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Christus unterm Roten Stern

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Mit Grußadressen, die von Albert Schweitzer bis zu den Atomgegnern in Hiroshima reichten, ging in der vorigen Woche die „Prager Christliche Friedenskonferenz“ zu Ende. Vertreter fast aller protestantischen, orthodoxen und altkatholischen Religionsgemeinschaften hatten sich aus Ost und West zusammengefunden, um einen Beitrag zur Klärung der augenblicklichen Weltsituation zu beschließen. Ergebnisse dieses großen theologischen wie auch kirchenpolitischen Dialogs waren eine Botschaft an die Gemeinden und Resolutionen an den Weltkirchenrat in Genf ujjd an die UNO in New York. — Ein Wiener Journalist, der als erster westlicher Korrespondent an einer derartigen Tagung teilnahm — sie war seit 1958 die dritte —, berichtet im folgenden über seine Eindrücke:

Es war die letzte Meldung an diesem Tag. Um 22.13 Uhr erst jagte sie CTK, die tschechoslowakische Nachrichtenagentur, über sämtliche Fernschreiber. Jetzt auch erfuhr man erst, daß Pastor Niemöller in Prag war. 230 Vertreter, hieß es, aus insgesamt 25 Staaten, seien gekommen. Sie alle würden sich zusammensetzen, um über „Frieden und Gerechtigkeit“ zu sprechen. Mittel wollten sie suchen, die einer weltweiten Abrüstung dienten und ein christliches Gespräch zwischen Ost und West zustande brächten.

Niemöller war es denn auch, der zusammen mit Prof. Gollwitzer die Eröffnungsansprache hielt. Bischöfe und Metropoliten, Patriarchen und Universitätsprofessoren waren ihre Zuhörer. Australien stand auf den Tischtafeln, Brasilien und Amerika, Bulgarien und Kanada, Frankreich, Japan und Indien, Indonesien auch, Neuseeland, Holland, England, Österreich, Italien, Jugoslawien, Schweden, Norwegen und Polen; fast die ganze Welt Daß Rußland nicht fehlte, war klar. „Und mit den Russen“, sagte mir Gollwitzer später, „können wir besser reden als mit den Ostdeutschen. Traurig genug.“ Die westdeutsche Delegation jedenfalls war bei dieser Tagung die stärkste. 38 teilweise höchst prominente Vertreter hatten sich eingefunden. Deutsch waren auch die Aufschriften im Kongreßgebäude, und Deutsch schließlich wurde zur Konferenzsprache. Alles sprach Deutsch, fast alles: die Polen, die Tschechen, die Jugoslawen, selbst noch die Russen. Die Stoßrichtung dieses Kongresses war damit schon festgelegt. Standortbestimmung und Definition schufen auch bald schon die Ausgangsbasis für ein sehr hartes und durchaus politisches Ringen. Sorge indes — das ließ sich nicht leugnen — hatte hier Christen zwar außerhalb kirchlichen Auftrags, zudem noch auf östlichem Boden und unter der Duldung des Weltkommunismus, zusammengeführt, sie waren sich dessen jedoch bewußt, und vor allem die Westdeutschen waren nicht deshalb, sondern trotzdem gekommen.

„Natürlich bedenken wir das, doch es ficht uns nicht an“, sagte Gollwitzer mir. „Uns geht es zunächst um die Begegnung, die leider woanders nicht möglich ist. Der Ostblock besteht doch — Sie wissen es selbst — nur aus Käfigen überall. Ermessen Sie, was es allein schon bedeutet, wenn Christen aus diesen Gebieten in ihrer bedrängten Existenz sich gemeinsam zusammensetzen, sich Bruder nennen und frei miteinander beraten können.“

„Frei? Ist es wirklich so?“

..... Natürlich erwartet man, daß wir ein

Wort gegen Adenauer sagen, auch gegen Spell-man. Das wäre willkommen und würde uns helfen. Wir tun's aber nicht.“ Und wirklich: So manche Konzession, die oft in den Reden deutlich wurde, was nichts als ein taktisches Zugeständnis war. Die Forderung auch, die sich später dann in der UN-Adresse fand — Aufnahme Rotchinas in die Vereinten Nationen — hat wohl nur darin ihre Erklärung. Natürlich: man trat gegen jede Atomrüstung auf. Und sicher: der Westen schnitt nicht so gut ab wie der Osten. Was aber hätte man auch einwenden können, als Niemöller dieses Problem anschnitt:

„Die Mittel der Kriegführung“, erläuterte er in einer fast apokalyptischen Darstellung, „haben einen Grad der Vollkommenheit erreicht, der nicht mehr überboten werden kann. Seit einer Anzahl von Jahren bereits sind die in der Waffentechnik am weitesten fortgeschrittenen Nationen in der Lage, Menschenleben in bislang unvorstellbarem Ausmaß zu vernichten, ja auszurotten.“ Die einmal errungene Erkenntnis, meinte er, daß alles Leben auf der Erde ausgelöscht werden könne, sei nicht mehr rückgängig zu rrlachen. Und im Falle eines Krieges würden sich die Kriegführenden spätestens dann dieser Erkenntnis bedienen, wenn die Niederlage des einen vorauszusehen sei. Sie würden dann damit auch das Ende der Menschheit herbeiführen. „Bewußt“, sagte er „habe ich die ganze Zeit von, wir' und, uns* gesprochen. Ich habe keinen Unterschied gemacht zwischen den andern und uns Christen“, zwischen dem Westen, hieß das also, und dem Osten. „Wir können auch diese Scheidung gar nicht vollziehen, denn wir haben für uns und unsere Kinder den Frieden genau so nötig wie sie. Und genau wie sie sind auch wir daran interessiert, daß die Menschheit den Weg in die für sie einzig mögliche Friedensepoche findet und nicht durch eigenes Versagen und eigene Schuld ihren Untergang selbst heraufbeschwört.“ Die herkömmlichen und durch Jahrtausende gültigen Begriffe vom Beieinanderleben, folgert er, müßten erstmals revidiert und revolutioniert werden: „Sie sind einfach nicht mehr real. Wenn Macht sich nicht mehr als gewaltsamer Zwang durchsetzen kann, weil sie damit sich selbst zerstört; was bleibt dann noch von ihr übrig? Was wir heute vor Augen haben, ist die Peripetie der Macht; sie verwandelt sich in dem Augenblick, da sie alles zerstören kann und darin gewissermaßen allmächtig geworden ist, in vollkommene Ohnmacht. Sie kann gar nichts mehr zerstören, wenn sie sich nicht selbst zerstören will...“

„Wo also“, fragte ich Gollwitzer später, „ist da Ihr Gottvertrauen? Ist es nicht eigentlich Kleinmut, der sich in all Ihrer Arbeit ausdrückt, Unvermögen, sich Gott zu ergeben und daran zu glauben, daß eben, was Er tut, auch wohlgetan ist?“

„Vertrauen auf Gott heißt nicht Untätigkeit. Jeder Christ, auf der ganzen Welt, ist berufen dazu, für den Frieden zu streiten und jeglichem Mord, auch dem Völkermord, ernsthaft zu wehren.“ “

Niemöller — ich saß ihm am Abend in seinem Hotelzimmer gegenüber — formulierte es so: „Friede, wir sind nun einmal so weit, heißt heute: nicht schießen. Friede also muß ich vor allem mit dem haben, der gegen mich ist. Ich muß mit ihm sprechen ...“

„Und können Sie das auch? Sie stehen auf dem Podium, auch hier in Prag, und halten Vorträge, vor Gleichgesinnten aber. Kommen Sie überhaupt heran an die Christen?“

Erstens, sagte er mir, seien es keineswegs Gleichgesinnte, noch nicht. Und zweitens: Er stehe nicht nur auf dem Podium. Er habe auch Dutzende von Kanzelpredigten gehalten, hier in ' der Tschechoslowakei, in Ungarn und in Rußland, vor allem aber in der Sowjetzone. Und immer sei sein Wort „ein Rettungsring“ gewesen, „der hingeworfen wird durch die Verkündigung“. Im Westen wie im Osten, für ihn gebe es nur ein Ziel: „Die Botschaft heranzutragen an den Fatalisten und den Nihilisten. Ihm das Bewußtsein zu geben, daß er nicht einer nur ist von 3000 Millionen, der eben nichts machen kann. Ihm vielmehr zu sagen, daß er Wert habe in den Augen Gottes. Für dich, auch für dich, hat Gott Seinen Sohn hingegeben. Was gibst du Ihm dafür? Verantwortung zu wecken und das Gefühl für die Freiheit zu gründen; das ist meine Aufgabe. Beide aber gehen im Kommunismus kaputt. Und bis hierher auch reicht mein Anti-kommunismus...“

Prof. Hromadka dann - Dekan der Comenius-Fakultät in Prag und einer der „Väter“ der Konferenz -, Hromadka sagte es deutlicher noch: „Im Prozeß der Geschichte, so behauptet die kommunistische Ideologie, werden alle Glaubensvoraussetzungen schwinden. Das ist eine falsche Auffassung. Das Christentum nämlich ist etwas Dynamisches. Und die traditionelle Kirche, die programmatische eben, ist heute nur noch eine antikommunistische Institution “

„Und Sie hier, haben Sie die Freihe>, dafür einzutreten?“

„Wir haben soviel Freiheit, wie wir den Mut dazu haben Nicht nur im Osten übrigens. Wir aber, wir hier, wir wollen beweisen, daß wir als Christen auch der kommunistischen Gesellschaft etwas geben können, das eben, ohne das sie nicht leben kann auf die Dauer.“

,,Und haben Sie nicht das Gefühl, Herr Professor, daß Sie sich mit all dem nur zum Vorspann der kommunistischen Propaganda machen?“

„Das ist nicht wichtig. Es schadet uns jedenfalls nicht. Und mir ist die tiefste Tiefe des Evangeliums heute näher als je einmal. Was ist das für ein Christentum, das jeden nur deshalb schon fallen läßt, weil er ein Kommunist ist? Wenn wir uns als Christen zurückziehen etwa in ein antikommunistisches Ghetto, so sind wir verloren.“

Aber nicht alle — und darin wohl lag die Tragik dieses Treffens — waren solcher Auffassung. In den Ausschüssen jedenfalls, wo die Meinungen hart aufeinanderprallten, zeigten die Ostdeutschen, daß sie sich, wie es auch Niemöller vermerkte, viel mehr den Weisungen der SED als ihrem eigenen Gewissen beugten. Holland und England waren es, Gollwitzer auch, die dagegen auftraten. Durchsetzen aber konnten sie sich nicht. Und die Deutschlandfrage wie auch die Oder-Neiße-Linie — beide waren als Konfliktursachen behandelt worden — wurden doch eher im östlichen Sinne resümiert.

„Warum“, so begehrte ein Holländer auf, „übt ihr so wenig Kritik auch an eurem Staat?“

„Ahnungslos westlich ...“ kommentierte es Niemoller.

Ahnungslos westlich? Daß es nicht nur darum gehen müßte, das Schießen allein zu verhindern, sondern mit ihm auch den Kommunismus — niemand jedenfalls sprach es aus. Und wenige mögen daran auch nur gedacht haben.

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