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Ich war Verteidiger in Nürnberg

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Der Wiener Rechtsanwalt Dr. Steinbauer wurde im Jahre 1945 zum Verteidiger Seyß-Inquarts über Wunsch der Anklagebehörde bestellt. So war es ihm als einzigem österreichischen Anwalt möglich, den ganzen Ablauf des Nürnberger Prozesses zu verfolgen und vor allem zur geschichtlich wirklichen Wahrheitsfindung über das Problem Österreich alle nur beschaffbaren Unterlagen und Aussagen zu überprüfen. Als Auslese dieser Tätigkeit legt nun der ehemalige Verteidiger Seyß-Inquarts in dem vorliegenden Werk einen Dokumentenbericht zur österreichfrage im Nürnberger Prozeß vor, der aus der nüchternen Aussage der Akten und Einvernahmen die historischen Vorgänge, die zum 11. März 1938 führten, klären soll. Trotzdem die Dokumente im allgemeinen mit den im Guido-Schmidt-Prozeß publizierten Unterlagen größtenteils übereinstimmen oder identisch sind, Ist das Buch der Versuch einer weiteren Aufhellung aller verwickelten Vorgänge des österreichischen Schicksalsjahres. Naturgemäß können nur einzelne Tatsachen schon jetzt historisch einwandfrei geklärt werden, wie etwa die Haltung Seyß-Inquarts, um dessen Person das vorliegende Werk aufgebaut ist. Neu ist die nunmehr wohl kaum mehr zu bestreitende Tatsache, daß das historische Telegramm zur Herbeirufung deutscher Truppen nach Österreich eine glatte Fälschung der Reichskanzlei war und daß die Kreise um Seyß-Inquart und wohl auch er selbst bis zum

Eintreffen Hitlers in Linz noch immer an eine staatsrechtliche Sonderkonstruktion für Österreich im Rahmen Deutschlands dachten. Dieser Umstand wurde auch unterstützt durch die Aussagen des Staatssekretärs Stuckhart, der den Entwurf eines Anschlußgesetzes, welches Hitler als Staatsoberhaupt für ein halbselbständiges Österreich vorsah, mitbrachte. Aus den ganzen Dokumenten aber erwächst auch eine indirekte Anklage an die Westmächte. Die ganze Verlassenheit der österreichischen Regierung in der höchsten Stunde der Not kommt nirgends deutlicher zum Ausdruck als in den zitierten Äußerungen Hendersons, Spaaks, Blums und Daladiers gegenüber deutschen Diplomaten, daß man von seiten des Westens einen evolutionären Anschluß kaum hindern werde. Somit schließt dieses Buch auch die europäische Schuld der österreichischen Tragödie des Jahres 1938 mit ein und die Feststellung des internationalen Gerichtshofes, daß Österreich im März 1938 als angegriffener Staat zu betrachten sei, war eine Bestätigung der aus dem gesamten Prozeß hervorgegangenen Tatsachen. Für die künftige Geschichtsschreibung jedoch ist auch mit diesem Werk noch lange nicht eine endgültige Klärung gegeben, wenn auch da und dort, wie etwa in der zitierten Rede Rainers aus dem Jahre 1942, viele Hinweise gegeben werden, in welcher Richtung noch manches historische Material zur österreichfrage gesucht werden muß. Dr. Ludwig Franz jedlicka

Planung und Freiheit. Von Albert Lauterbach, übersetzt von Bettina Hirsch. Verlag des österreichischen Gewerkschaftsbundes, Wien. 156 Seiten.

Der Titel der amerikanischen Originalausgabe „Economic Security and Individual Freedom“ (Verlag Cornell University press, Ithaca, New York 1948) bringt den Inhalt des für einen amerikanischen Leserkreis bestimmten Buches stärker zum Ausdruck: Lauterbach erörtert in journalistischem Ton, .ob (politische und kulturelle) Freiheit und (wirtschaftliche) Sicherheit, ob Individualismus und Kollektivismus in derselben Welt bestehen können und ob deren wertvolle Wesenszüge nicht irgendwie miteinander vereint werden könnten“ (S. 5). Als Verfechter der Wirtschaftsplanung entwickelt er seine Uberzeugung, daß .die Verbindung von Liberalismus und Sozialismus, von persönlicher Freiheit und öffentlicher Kontrolle ... die einzige wahre Hoffnung für die heutige Generation des Westens ist (S. 146) und skizziert eine seiner Meinung nach krisenfeste „gesellschaftlich kontrollierte Wirtschaft“, in der sich die verschiedensten Formen öffentlicher Kontrolle — je nach der Zweckmäßigkeit in den einzelnen Wirtschaftszweigen, von der Steuerpolitik bis zur teilweisen Verstaatlichung — mit individueller Initiative verbinden, Dr. Robert Dillrich

Burgenland. Ein Heimatbuch für Volks-, Haupt- und Mittelschulen. Von Josef Karner, österreichischer Bundesverlag Wien. 176 Seiten, 37 Abbildungen, 3 Karten.

Neubearbeitung (8. Auflage) der 1922 zum ersten Male erschienenen Heimatkunde. Dieses Arbeits- und Lernbuch löst in sehr geschickter Weise die undankbare Aufgabe einer Darstellung dieses zum Teil vollkommen künstlich begrenzten Landes mit seinen willkürlichen Ausschnitten aus sehr verschiedenen Naturlandschaften. Der Vortrag des vielseitigen Stoffes ist bei aller Reichhaltigkeit und bis in die jüngsten Nachkriegsjahre reichenden Vollständigkeit durchaus volkstümlich gehalten und so auch außerhalb des Schulgebrauches für jedermann gut lesbar. Einige kleine Versehen mögen bei der nächsten Anfläge berichtigt werden (S. 8: Delphine keine Fische. S. 9: Die Entstehung der Kohlen aus Pflanzenresten ist als Inkohlung, nicht als Verkohlung zu bezeichnen. S, 11: Der Löß ist in der Hauptsache nicht nacheiszeRlich, sondern noch eiszeitlich, wenn auch in der ungarischen Tiefebene seine Bildung noch länger angedauert hat als in Niederösterreich. Die Steinbrüche auf Leithakalke werden in ihrer früheren, ber auch noch jetzigen Bedeutung stark unterschätzt, wichtige, zum Beispiel Loretto, erscheinen weder auf der Karte noch im Text. Sie sind jedenfalls an Bedeutung dem populären Edelserpentin von Bernstein weit überlegen. Die Votivkirche in Wien ist übrigens nicht aus Kalksandstein von St. Margareten, sondern aus dem Algenkalk von Wollersdorf errichtet, nur die Turmhelme bestehen aus dem burgenländischen Kalkstein von Müllendorf. S. 130: Die von den Kohleschächten ausgehenden Gänge heißen nicht Stollen, sondern Strecken). Ein beiliegendes „Begleitwort für den Lehrer“ bringt Winke für die methodische Auswertung des Stoffes im Unterricht. Besonders hervorzuheben die hübsche Ausstattung bei sehr niedrigem Preis.

Prof. Dr. Alois Kieslinger

Die Reise. Roman. Von Charles Morgan. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 752 Seiten.

Der englische Dichter Charles Morgan (geb. 1894 in Kent), dessen Romane .Das Bildnis“, „Der Quell“ und .Die Flamme“ bereits in deutscher Ubersetzung vorliegen, gab mit diesem Buch ein Werk, das aus dem Erlebnis Frankreichs, aus der Liebe zu dem Land und den Menschen, gewachsen ist. Es wurde 1940, zu der für Frankreich schwersten Zeit, abgeschlossen. Die beiden Hauptpersonen des Romans, der in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts führt, sind Kinder der Champagne: der Weingutsbesitzer Hazard, genannt Barbet, ein schlichter, natürlicher Mensch, dessen Kraft in seinem inneren Gleichgewicht liegt, und die heißblütige Kabarettsängerin Therese. Therese erobert Paris mit ihren Barbet-Liedern und macht so den Mann zu einer populären Gestalt. Es wird erzählt, wie diese beiden Menschen, die so gegensätzlich scheinen und doch wesensähnlich sind, auf vielen Umwegen zueinander finden. Erst durch Bärbel wird Therese eine wirklich liebende Frau, Beide öffnen sich willig den reichen Möglichkeiten des Daseins, sie beharren nicht im einmal Gegebenen, sondern lieben die Reise .von einer Lebensweise zu einer andern.“ Ihre Segelbootfahrt auf der Seine, mit deren Schilderung das Werk schließt, ist wie ein Sinnbild. Der Roman ist breit ausgeführt, reich an Atmosphäre, an feinen Stimmungen und hintergründigen Bezügen und stellt eine reizvolle Verbindung von Realismus und Innerlichkeit dar. Das Wesentlichste eines Milieus oder eines Charakters wird mit feinsten künstlerischen Mitteln deutlich gemacht.

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