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Die „zweitbeste Lösung“

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Die Veröffentlichung der Sonthofener Änderungen ihres Parteivorsitzenden hatin der CSU eine Reihe unterschiedlicher,wenn auch kennzeichnender Reaktionen ausgelöst. Als erstes wurde auf allen Parteiebenen ein gehöriger Schock verzeichnet — ein Schock nicht so sehr darüber, was Strauß angeblich gesagt haben soll, sondern mehr über die Tatsache, daß einer der Eigenen offenbar nicht dichtgehalten hatte. Im nachhinein sickerte dann allerdings durch, das angesichts der Verteilungstechnik des Schriftstücks an die Mitglieder der CSU-Landesgruppe — Einlegen in jedermann zugängliche Abholfächer — hiefür weder ein

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Die Veröffentlichung der Sonthofener Änderungen ihres Parteivorsitzenden hatin der CSU eine Reihe unterschiedlicher,wenn auch kennzeichnender Reaktionen ausgelöst. Als erstes wurde auf allen Parteiebenen ein gehöriger Schock verzeichnet — ein Schock nicht so sehr darüber, was Strauß angeblich gesagt haben soll, sondern mehr über die Tatsache, daß einer der Eigenen offenbar nicht dichtgehalten hatte. Im nachhinein sickerte dann allerdings durch, das angesichts der Verteilungstechnik des Schriftstücks an die Mitglieder der CSU-Landesgruppe — Einlegen in jedermann zugängliche Abholfächer — hiefür weder ein

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Die zweite Phase bildete ein Bündel von Kommentaren und Gegenaktionen, bei denen die organisatorische Zweispurigkeit von Parteizentrale in der Münchner Lazarettstraße und Landesgruppe in Bonn einige Probleme aufwarf. Von Manchen Leuten in der Partei wird es als Panne bezeichnet, daß nicht sofort nach der Spiegel-Version ein offizieller Wortlaut verbreitet wurde. Angeblich scheiterte ein solcher Versuch an mangelnder Dokumentation. Strauß selbst hatte in der Folge jede sich bietende Gelegenheit nach Kräften genutzt, um seine Äußerungen in den richtigen Kontext zu stellen. CSU-Generalsekretär Tandler wertete die „Aktion Sonthofen“ als den „Teil einer langfristigen Aktion mit dem Ziel, Franz Josef Strauß als einen der kritischesten Gegner sozialistischer Politik mit Hilfe politischer und persönlicher Diffamierung auszuschalten“. Die „Aktion Passau“ mit der Unterschiebung eines Angriffs auf den Staat und die mit dem Fall Lorenz verknüpfte „perverse Unterstellung einer Art von Kooperation mit Anarchisten und Banditen“ sind nach seiner Meinung frühere Etappen dieser „Hetzkampagne gegen Strauß“ gewesen. Gegen Personen und Institutionen, die sich daran mit verfälschender Wiedergabe von echten und angeblichen Äußerungen des CSU-Vorsitzenden beteiligten, kündigte er rechtliche Schritte an. Zu Wahlkampfanzeigen von Ministerpräsident Kühn in Nordrhein-Westfalen wurden bereits Gegendarstel-luhgen verlangt; Heinemann erhielt einen Mahnbrief vom Strauß-Anwalt Ossmann und gegen Brandt wurde eine einstweilige Verfügung erwirkt. Daneben lief eine große So-lidarisierungsaktion an, die nicht nur bei der CSU, sondern auch bei der CDU-Prominenz — wenn auch aus unterschiedlichen Motiven — Unterstützung fand. Als Gegenoffensive wurden Geheimreden, wie etwa die des „Frankfurter Kreises“ der SPD, hervorgeholt, und nach Ostern stand das Rückbesinnen an Bestechungsskandale anläßlich des Mißtrauensvotums gegen Brandt mit neuen Enthüllungen auf dem Programm. Demoskopische Befragungen dürften dabei eine Rolle spielen und man hofft nach wie vor, daß Strauß beim Wähler „ankomme“.

Die dritte Phase der Reaktionen innerhalb der CSU läßt sich mit den drei Buchstaben „Wut“ zusammenfassen: Wut vor allem über die als erheblich unter der Gürtellinie empfundenen Veröffentlichungen im „Stern“, die ebenfalls als Teil einer seit langem vorbereiteten Aktion angesehen werden. Wut über die auch anderswo grassierende, undifferenzierte Miesmacherei und Wut über das Abdrehen mancher CDU-Politiker. Daß sich daraus ein großer Solidarisierungseffekt in den eigenen Reihen ergab, versteht sich bei der CSU am Rande. Sie formiert sich geschlossener denn je hinter ihrem Vorsitzenden.

Einig sind sich die meisten innerhalb der bayrischen Union aber auch in der Uberzeugung, daß der Aufwärtstrend von Strauß zum Kanzlerkandidaten vorübergehend einen Knick erhalten hat. Seine Äußerungen in letzter Zeit lassen ebenfalls den Schluß zu, daß er vorerst nicht mit einer Kanzlerschaft rechnet. Für ihn ist stärker als bei den anderen Kandidaten ein zweites Kriterium wichtig: von einer ausreichenden Mehrheit gerufen zu werden. Diese „Berufung“, die noch vor Wochen möglich schien, scheint jetzt in die Ferne gerückt zu sein. In realistischer Einschätzung der neuen Sachlage beginnt sich der CSU-Vorsitzende nun offensichtlich um die zweitbeste Lösung der Kanzlerfrage zu bemühen. In CSU-Kreisen scheint es als sicher zu gelten, daß dafür nur das hanse-bayrische Tandem Carstens-Strauß in Betracht komme. Von allen noch möglichen Kombinationen böte diese ihrer Meinung nach den wahltechnisch besten Kontrapunkt zu Schmidt und zudem wäre hier der Einfluß von Strauß am besten gesichert. Auf jeden Fall erhoffen sich manche durch das Betreiben dieser Kandidatur ein Maximum an Zugeständnissen bei einem eventuellen Einlenken in die drittbeste Lösung: Kohl und Strauß.

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