 24. März 1945 diese etwa 200 Juden bis zum Befehl der Erschießung gegen zirka 23 Uhr am Rechnitzer Bahnhof. Der Befehlsweg ist nicht nachvollziehbar. In der selben Nacht, also vom 24. auf den 25. März 1945, fand im Batthyäny-Schloß ein Gefolgschaftsfest statt, von dem aus sich die Judenmörder in Richtung Tatort, gelegen zwischen Ortsende und Bahnhof, in Bewegung setzten. Die Täter,

die nie vollends zur Rechenschaft gezogen werden konnten, setzten sich hauptsächlich aus der Polit- und NS-Prominenz der näheren Umgebung sowie SS- oder SA-Männern zusammen. Nach der Erschießung, die bis zirka drei Uhr früh dauerte, kehrten fast alle Täter auf das Fest zurück. In der darauffolgenden Nacht fand eine zweite Erschießung statt, bei er jene 18 Juden ermordet wurden, welche die Gräber des ersten Massakers zuschaufeln hatten müssen. Diese waren aus den Zwangsarbeitern, die im Ort untergebracht waren, ausgewählt worden. Im Herbst 1945 wurden diese Mas-

saker öffentlich bekannt und die Gendarmerie begann mit ihren Nachforschungen.

Die Vernehmungen, Lokalaugenscheine und Graböffnungen führten im Juni/Juli 1948 zu einem Prozeß im Landesgericht Wien. Nachdem es aber bereits 1946 zu einigen Fememorden gekommen war, schwand während des Prozeßverlaufes das Erinnerungsvermögen vieler Zeugen. So wurde unter anderen am 25. März 1946 der Waffenmeister Karl Muhr einen Tag vor seiner Aussage im Wald erschossen und sein Haus in Brand gesteckt. Er war Waffenmeister im Schloß und hätte genau angeben können, an wen er Waffen und Munition in jener Nacht ausgegeben hatte. Obwohl die Bevölkerung eindeutige Verdächtigungen aussprach, konnte der Mörder nie gefunden werden. Die polizeilichen Untersuchungen führten zu dem Ergebnis, daß die Ermordung in keinerlei Zusammenhang mit der angekündigten Aussage stand, sondern aus einer angeblichen Privatfehde aus dem Krieg herrührte.

Hinweise zurückgehalten

Trotzdem schwächten viele Zeugen nach diesem Mord ihre Aussagen stark ab oder zogen diese vollends zurück. Kaum jemand wagte mehr konkrete Anschuldigungen auszusprechen. Daher fiel auch das Strafausmaß verhältnismäßig gering aus, denn niemand konnte der aktiven Ermordung an den ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern überführt werden. Aus Rechnitz wurde der gutsherrschaftliche Kutscher der Mitwisserschaft verdächtigt, aber im Zuge der Hauptverhandlung freigesprochen.

So kann dem Ort nur der Vorwurf gemacht werden, Hinweise zur Lage des Massengrabes zurückgehalten zu haben. Dieser Vorwurf ist insofern an eine sehr geringe Anzahl von Personen zu richten, da es unwahrscheinlich ist, daß sehr viele aus der

Ortsbevölkerung die -genaue Lage kannten. Einerseits ist es kaum glaubhaft, daß man damals die Schüsse gehört haben muß, da die Front schon so nahe war, daß ständig Gefechtslärm zu hören war. Die Stelle der Erschießung war mindestens zwei Kilometer außerhalb des Ortes, sodaß kaum feststellbar war, aus welcher Richtung der Lärm kam, weiters ist es sehr unwahrscheinlich, daß eventuelle Schreie bis in bewohntes Gebiet zu hören waren. Die zweite Erschießungsstelle nahe des Schlachthauses konnte 1970 durch Hinweise aus der Bevölkerung gefunden und die Toten exhumiert werden. Sie wurden auf dem jüdischen Friedhof in Graz beigesetzt.

Wo liegen die Toten?

Den Tatort des ersten Massakers können einzig jene Personen, die in den nachfolgenden Tagen zum Bahnhof gingen, gesehen haben. Aber auch Hinweise von diesen Leuten selbst beziehungsweise von deren Nachfahren, wie sie in den vergangenen zwei Jahren gemacht wurden, sind nach heute 50 Jahren nicht mehr genau genug. Selbst wenn irgend jemand die Stelle genau kannte, so hat sich die Gegend durch die Parzellierung, die Bewirtschaftung und auch Ausdehnung des Ortes so verändert, daß eine genaue Angabe des Grabes unmöglich ist. Auch scheint es verständlich, daß nach den Fememorden eine Mauer des Schweigens errichtet wurde. Jedoch wurden in der heutigen Zeit im Zuge etlicher Gespräche mit der Bevölkerung Angaben wie „... damals sprach man immer von ...” gemacht. Aufgrund derartiger Angaben in Verbindung mit der Durchsicht von Flugbildern und deren Auswertung sowie Studium des Gerichtsaktes wird zur Zeit mit Hilfe eines hochtechnischen Gerätes österreichischer Erfindung und dessen Computerberechnungen das Massengrab durch den Verein Schalom unter der Leitung von .... Pagler gesucht.

Wolf gang Vosko und Harald Strassl siiui zwei junge Zeitgeschichtler. Sie haben sich zwei Jahre lang intensiv in Archiven und vor Ort mit dem Massenverbrechen von Rechnitz beschäftigt Das Gesamtergebnis, ein Teil liegt mit diesem Beitrag exklusiv vor, werden sie in einer Diplomarbeit, betreut von Univ. Prof. Dr. Gerhard Jag-schitz, zusammenfassen

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