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Hat die Waldheimaffäre einen Paradigmenwechsel bewirkt?

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Ein Kenner Waldheims hat ihn so charakterisiert: „Er hat einen geringen Wortschatz, aber den in mehreren Sprachen.” Diese bissige Beschreibung trifft auch auf seine „Verteidigungsschrift” „Die Antwort” zu. Selbst über seinen „alten Freund, den jordanischen König Hussein” hat er nur zu sagen, daß er „eine der schwierigsten politischen Aufgaben der Welt mit Geschick und Mut über Jahrzehnte erfolgreich bewältigt hat”. Da es Waldheim immer nur um Waldheim geht und seine Mitarbeiter am Buch offensichtlich nicht den Auftrag hatten, Nachforschungen anzustellen, bleibt es bei einer oberflächlichen Zusammenstellung der Zeitungslesern bekannten Vorgänge. Wird es ausnahmsweise doch einmal spannend, wie bei seiner Kritik an den mangelnden Sicherheitsvorkehrungen während des Staatsbesuches von König Hussein in Innsbruck, läßt er es dabei bewenden, mitzuteilen, daß der Sicherheitsdirektor „während des Besuches vorsichtshalber auf Urlaub” ging. Um ja nicht anzuecken, nennt er nicht einmal dessen Namen. Natürlich wurde auch keiner von Waldheims Mitarbeitern bei den Recherchen zur „Antwort” damit beauftragt, den Vorwurf, es hätte „einschlägige Weisungen aus Wien” gegeben, „nicht gegen die Demonstrationen einzuschreiten”, zu überprüfen. Erwiesenermaßen war der damalige Tiroler Sicherheitsdirektor, Adolf Platz -gummer, jedoch nicht auf Urlaub, sondern Ehrengast beim Empfang im Festsaal des Alten Landhauses.

Das Buch bleibt im wesentlichen (leider) eine Aufzählung von bekannten Persönlichkeiten, von denen sich der Altbundespräsident und ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen abgelehnt oder geschätzt fühlt, oder die ihn sogar „persönlich am Flughafen empfangen”, obwohl es

„sich doch nicht um einen offiziellen Staatsbesuch” handelte. Das sind Peinlichkeiten, die aber offensichtlich ins Bild eines österreichischen Diplomaten passen. •

Ein literarisches Meisterwerk oder Erinnerungen, wie sie etwa die beiden großen Antipoden Bruno Kreisky und Simon Wiesenthal vorgelegt haben, hat ohnehin niemand erwartet. Was zu erwarten war, ist aber eine Verteidigungsschrift, die aufgrund ihrer Stichhaltigkeit eine Wirkung über den engen Kreis der Anhänger hinaus erzielen kann. Dafür wären jedoch nicht 319 Seiten nötig gewesen. Es hätte genügt, das 16 Seiten umfassende Kapitel in Simon Wiesenthals Erinnerungen zu lesen und ernst zu neh -men und den ehemaligen Generaldirektor des israelischen Außenministeriums und Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem, Shlomo Avineri, zu bitten, seinen fünf Seiten

Der World Jewish Congress erlangte erst durch Kurt Waldheim seine Bekanntheit langen Aufsatz „The Waldheim Affair - How the World Jewish Congress blew it”, der in der vom American Jewish Committee herausgegebenen Zeitschrift „Present Tense” veröffentlicht wurde, übersetzen und nachdrucken zu lassen. Avineri beschreibt darin ungeschminkt und detailliert, wie der World Jewish Congress durch Waldheim Bekanntheit erlangte und bewußt in Kauf nahm, daß die österreichischen Juden und der Staat Israel den Preis dafür bezahlen mußten. „To put it crudely, one could say that while the W. J. C. gained considerable visibility during the Waldheim affair, the Austrian Jewish Community and Israel were forced to pay the price.” Kurt Waldheim erwähnt natürlich von seinen prominenten Verteidigern, wie den in Wien geborenen, englischen Verleger Lord George Weiden-feld, auch Simon Wiesenthal. Er verschweigt aber die von Wiesenthal an ihn gerichtete Forderung: „Ein Mann, der so viel wußte - dank seiner Stellung im Stab war Waldheim einer der bestinformierten Offiziere -, hätte sich als Zeitzeuge zur Verfügung stellen und die junge Generation über die Bestialität des NS-Begimes informieren können.” Vorausahnend, da es auch auf „Die Antwort” zutrifft, schrieb Wiesenthal 1988 in „Becht, nicht Bache”: „Statt dessen versäumte Waldheim keine Gelegenheit, den Raubkrieg der Nazis auf dem Balkan mit dem Widerstand der Partisanen, die Geiselerschießungen durch die deutsche Wehrmacht mit den Ausschreitungen des Partisanenkrieges in einen Topf zu werfen.” Bei W'ald-heim klingt das heute so: „Es gab Menschen in einflußreichen Positionen, die sich genügend Urteilsvermögen bewahrt hatten und an meiner Vergangenheit nichts Ehrenrühriges zu entdecken vermochten; Menschen auch, die sich fragen mochten, warum die Bepräsentanten einer Supermacht, die nichts unversucht ließ, linksgerichteten Untergrundbewegungen weltweit entgegenzutreten, es ausgerechnet mir zum Vorwurf machten, in untergeordneter Funktion als Wehrpflichtiger kommunistische Partisanen bekämpft zu haben, die wenig später - wie zum Beispiel in Griechenland - mit den USA selbst in Konflikt geraten waren.” In Kenntnis seiner späteren, wenig ruhmreichen Rolle als Außenminister während des „Prager Frühlings” eine bemerkenswerte Feststellung. Bruno Kreisky sagte darüber in seinen Memoiren, daß der damalige Gesandte in Prag, Rudolf Kirchschläger, „offen erklärte, daß ihm Waldheim als Außenminister verboten habe, Tschechoslowaken Einreisebewilligungen auszustellen”.

Zurück zur „Waldheim-Affäre”: „Die Art und Weise, in der Kurt AValdheim undifferenziert angegriffen wurde, hat jahrelange Erziehungsarbeit in Österreich zunichte macht: In einer Vielzahl von Vorträgen, Interviews oder persönlichen Gesprächen habe ich und haben andere sich bemüht, aufzuzeigen, daß man zwischen Unbeteiligten, Mitläufern und fanatischen Nazis unterscheiden müsse ... Der ,Fall Waldheim' hat alle diese Unterscheidungen wieder verwischt”, so Wiesenthal. Trotz dieses bis heute nur schwer zu beseitigenden Schadens herrscht noch immer die Meinung vor, daß erst die Skandalisierung der Kriegs Vergangenheit des ÖVP-Präsidentschafts-kandidaten und späteren Bundespräsidenten den „Paradigmenwechsel” Österreichs vom „ersten Opfer des Nationalsozialismus” zum Land der „Opfer und Täter” bewirkt hat. Diesbezügliche Erklärungen Bundeskanzler Vranitzkys und Kundespräsident

Klestils haben jedoch weniger mit Waldheim als vielmehr mit dem nach dem Ende des „realen Sozialismus” in Mittel- und Osteuropa einsetzenden Meinungsumschwungs zu tun.

Seit Anfang der neunziger Jahre haben sich nicht nur unser Bundeskanzler und Bundespräsident, sondern auch führende Politiker fast aller ehemaligen kommunistischen Länder vor dem Staat Israel und dem jüdischen Volk für die Beteiligung am Holocaust entschuldigt. Dabei war Franz Vranitzky keineswegs der erste, und bei aller Wertschätzung für sein Verhalten, auch ohne den „Fall Waldheim” hätte er sich dem Trend, die Beteiligung von Landsleuten an den NS-Verbrechen einzugestehen und sich für diese zu entschuldigen, nicht entziehen können.

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