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SPÖ: Vom Vaterhaus zur Macht

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Nach der vorzeitigen Auflösung des Nationalrates und dem baldigen Ende der Minderheitsregierung ist es notwendig, festzuh’alten, welche Veränderung der Kreiskysche Coup d’etat, wie ihn die Gegner, oder der Coup de maitre, wie ihn die Anhänger des Bundeskanzlers bewerten, in Österreichs innenpolitischer Landschaft herbeigeführt hat Fassen wir zunächst kurz zusammen: Mit Hilfe des Bundespräsidenten bildete Kreisky im Frühjahr 1970 eine Minderheitsregierung. Das war taktisch zweifellos ein Meisterstreich, der noch dazu für alle politischen Kenner imerwartet kam und deshalb eine geradezu lähmende Wirkung auf die Volkspartei ausübte, die sich noch im Glauben wiegte, sich ihre Koalitiansfoereitschaft so teuer wie möglich bezahlen lassen zu können.

Etwas anderes als eine Koalition schien nämlich nicht möglich zu sein. Die FPÖ hatte durch ihre Erklärung vom Jänner 1970 einer rot-blauen Koalition schon vor den Wahlen eine Absage erteilt und Bundeskanzler Klaus schloß in der Wahlnacht die Koalition zwischen ÖVP und FPÖ aus. Daß Kreisky die beiden taktisch unklugen Erklärungen zugunsten seiner Partei ausnützte, offenbarte sein Improvisatiansver- mögen und mochte etliche Leute ärgern, doch ein Vorwurf kann ihm deshalb kaum gemacht werden, denn zur Politik gehört nun einmal der Kampf um die Macht, die, gleichgültig, ob man ihr neutral gegenübersteht oder sie, wie Jacob Burkhardt, für böse hält, von keiner Gesellschaftsordnung der Welt beseitigt werden kann. Es war Kreiskys Glück, daß der Bundespräsident Franz Jonas und nicht Karl Renner oder Adolf Schärf hieß, doch unter Renner oder Schärf hätte Kreisky auch keine Minderheitsregierung gebildet.

Welches Ziel verfolgte mm Kreisky mit der Bildung der Minderheitsregierung, von der im vorherein feststand, daß sie keine Legislaturperiode durchhalten konnte? Er wollte den Nachweis erbringen, daß eine rein sozialistische Regierung auch für Nichtsozialisten akzeptabel sein kann, was ihm insofern gelang, als in seiner Ära die Wirtschaftskonjunktur einen ungewöhnlichen Aufschwung erlebte, die Preisentwicklung hingegen zwar rapide an- stieg, doch keine bedrohlichen Formen annahm. Nach eineinhalb Jahren Minderheitsregierung kann Kreisky behaupten, daß es nahezu allen Menschen in Österreich besser gehe als vorher. Das gleiche hätte zweifellos auch eine Koalitionsregierung erreicht, doch darum ging es gar nicht. Kreisky wollte der bürgerlichen Alleinregierung eine sozialistische Allednregierung folgen lassen, um den Österreichern zu beweisen, daß die SPÖ genausogut zu wirtschaften vermag wie die Volkspartei.

Ideenpolitisch aber übertrumpfte er die ÖVP. Schon vor den Natdonal- ratswahlen 1970 kam Kreisky mit dem Programm der 1400 Wissenschaftler und Fachleute dem Ruf nach globalen Reformen nach. Dieser Ruf wird von allen Seiten erhoben, gleichgültig, welche politische Haltung der einzelne einnimmt, wobei die Angst, wie die atemberaubende Fortentwicklung von Wissenschaft und Technik bewältigt und menschlich verkraftet werden kann, die Triebkraft ist. Unabhängig vom

Wert des sozialistischen Programms der 1400 muß der politische Instinkt Kreiskys anerkannt wenden. Während sich die ÖVP-Allednregierung den Kopf zerbrach, mit welchen Son- dersteuem sie die Löcher im Budget stopfen könnte, ließ Kreisky Zukunftspläne schmieden und vermittelte damit den Menschen, die, solange sie Menschen sind, etwas für Utopien übrig haben, die Hoffnung, die Sozialisten hätten das Rezept gefunden, wie die Zukunft bewältigt werden kann.

Mit seltenem Geschick griff Kreisky auch das Modewort seiner Parteifreunde in Schweden und der Bundesrepublik von der Demokratisierung des gesamten öffentlichen Lebens auf und fügte aus eigenem noch den Begriff der Transparenz hinzu. Damit verwirrte er seine Gegner und machte seine Minderheitsregierung, die eine demokratische Notlösung und keine Regel darstellt, populär. Die Minderhedtsregierung nicht arbeiten zu lassen, hieß plötzlich, es an demokratischem Willen fehlen lassen. Das bedeutet aber, das demokratische Spiel von Regierung und Opposition außer Kurs zu setzen. Es bedeutet darüber hinaus, daß die Sprecher der Institutionen wie der verschiedenen Kammern oder des Gewerkschaftsbundes wegen deren vielfacher Undurchsichtigkeit und Kompliziertheit an Wirkung einbüßten. Hingegen erhoben verschiedene andere Gruppen, berufene und unberufene, ihre Stimme, redeten mit Engagement, zerredeten aber auch die Probleme. Aus allem nahm nun Kreisky das für seine Politik Brauchbare heraus und erzeugte damit die Vorstellung, daß es in Österreich demokratisch zugehe wie noch nie. Er blieb jedoch in allem der Steuermann, der zwar jeden über den Kurs reden ließ, doch selbst den Kurs bestimmte, wohl wissend, daß die totale Demokratisierung letztlich zum Chaos führen müßte.

Mit seiner Politik der Demokratisierung brachte Kreisky auch die dritte Partei, die FPÖ, ins Spiel. Bisher Außenseiter der österreichischen Innenpolitik, lizitierte Kreisky die Freiheitlichen hinauf, nicht nur, um seiner Minderheitsregierung die parlamentarische Basis zu geben, sondern auch, um die ÖVP zu zermürben. Daß die FPÖ mitspielte, war legitim, weil jede Partei versucht, das Beste für sich herauszuholen. Das Wahlgesetz allerdings ließ die Freiheitlichen zu Kreiskys Schuldnern werden. So erreichte der Bundeskanzler mit seiner Minderheitsregierung alles, was er anstreben mochte: den Nachweis, daß die SPÖ ebenso gut regieren könne wie die ÖVP, und die Auflockerung der innenpolitischen Erstarrung, indem er die dritte Partei regierungsreif machte und sich zugleich in hohem Ausmaß verpflichtete. Österreichs innenpolitische Landschaft sieht deshalb im Oktober 1971 anders aus als im März 1970.

Kreisky gelang darüber hinaus noch etwas, das keineswegs unterschätzt werden darf. Die SPÖ ist heute nicht mehr „Vaterhaus und Heimat“, wie sie Otto Bauer für die Erste Republik definierte. Kreisky hat sie jedoch zum größten Erfolg in ihrer Geschichte geführt. Das erfüllte die Genossen mit Stolz und mit dem Glauben, die Zukunft gehöre ihnen.

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