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Probleme als Kulissen

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Die Erkrankung Dr. Kreiskys verhinderte ein doppeltes Treffen der Regierungschefs von Westdeutschland und Österreich. Vor dem geplanten und nun abgesagten offiziellen Besuch von Bundeskanzler Brandt in dieser Woche wollten beide am Wörthersee während der Pfingstfeiertage privat Zusammenkommen, um den Gedankenaustausch, der schon in Finnland anläßlich der Tagung der Sozialistischen Internationale begonnen hatte, fortzusetzen. Zweifellos wäre dieser Gedankenaustauch für beide Kanzler von großem Nutzen gewesen, um so mehr, als Kreisky in eine Lage zu geraten droht, in der sich Brandt bereits befindet. Nichts charakterisiert den gegenwärtigen politischen Zustand in der deutschen Bundesrepublik mehr, als der Ausspruch Brandts nach der Entscheidung seiner Regierung in der Wäh- rungsfraige und dem Rücktritt des deutschen Finanzministers Möller: Wir machen nun einmal eine Pause.

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Die Erkrankung Dr. Kreiskys verhinderte ein doppeltes Treffen der Regierungschefs von Westdeutschland und Österreich. Vor dem geplanten und nun abgesagten offiziellen Besuch von Bundeskanzler Brandt in dieser Woche wollten beide am Wörthersee während der Pfingstfeiertage privat Zusammenkommen, um den Gedankenaustausch, der schon in Finnland anläßlich der Tagung der Sozialistischen Internationale begonnen hatte, fortzusetzen. Zweifellos wäre dieser Gedankenaustauch für beide Kanzler von großem Nutzen gewesen, um so mehr, als Kreisky in eine Lage zu geraten droht, in der sich Brandt bereits befindet. Nichts charakterisiert den gegenwärtigen politischen Zustand in der deutschen Bundesrepublik mehr, als der Ausspruch Brandts nach der Entscheidung seiner Regierung in der Wäh- rungsfraige und dem Rücktritt des deutschen Finanzministers Möller: Wir machen nun einmal eine Pause.

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Die Versprechungen nämlich über Innere Reformen, wie sie Brandt bei seinem Regierungsantritt 1969 gemacht hatte, konnten nicht erfüllt werden, und die Illusionen, die mit der Ostpolitik verbunden waren, lösten sich in Dunst auf. Die Erfolge der Regierung Brandt in der Innen- und Außenpolitik sind minimal. Dagegen ist die Stabilität des Geldes geringer als am Beginn der sozialliberalen Koalition und die außenpolitische Lage schwieriger als vor 1969, nicht zuletzt auch deshalb, weil Brandts Ostpolitik das Bundesvolk in zwei Lager gespalten hat. Die einzig positive Entscheidung der letzten Zeit, die Änderung der französischen Politik England gegenüber, entspringt nicht der deutschen Vermittlung, sondern der französischen Furcht vor der allzu starken Position Deutschlands in der EWG.

Somit ist es keine gute Bilanz, die Brandt zur Halbzeit seiner Regierungszeit vorzuweisen hat. Aus der Regierung der inneren Reformen wurde eine Regierung des Fort- wurstelns und des Hinausschiebens von Problemen. Wenn Brandt heute in einem Interview vom Hochkrempeln der Hemdsärmeln spricht, so geht er weit über Erhardts wirkungslose Maßhalteappelle hinaus. Wenn er seinen ehrlichen Willen und sein gutes Gewissen betont, von denen seine Ostpolitik geleitet ist, so besteht darüber kein Zweifel, doch in der Politik entscheiden der Erfolg und die Tatsachen, nicht der Wille und das Gewissen. Und wenn er letztlich feststellt, daß es den Menschen in Deutschland gut gehe, dann trifft dies auch auf die zwanzigjährige Regierungszeit der Christdemokraten zu. Brandt, so meint der ,,Spiegel“, der das Interview mit dem Bundeskanzler brachte, soll weniger diskutieren und mehr entscheiden. Und schon spricht Deutschlands brandtverliebte Presse, der Kanzler werde einen neuen Stil kreieren. Doch kann er das? Die ihn kennen, bezweifeln es. Dabei wird niemand den Idealismus und den Elan, mit denen Brandt an die Arbeit ging, leugnen können.

Brandts Kollege, Kreisky, schnitt bisher besser ab. Ihm lächelte das Glück. Zwar versprach auch er innere Reformen, doch keiner verlangte die Einlösung des Versprechens, weil Kreisky nicht an der Spitze einer Mehrheitsregierung steht. Der Slogan: „Laßt Kreisky und sein Team arbeiten“, war im Grunde ein Appell an das Mitleid der Bevölkerung, wurde aber geschickt zu einem Bekenntnis umfunktioniert, das Zukunftshoffnungen erweckte. Auch Kreisky schob, ähnlich wie Brandt, die Probleme wie Kulissen vor sich her, doch die Zuschauer starrten gebannt auf den Kulissenschieber und vergaßen dabei, daß es nur selten zur Zusammensetzung eines echten Bildes kam.

Kreisky und Brandt haben einiges gemeinsam. Beide waren in der Emigration, beide lieben die Diskussion, beiden gehört die Sympathie der Intellektuellen. Kreisky ist aber zweifellos der klügere Politiker. Er kann seine Gefühle besser verbergen und ist der überlegenere Taktiker. Während viele Brandt die Meinungsänderung über den Kommunismus, die er nach seinem Abgang als regierender Bürgermeister von Berlin vollzogen hat, verübeln, hat Kreisky seine Ansicht über den Kommunismus nie geändert. In seiner Rede, die er kürzlich im Münchner Löwenbräu-Keller hielt, um dem Oberbürgermeister der bayrischen Hauptstadt Dr. Vogel Schützenhilfe zu leisten, erklärte er unmißverständlich, daß der Feind Nr. 1 für die Sozialdemokratie der Kommunismus sei. Deutlicher geht es nicht mehr. Während Brandt von vielen verdächtigt wird, gemeinsam mit Wehner die SPD weiter nach links zu drängen, wird Kreisky von eigenen Parteifreunden vorgeworfen, er wolle die SPÖ gänzlich vom Marxismus befreien.

Allerdings gerät auch Kreisky mit seinem Team zusehends in Schwierigkeiten. Die Preiswelle schwillt gefährlicher an, als die Regierung erwartet hatte, und könnte Kreisky leicht das Gesetz des Handelns aus der Hand reißen. Vermochte er bisher mit Neuwahlen zu drohen, braucht nun keine der beiden Oppositionsparteien mehr Angst davor zu haben. Vielmehr gerät die Regierungspartei in eine Atemnot, das heißt, ihre Handlungsfähigkeit wird immer mehr eingeengt. Der Glaube, daß die Minderheitsregierung große Entscheidungen treffen und Reformen durchführen könne, ist ziemlich dahin. Kreisky muß sogar trachten, die günstigste Absprungbasis zu gewinnen, die eben erst vorhanden ist, sobald das Preisproblem geregelt werden kann.

Beide, Brandt und Kreisky, bildeten ihr Kabinett mit Hilfe des Bundespräsidenten. In Westdeutschland versuchte Heinemann erst gar nicht, den Führer der stärksten Parlamentspartei ins Spiel zu bringen. In Österreich unterließ es Jonas, alle Möglichkeiten, eine Mehrheitsregierung zu bilden, auszuschöpfen, sondern setzte zum frühesten Zeitpunkt eine Minderheitsregierung ein. Heinemann stattete sogar vor der Regierungsbildung Brandt einen Besuch ab, was zumindest dem Protokoll widersprach. In Österreich erfolgte die sozialistische Generalstabsbesprechung wenigstens in der Präsidentenvilla. Der Traum, Kanzler zu werden, ging für beide, für Brandt und Kreisky, in Erfüllung. Ob sie sich in dieser Position halten können, wird die Zukunft zeigen. Für Kreisky scheinen die Auspizien günstiger zu stehen, doch wer vermag schon die Zukunft wirklich vorauszusagen?

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