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„Ich bin Optimist..

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STEHLE: Exzellenz, der Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder hat zu verschiedenen Deutungen Anlaß gegeben…

KOMINEK: Ja, ich weiß, es gab Mißverständnisse bezüglich dieses Briefwechsels. Sie beruhen auf einem fundamentalen Mißverständnis, nämlich: der Brief war kein politisches Dokument, er sollte wenigstens keines sein. Er war aus dem Konzilsgeist verfaßt. Er war übrigens an alle Episkopate der ganzen Welt gesandt; unter anderem auch an den Episkopait der DDR, mit der wir in guten, in besten nachbarlichen Verhältnissen leben.

STEHLE: Aber waren sich die polnischen Bischöfe nicht bewußt, daß dieser Brief eben auch Anlaß zu politischen Deutungen geben wird?

KOMINEK: Die polnischen Bischöfe hatten im Auge das große historische Geschehen, gerade weil wir aus dem Konzil heraus sprachen, gerade weil es um die Tausendjahrfeier des polnischen Volkes ging, um das Millenium der Taufe, wie es bei uns genannt wird. Gerade deshalb war man sich bewußt, daß es um große Dinge geht. Um eine Umstellung, sozusagen, der Einstellung zwischen Polen und Deutschland, der Deutschen den Polen gegenüber und der Polen den Deutschen gegenüber.

STEHLE: Exzellenz, Sie sprachen in Ihrem Brief vom Dialog, vom notwendigen Dialog. Das ist verschieden verstanden worden. Kann man sagen, daß damit auch gemeint sei, daß die Oder-Neiße-Grenze noch einmal Gegenstand eines Dialogs, eines Gesprächs oder von Verhandlungen sein könnte?

KOMINEK: Keineswegs, keineswegs! Was die Oder-Neiße-Grenze anbelangt, so ist sie heute, seit 20 Jahren schon, Gemeingut des ganzen polnischen Volkes. Jeder denkt so, wie ich jetzt spreche: Die Oder- Neiße-Grenze kann nicht geändert werden, weil es ein Existenzproblem des polnischen Volkes ist, und dieser Meinung sind sowohl Kummunisten wie katholische Bischöfe, wie Katholiken, und auch die polnischen Emigration. Da gibt es kein Kontra. Genauso, was Potsdam anbelangt! Der Potsdamer Beschluß ist für Polen ein ganz positiver Friedensschluß gewesen.

STEHLE: Im Brief ist von Versöhnung und Vergeltung die Rede. Wie ist das gemeint?

KOMINEK: Vergebung, Versöhnung sind ganz christliche Begriffe. Man möchte da sehr wenig Mathematik und Politik hineinbringen in diese Begriffe. Versöhnung und Vergebung sind verbunden mit Schuld. Freilich, die deutsche Schuld am polnischen Volke ist riesengroß und kann nicht verglichen werden mit einem Schuldbewußtsedn des polnischen Volkes. Aber man soll ja, wie gesagt, keine Rechnereien machen. Im Sinne des Vaterunsers, das wir jeden Tag beten, verzeihen wir uns jeden Tag unsere Sünden. Der Heiland am Kreuz hat dem Schächer verziehen, und zwar in einem Moment alles, was er verbrochen hat. Natürlich, Vergebung und Verzeihung betreffen nur die Bußfertigen, die sich wirklich zu ihrer Schuld bekennen. Wo kein Schuldbekenntnis ist, da gibt es auch keine Vergebung.

STEHLE: Herr Erzbischof, man hat in manchen Kommentaren den Brief auch so gedeutet, als wollten sich die polnischen Bischöfe zu Polen als einer Vormauer des christlichen Europa bekennen?

KOMINEK: Nein, Herr Redakteur, Vormauer ist eiin Begriff, der schon ganz historisch geworden ist. Einst war wohl Polen Vormauer im Osten gegen die Türken und andere Völker. Jetzt ist der Begriff aus der Kirche verschwunden und besteht auch in der heutigen polnischen Kirche garnicht mehr. Die christliche Kirche in Polen will eine Friedenskirche sein, die Kirche ist aus ihrem Burg-Begriff herausgegangen, sie ist wieder Diaspora geworden, und wir wollen heute nicht mehr Vormauer gegen niemand sein. Die Kirche will Frieden aussrtrahlen nach Ost und nach West. Sie will Brückenbauer sein, sie will vermitteln und nicht Vormauer sein. Friedenskirche zwischen Slawen und Deutschen, zwischen Kommunismus und anderen Ländern. Nur so betrachten wir uns heute — nicht anders.

STEHLE: Das wollte ja auch die Evangelische Denkschrift zur Oder- Neiße-Frage. Wie beurteilen Sie diese Denkschrift?

KOMINEK: Ganz positiv. Nicht bloß Ich allein. Ganz positiv mit mir zusammen alle Bischöfe, das ganze Volk, auch die kommunistische Führungspartei bei uns. Die Denkschrift wird sehr positiv bewertet, weil sie wahrscheinlich der mutigste Vorstoß von allen bisherigen war. Und wir freuen uns, daß die deutschen Bischöfe in derselben Richtung vorzugehen scheinen, eben in der Richtung der evangelischen Denkschrift. Und wir werden uns freuen, wenn wir bessere Ergebnisse daraus folgen sehen.

STEHLE: Und wie, Herr Erz bischof, sehen Sie die Zukunft?

KOMINEK: Die Zukunft? Da hin ich fast ein Optimist. Denn der Dialog ist nicht nur Gebot der Stunde, er ist im Wachsen begriffen. Die Welt verlangt heute nach einem Dialog, und ich glaube, es gibt sehr viele Menschen guten Willens in Polen, wir haben ja keinen Haß gegen Deutschland als Polen, keinen nationalistischen Haß. Wir fürchten aber Deutschland immer noch, weil wir nicht wissen, was eigentlich in der deutschen Volksseele brodelt. Ob sie wieder explodiert wie ein Vulkan. Und deshalb haben wir ein wenig Angst, nicht nur ein wenig… Wir fürchten Sachen wie Wiederaufrüstung, atomare Bewaffnung und dergleichen. Und wir bitten das deutsche Volk, die polnische Politik in dieser Hinsicht verstehen zu wollen. Es ist wirklich eine notwendige Sicherheiitspolitik für das ganze Volk. Das ganze Volk anerkennt diese Art von Politik.

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