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Eine Partei wählt die Krise

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559 der anwesenden 706 Delegierten wählten am 7. Juli auf der Landesver-jammlung der CSU in München den ehemaligen Bundesverteidigungsmini-ter Franz Joseph Strauß für weitere zwei Jahre zu ihrem Vorsitzenden. Damit scheint eine Entwicklung abgeschlossen, die unmittelbar nach dem pektakulären Sturz des Ministers begann und es eine Zeitlang als wahrscheinlich erscheinen ließ, daß1 Strauß auch seines Postens als Landesvorsitzender der CSU verlustig gehen würde. In einer Stimmung, die beklemmend an die aggressive Fröhlichkeit Münchener Bierkeller in vorgerückter Stunde erinnerte, schritten die Delegierten mangels einer Alternative zur Wahl des in seinem Ansehen schwer angeschlagenen Mannes, der hierbei demagogisch außerordentlich geschickt, aber mit wenig politischem Fingerspitzengefühl über seine Gegner triumphierte. Damit dürfte gleichzeitig entschieden sein, daß diese Partei vor einer ihrer schwersten Krisen steht.

Diese Krise wird nicht sosehr von Bayern ausgehen. Mit ihrem Stimmenanteil von 52 Prozent im bayrischen Landtag, den ihr auch in Zukunft niemand streitig machen wird, kann es sich die CSU leisten, den seit dem Wahlsieg vom November vergangenen Jahres entwickelten Regierungsstil beizubehalten. Seit die wenig überzeugende Persönlichkeit des ehemaligen bayrischen Innenministers Alfons Goppel das Amt des Ministerpräsidenten übernommen hat, schlittert die Regierung insbesondere in der Kulturpolitik von einer Panne zur anderen, die sie mit Hilfe der Geschäftsordnung und ihrer Mehrheit im Landtag in demokratisch kaum bemäntelter Manier „niederbügelt“. Dieser Stil des Auftrumpfens, des Nicht-nötig-Habens, es besser zu machen, kennzeichnet die CSU, seit Franz Joseph Strauß ihr Vorsitzender ist. Dieser Stil war es, der diese Landesversammlung zu einem der unerfreulichsten politischen Ereignisse der letzten Zeit in Westdeutschland werden ließ. Die Regierung und nicht nur Franz Joseph Strauß hat es mit diesem Kurs fertiggebracht, sich mit hohen katholischen Würdenträgern in Bayern anzulegen, die bisher ihre besten Befürworter waren. Während etwa die katholische Kirche in Bayern eine Reform der Landschulen befürwortet, beharrt die CSU auf dem alten Typ der einklassigen Dorfschule, dessen Unzulänglichkeit zwar kaum jemand bezweifelt, die ihr aber als bequeme, alte Einrichtung verteidigens-wert erscheint. Das war allerdings nicht der Grund, weshalb Franz Joseph Strauß in seiner Rede vor den Delegierten in einer Weise über die katholische Kirche loszog, wie es wohl kaum seit Ludwig Thomas Bauernbundzeiten in einer derartigen Versammlung in Bayern geschehen ist.

Die Kirche distanziert sich

Die Verstimmung von Strauß gegen die katholische Kirche ist sehr persönlicher Art. Seit der Chefredakteur der Münchener Kirchenzeitung, Prälat Lorenz Freiberger, im vergangenen Winter in einem offenen Brief Strauß nahegelegt hatte, sich für einige Zeit aus der Politik zurückzuziehen, hat es kaum eine Kirchenzeitung in Bayern gegeben, die ihm diesen Rat nicht erteilt hätte. Man weiß auch, daß Strauß mit seinen Versuchen, sich mit dem Münchener Erzbischof Kardinal Döpfner auszusöhnen, gescheitert ist. Die massivste Wortmeldung von kirchlicher Seite stellte nun ein zwei Tage vor der Landesversammlung veröffentlichter Brief des Vorsitzenden der Katholischen Aktion in Bayern, Professor Kuen, aus Erlangen dar, in dem dieser vor der Wiederwahl von Strauß mit dem Argument warnte, diese müsse zu einer Entfremdung zwischen dem katholischen Bevölkerungsteil und der christlichen Partei führen. Strauß wußte mit aiesem Brief die Delegierten in eine Stimmung zu versetzen, daß die Worte des Vertreters der Katholischen Aktion, des CSU-Oberbürgermeisters von Eichstädt, Hutter, in wüsten Beschimpfungen, wie „Du Lump“. ..Du Hund“, „Du scheinheiliger Pharisäer, dir zahlen wir es noch heim“ usw. untergingen. Der Brief der Katholischen Aktion hat sich letzten Endes sogar für Strauß ausgewirkt, ebenso, wie die gegen ihn gehaltenen, teilweise in Tumulten untergehenden Reden der Abgeordneten Frhr. von Guttenberg und Frhr. von Franckenstein.

Diese gar nicht so geringe Opposition hat sich ihre Niederlage allerdings weitgehend selbst zuzuschreiben. Nichts war mehr von der Gefährlichkeit des katholisch-konservativen „Petra“-Kreises zu spüren, der noch vor einem Jahr solches Aufsehen erregt hatte. Das Hauptübel war, daß es dieser von hohen katholischen Würdenträgern unterstützten Gruppe nicht gelang, einen halbwegs zügigen Gegenkandidaten auf die Beine zu bringen. Der eine Zeitlang hierfür ausersehene Ministerpräsident Alfons Goppel hat sich als unzulänglich für eine solche Rolle erwiesen. Die von ihm gefundene Versöhnungsformel „Wir wollen es unserem Freund Strauß abnehmen, daß er (in der „Spiegel“-Affäre) nicht gelogen hat“, erinnerte an die Bemühungen eines Vereinsvorsitzenden, die Wogen zu glätten. Ginge es nur um den Streit zwischen Strauß und einer Opposition, die CSU müßte deswegen in keine Krise geraten. Auch der ausgebrochene Konflikt mit der katholischen Kirche ist für Strauß ungefährlicher, als es aussieht. Im Ernst ist die katholische Kirche in Bayern, die jahrelang mit der CSU engste Fühlung hielt, gar nicht in der Lage, der CSLI Paroli zu bieten. Dazu ist die Verbindung zwischen Klerus und Partei auf dem Land noch viel zu eng. Die Krise ist von einer ganz anderen Seite zu erwarten.

Bonn: Aktien der CSU fallen

1949, bei der Gründung der Bundesrepublik hat sich die CSU in Bonn einen unverhältnismäßig großen Einfluß verschafft. Das war nicht das Werk von Strauß, der damals noch kaum eine Rolle spielte, sondern das Ergebnis einer zielbewußten, von dem ehemaligen Ministerpräsidenten Erhard und von dem verstorbenen Hanns Seidel betriebenen Politik, die darauf beruhte, daß sich die CSU zwar ihre Selbständigkeit als eigene Partei bewahrte, gleichzeitig aber der sicherste Bundesgenosse der Bundesregierung und insbesondere des Bundeskanzlers Dr. Adenauer war. Diese Politik ist von Strauß restlos verspielt worden, der seit den Koalitionsverhandlungen vom Herbst 1961 immer wieder versucht, die CSU als eigene Partei neben der CDU ins Spiel zu bringen. Er hat damit nur Mißtrauen geerntet, das durch seine vielen unerfreulichen Affären und durch sein Auftreten seither nicht geringer geworden ist. Seit seinem Sturz ist der Einfluß Bayerns in Bonn auf ein vorher nie gekanntes Maß herabgesunken.

Die Vorgänge auf der Delegiertenversammlung haben die dort vorherrschende ziemlich geringschätzige Meinung über die CSU nur noch bestärkt. Gerade hier zeigt sich, daß die vielgerühmte Intelligenz des ehemaligen Bundesverteidigungsministers nicht wirklich staatsmännisch ist. Er hat in der CSU, seit er ihr Vorsitzender ist, nie etwas anderes gesehen, als ein persönliches Machtinstrument, das er allein für seine Zwecke einzusetzen entschlossen ist. Seine Rede vor der Delegiertenversammlung zeigt, daß er diesen Kardinalfehler seiner Politik noch immer nicht begriffen hat. Auch jetzt erteilte er dem künftigen Bundeskanzler Ludwig Erhard Lehren über die von ihm einzuschlagende Politik und betonte die freie Partnerschaft der bayrischen CSU zur CDU. In dieser Politik liegt der sachliche Gegensatz zu Guttenberg, der für Strauß nur ein personeller ist. Guttenberg und eine ganze Reihe von CSU-Bundestagsabgeordneten wissen, daß Bonn nicht erobert werden kann. Ihre Ansicht wird an Gewicht zunehmen, je erfolgloser sich Strauß in Bonn behaupten und durchsetzen kann.

Der Weg in die Krise

Strauß mußte um den Posten eines Landesvorsitzenden kämpfen, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, endgültig aus der Reihe der ernstgenommenen Politiker auszuscheiden. Auf ausgedehnten Besuchsreisen und mit Hilfe einer auf ihn eingeschworenen Landesleitung gelang es ihm, die gegen ihn herrschende Stimmung zu besiegen. Dieser Sieg wird aber der Partei teuer zu stehen kommen, für die heute Strauß in erster Linie eine Belastung ist. Seit dem Schwinden des bayrischen Einflusses in Bonn sind dort zentrali-stische Einflüsse stärker geworden, die heute in erster Linie von der nord-rhein-westfälischen CDU bekämpft werden. Die CSU ist auch als föderalistische Partei in Gefahr, überrundet zu werden. Eine CSU aber, die von anderen Landesverbänden der CDU an Einfluß und Ansehen überrundet wird, stellt sich selbst in Frage. Das stärkste Argument für ihr Eigenleben war ja bisher der große Einfluß, den sie in Bonn hatte. Seit dieser verschwunden ist, und zwar durch Schuld ihres Vorsitzenden verschwunden ist, ist vorauszusehen, daß es darüber zu schweren internen Auseinandersetzungen kommen wird, die durch die Wiederwahl von Strauß nicht abgebogen werden können. Bei der im bayrischen politischen Leben vorherrschenden Vorliebe für interne Machtkämpfe muß dies zu schweren Auseinandersetzungen führen, die Strauß nur dann für sich entscheiden könnte, wenn er, was unmöglich ist, seine alte Stellung in Bonn wieder erreichen würde. Die CSU stand daher am 7. Juli an einem Scheideweg. Sie hat mit Strauß die Krise gewählt.

Strauß ins Kabinett Erhard?

Hätte sich die CSU am 7. Juli entschlossen, einen anderen Politiker an die Spitze zu wählen, so wäre es, bei einigem Geschick — mit Strauß im Hintergrund — nicht schwer gewesen, die alte, auf enger Zusammenarbeit mit Bonn beruhende Stellung wieder zu erreichen. Mit Strauß an der Spitze ist dies selbst dann unmöglich, wenn sich Erhard entschließen sollte, Strauß im Herbst in sein Kabinett zu nehmen. Für ein entscheidendes Ministerium ist Strauß nicht mehr gut. Sein nackter

Machtwille und seine Uneinsichtigkeit erschrecken selbst Leute, die autoritären Strömungen sonst nicht ablehnend gegenüberstehen.

Von da her müssen aber Strauß und die von ihm geleitete Landesleitung mit der Zeit in Schwierigkeiten geraten, zumal Goppel nicht der Mann ist, durch Leistungen seines Kabinetts der CSU neues Ansehen zu verschaffen. Sein Regierungsstil entspricht zu offensichtlich dem, was man von Strauß befürchtet.

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