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Flüchtlinge sind meist weiblich

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Kriegspolitik wird von Männern gemacht. Den Frauen bringt das neben Angst, Terror auch Flucht, Elend, Hunger, Vergewaltigung und den Tod.

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Kriegspolitik wird von Männern gemacht. Den Frauen bringt das neben Angst, Terror auch Flucht, Elend, Hunger, Vergewaltigung und den Tod.

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Frauen werden immer mehr zu Opfern im Krieg: Für den Ausbruch der Konflikte sind sie kaum verantwortlich, aber bei Vergeltungsschlägen der Gegenseite, bei Flucht und Vertreibung sind sie die Hauptbetroffenen. Kaum das Allernötigste kann mitgenommen werden. Familien werden auseinandergerissen. Frauen müssen für Kinder, Alte, Kranke und Verletzte meist allein sorgen, für Wasser und Nahrung oft um ihr Leben laufen. Vergewaltigung und sexueller Mißbrauch werden kaum strafrechtlich geahndet.

Seien es die Rilder der Flüchtlingsströme aus der Krajina, oder aus der Ranja Luka verjagten Kroaten und Moslems, seien es Kurden beim steilen Aufstieg im Schnee im Grenzgebiet zwischen der Türkei, dem Iran und dem Irak, sei es in Berg-Kara-bach, in Tadschikistan oder in den überfüllten Flüchtlingslagern Ruandas - es sind fast nur Frauengesichter zu sehen auf der Flucht vor Krieg und Bürgerkrieg.

Mehr als 80 Prozent der Flüchtlinge der Welt sind Frauen und Kinder - und ihre Zahl vervielfacht sich. Waren es 1981 noch acht Millionen, so sind inzwischen bereits mehr als 23 Millionen geflüchtet. Nach UNO-Angaben gibt es weltweit mehr als 26 Millionen Menschen, die innerhalb ihres Heimatlandes entwurzelt sind, davon sind vier Fünftel Frauen und Kinder.

Zum Ziel von Bombenangriffen, Granathagel und Heckenschützen werden immer mehr Zivilisten, und damit in überwiegender Mehrzahl Frauen. Lag der Anteil der Zivilbevölkerung an den Todesopfern im Ersten Weltkrieg noch bei fünf Prozent, so war er im Zweiten Weltkrieg bereits bei 50 Prozent. Mitte der neunziger Jahre sind etwa 80 Prozent der Opfer bewaffneter Konflikte Zivilisten, in Ex-Jugoslawien gar bis zu 90.

Ob im 12. Jahrhundert von den Kreuzrittern, im 15. von europäischen Eroberern Amerikas, im 18. Jahrhundert von englischen Soldaten bei der Unterwerfung Schottlands, im Ersten Weltkrieg von Soldaten der deutschen Armee oder im Zweiten Weltkrieg der Roten Armee - Frauen wurden vergewaltigt, quasi als legitime Kriegsbeute.

Seit 1949 gilt Vergewaltigung im Krieg als Verstoß gegen geltendes Völkerrecht. Im vierten Genfer Abkommen heißt es: „Die Frauen werden besonders vor jedem Angriff auf ihre Ehre und namentlich vor Vergewaltigung, Nötigung zur gewerbsmäßigen Unzucht und jeder unzüchtigen Handlung geschützt.”

Berichte über Massen Vergewaltigungen haben die Weltöffentlichkeit zuletzt im Zuge der ethnischen Säuberungen und des Kriegsausbruchs in Bosnien schockiert. Tadeusz Mazowiecki, der UNO-Sonderberichterstatter zur Lage der Menschenrechte im ehemaligen Jugoslawien, bestätigte, daß alle am Konflikt beteiligten Parteien Vergewaltigungen vorgenommen haben. In erster Linie wurden allerdings moslemische Frauen von serbischen Soldaten und irregulären Einheiten vergewaltigt.

In einer 1993 vorgelegten Dokumentation schreibt Mazowiecki: „...Vergewaltigungen wurden als Instrument der ethnischen Säuberung eingesetzt. Es liegen verläßliche Berichte über öffentliche Vergewaltigungen, beispielsweise vor den Augen ganzer Dorfgemeinschaften, vor, die in der Absicht erfolgten, die Bevölkerung zu terrorisieren und ethnische Gruppen in die Flucht zu treiben.”

In Bosnien-Herzegowina setzten die Militärs Vergewaltigung als Waffe ein, um den Feind im Bewußtsein ihrer eigenen Soldaten zu entmenschlichen, die Moral der Gegner zu schwächen, sie zu bestrafen und die eigenen Truppen zu belohnen. Frauen wurden dabei nicht nur von fremden Männern vergewaltigt, sondern auch von Männern, die einst ihre Nachbarn gewesen waren.

Zuverlässige Zahlen über das Ausmaß an sexueller Gewalt in Bosnien-Herzegowina gibt es nicht. Denn viele Betroffene schweigen aus Scham oder aus Furcht vor gesellschaftlicher Stigmatisierung über die an ihnen begangenen Verbrechen.

Zerfetzte Körper und blutüberströmte Kinder, denen beim Spielen beide Beine abgerissen wurden, erinnern oft auch noch lange nach Ende der Kampfhandlungen an den vorangegangenen Krieg. Die sind auf eine der mehr als 100 Millionen in 64 Staaten gelegten Landminen getreten.

An den Machthebeln sind die Männer unter sich

Mit der Verminung ganzer Landstriche wird bewußt in Kauf genommen, daß Unbeteiligte ums Leben kommen oder schwer verletzt werden.

So stark die Frauen auch von den Auswirkungen bewaffneter Konflikte betroffen sind, so schuldlos sind sie meist an ihrem Ausbruch. Denn an den politischen und wirtschaftlichen Schalthebeln der Macht sind Männer auch heute noch unter sich.

Berichte von Waffenstillstandsund Friedensverhandlungen zeigen Frauen bestenfalls als Dolmetscherinnen. Denn Kriegspolitik ist schließlich Männersache, auf die extremen Belastungen der Zivilbevölkerung wird angesichts von Gebietsabtausch, Macht- und Einflußsphären allzu leicht vergessen. Auch große Evakuierungsmaßnahmen, die Organisation und Lenkung von Flüchtlingsströmen, die Entscheidung über ihre Zukunft wird meist von Männern getroffen.

Auch damit sich dies in Zukunft ändert, hat die bevorstehende UNO-Weltfrauenkonferenz in Peking einen ihrer zwölf Schwerpunkte der Situation von Frauen in bewaffneten Konflikten gewidmet.

Erwartet und erhofft wird von der Pekinger Konferenz vor allem, daß sämtliche bisher international vereinbarten Bechte und Verbesserungen der Situation der Frauen halten werden. Dieses Prinzip wurde bei der jüngsten Vorbereitungsrunde auf Beamtenebene neuerlich bekräftigt, ob es aber hält, wird erst der Konferenzverlauf zeigen.

Trotz solcher Defensivstrategie wird der vorbereitete Resolutionstext auch in diesem Kapitel von Klammerausdrücken beherrscht, Übereinstimmung fehlt also noch weitgehend. Man ist sich zwar einig darüber, auf die Benennung und Verurteilung systematischer Vergewaltigungen und anderer Formen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung von Frauen als bewußt eingesetztes Instrument des Kriegs und ethnischer Säuberungen zu drängen und Schritte zu unternehmen, um den Opfern solchen Mißbrauchs Hilfe für physische und mentale Rehabilitation zur Verfügung zu stellen.

Vergewaltigung ist für viele noch kein Asylgrund

Bei der Passage über die Anerkennung von Vergewaltigung als Asylgrund fehlt dagegen noch die Einigkeit — trotz vorhandener Bestimmungen im Völkerrecht. Auch in Osterreich hatte es Jahre gedauert, bis vor zwei Wochen endgültig in klaren Vorgaben dieser Asylgrund anerkannt wurde.

Die Forderungen zur Verbesserung der Lage von Frauen in bewaffneten Konflikten gehen in drei Richtungen: Schutz, Teilnahme an Entscheidungen in der Konfliktlösung und Forderungen nach Abrüstung.

Neben dem neuerlichen Hinweis auf die Bestimmungen der Genfer Konvention werden vor allem die Untersuchung und strafrechtliche Verurteilung bei Vergewaltigungen und anderen Übergriffen auf Mädchen und Frauen gefordert.

Wie wenig Verbote nach dem Völkerrecht am Kriegsschauplatz gelten, zeigen leider täglich die Nachrichten vom Balkan - mitten in Europa. Vielleicht auch deshalb finden sich in den meisten Wünschen Maßnahmen nach den Übergriffen, sei es die strafrechtliche Verfolgung, sei es die Nachbetreuung, sei es der Schutz vor weiterem sexuellen Mißbrauch, etwa auch auf der Flucht, beim Übertritt über Grenzen und Demarkationslinien oder beim Ansuchen um Flüchtlingsstatus.

Dem Gesamtmotto der Konferenz folgend steht auch hier die verstärkte Teilnahme von Frauen in Entscheidungsgremien ganz oben auf der Wunschliste. Auf nationaler und internationaler Ebene, bei Friedensverhandlungen, Vermittlungsaktionen und auch bei den Hilfsprogrammen wollen Frauen von Anfang an nicht nur eingebunden sein, sondern auch mitentscheiden. Schließlich sind sie von den Folgen am meisten betroffen.

Die besondere Rolle von Frauen bei der Erziehung - und damit auch bei der Vermittlung von Friedensvorstellungen - wird ebenso unterstrichen wie die Notwendigkeit, bei Hilfsaktionen jeder Art auf die Erfordernisse und Probleme von Frauen aufmerksam zu machen, sei es unterwegs oder etwa bei der strafrechtlichen Verfolgung von sexuellem Mißbrauch an Frauen.

Besonders betont wird die Forderung nach gleich vielen Frauen und Männern bei internationalen Kriegsverbrechertribunalen wie dem UNO-Tribunal für Ex-Jugoslawien und jenem für Ruanda. Denn es gibt genügend weibliche Richter, wenn man auch häufig bei der Zusammensetzung von Obersten Richterkollegien auf Männermonopole schließen könnte.

Ein unüberwindbares Hindernis wird vermutlich der Abschnitt über die Forderung von Frauen nach Reduzierung der Ausgaben für militärische Zwecke sein. Hier verdrängen Wirtschaftsinteressen allemal echte oder vermeintliche Fraueninteressen.

Auch wenn die Erwartungen für die Pekinger Kortferenz nicht allzu hoch sind, wird es doch zum internationalen Erfahrungs- und Informationsaustausch abseits von Scheinwerferlicht und Medienaufmerksamkeit kommen. Die Beschlüsse selbst, sei es als Empfehlungen oder gar im Völkerrechtsrang, stehen oft nur auf Papier, in Zeiten von Krieg und bewaffneten Auseinandersetzungen auf ganz besonders geduldigem.

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