Bruno I.: Größer wird er nimmer

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Mediale Verdrängung und Inferiorität angesichts einer zur Figur gewendeten Person. Bruno Kreisky als historisch bewusster und gebildeter Politiker versuchte, Verluste und Niederlagen aus der Geschichte zu "kompensieren“.

Noch nie war Österreich so klein wie heute. Selten zuvor erklang sein Ruf nach Personen oder Figuren, die ihm bewusst oder unbewusst Größeres versprechen, so laut wie jetzt: Am Beispiel Bruno Kreiskys - eines apostrophierten "Königs“, dem "links“ wie "rechts“ geradezu unterwürfig gehuldigt wird - fokussiert das aktuelle Österreich seinen Wunsch nach dem verlorenen Platz an der "Sonne“ und offenbart sein gegenwärtiges Mittelmaß. Mehr denn je aus der bzw. in die Vergangenheit projiziert Freuds Land alles Heil seiner selbst und wird sozusagen zum lebenden Echo eines toten Narziss.

Valerie Giscard d’Estaing, dem nicht nur politisch, sondern auch literarisch wirkenden französischen Staatspräsidenten der 1970er-Jahre, wird die Aussage zugeschrieben: "Österreich ist kein kleines Land. Österreich ist ein großes Land - mit kleinem Territorium.“ Mit diesen Worten streute Giscard, obwohl oder weil er Österreich schätzte, neues Salz in die tiefen Wunden eines 1918 - nach international renommierten Historikern wie Jean-Paul Bled - "an seinen Gliedern amputierten“ Staates, der aus der Sicht nicht weniger damals zu vieles an Behauptung und Bestimmung eingebüßt hatte.

Bruno Kreisky war, im Gegensatz zu manchem seiner Nachfolger, ein historisch bewusster und gebildeter Politiker. Nach dem Ersten Weltkrieg standen Trauma und Krise am Anfang der jungen Republik. Die meisten politisch relevanten Gruppen wollten den "minderen“ Staat nicht, nicht zuletzt Deutschnationale und Sozialdemokraten. Vehement forderten sie den Anschluss des ungewohnt Kleinen wieder ans Große, ein anderes Großes freilich: nicht an den Donauraum, sondern an Deutschland. Doch Georges Clemenceaus Verbot von Saint-Germain zementierte den Komplex: "Et ce qui reste, c’est l’Autriche.“

Sigmund Freud und Alfred Adler

Sigmund Freuds Psychoanalyse war noch in der Monarchie zu Ansehen und Bedeutung gelangt, für Alfred Adlers Individualpsychologie galt dies eher in der Republik. Der Terminus technicus einer Verdrängung eroberte mit Ersterer, jener eines Inferioritätskomplexes mit Letzterer die "Seelenwissenschaften“. Gewichtig für Österreichs Geschichte gerieten beide gleichermaßen. (Eine Sinnzentrierung erfuhr die Psychologie erst mit Viktor Frankls Logotherapie, der Dritten Wiener Schule der Psychotherapie.)

Niederlagen und Verluste zu "kompensieren“, sozioökonomische Krisen zu vermeiden, den Bürgerkrieg der Ersten Republik zu überwinden und Brücken zwischen den politischen Ufern zu schlagen - all das waren zentrale Fäden, welche die Zweite Republik aus ihrer Vorgängerin zog. Viel Unangenehmes verklärte sie deswegen über Jahrzehnte hinweg, ehe spätestens in den 1980er-Jahren vieles aufbrach wie Eiterbeulen.

Doch die Wurzeln liegen tiefer: Zweifellos war Bruno Kreiskys größtes Fanal die Berufung mehrerer ehemaliger NSDAP-Mitglieder zu Ministern seiner - von der FPÖ des angeblich reuigen ehemaligen Waffen-SS-"Kameraden“ Friedrich Peter gestützten - ersten Regierung. Liest man seine Autobiografie, so sticht gerade in den Kapiteln über die 1920er- und 1930er-Jahre hervor, welch immense Bedeutung nicht nur der Nationalsozialismus, sondern auch die Jahre 1927 (Justizpalastbrand) und 1933/34-38 (Bürgerkrieg und faschistoide Diktatur) für den jungen Sozialdemokraten aus jüdisch-bürgerlich-liberalem Elternhaus besaßen.

Kritisch gegenüber dem Zionismus

Der "Klerikofaschismus“ prägte ihn, ein Begriff, den Kreisky weit öfter als andere aus der Nachkriegs-SPÖ verwendete. Im Gegensatz zu vielen seiner Genossen hatte er eben nicht die Erfahrung einer "versöhnenden Lagerstraße“ von Sozialdemokraten und Christsozialen gemacht, sondern jene eines Emigranten in Schweden. Aus dem geografischen Exil wurde intellektuelle Heimat: Bis zum Ende seiner Karriere blieben die "Skandinavier“ Kreiskys engste Gefährten: einerseits Willy Brandt, während des Zweiten Weltkriegs im norwegischen Exil, und andererseits der Schwede Olof Palme.

Doch weder Brandt noch Palme standen dem Zionismus so kritisch gegenüber wie Kreisky. Die Versöhnung mit den Arabern war seine Pforte in die Welt, eine Bühne, die Kreisky so sehr brauchte, um seinerseits, ganz Kind der Zwischenkriegszeit, das Kleine mit dem Großen zu tauschen. Viele Israelis nahmen ihm dies mehr als übel und trugen es ihm ebenso nach wie Simon Wiesenthal die Auswahl der erwähnten Personen für sein Kabinett. Kein "Land [allein] der Seligen“ (Paul VI.) war Österreich.

Mancher Negativtradition getreu verdrängt die "Alpenrepublik“ anlässlich der 100. Wiederkehr von Bruno Kreiskys Geburtstag solch gleichermaßen berechtigte wie verpflichtende Kritik und verklärt die Person des Kanzlers zur Figur. Beinah eine Art Totem ohne Tabu, erhebt eine Unzahl von Medien samt Adepten Kreisky mit Pathos zum Mythos. Kaum kritisch-wissenschaftlich mit Format oder Profil, überdeckt der News-Wert vieles an Logos und Ethos. Oberfläche zählt, Tiefgang weniger.

National-sozialer Schulterschluss

Aufgehoben scheint plötzlich der Boulevard als "Bollwerk“: Als partes pro toto wirkten sogar Krone und Falter (s. Woche 2/11) in elitärer Auswahl ihrer "Hymner“ und Hymnen vereint, gleichsam ein national-sozialer Schulterschluss. Größer wird er nimmer zwischen den Repräsentanten der Geiz-und-Neid- sowie der Spaß-und-Spott-Geselligkeit.

Vielleicht ist es ein Paradox - ein Phänomen ist es jedenfalls: Während in der Mythologie es dem (männlichen) Narziss nicht gelang, im (weiblichen) Echo seine Entsprechung zu finden, stehen mehr als zweitausend Jahre später weite Teile des medialen Österreich der sicherlich (wie bei Politikern gemeinhin) narzisstisch begabten Person Bruno Kreisky figurativ als durch und durch verzücktes Echo trunken gegenüber.

Ist der Rausch indes vorbei, wird der Kater wiederkehren. Bruno I. war sterblich und Österreich muss leben.

Kleiner denn je bleibt es, auch dank der meisten seiner Medien. Nehmen wir das mit Humor.

* Der Autor arbeitet wissenschaftlich und künstlerisch.

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