6543557-1947_02_03.jpg
Digital In Arbeit

Im Schatten des Tiso-Prozesses

Werbung
Werbung
Werbung

Der Hochverratsprozeß gegen Dr. Josef Tiso, das Oberhaupt des slowakischen Sta*s während des Krieges, findet gerade in einer Zeit statt, die schon seit Monaten von den Disharmonien durchtönt ist, die das Zusammenleben von Tschechen und Slowaken in der neuen gemeinsamen Republik erfüllen. Obwohl die Kaschaiier Deklaration der tsdieehoslowakischen Regierung von 1945 die alte These von der Existenz einer „tschechoslowakischen Nation“ fallen ließ und ausdrücklich von den Slowaken ak einem „national eigenständigen Volke“ spricht, hat sich das Verhältnis der beiden Völker zueinander abermals nicht so entwickelt, als man ursprünglich hoffen wollte. Die Slowaken, die in der Prager Zentralregierung durch mehrere Minister vertreten sind und a*i den Beschlüssen des Prager Parlaments durch ihre Abgeordneten teilnehmen, haben im „Slowakischen Nationalrat“ ihr eigenes Parlament und im „Vertrauensmännerrat“ ihre eigene Regierang erhalten, die befugt ist, m Prag erlassene Gesetze und Verordnungen auch in der Slowakei wirksam werden z lassen oder sie abzulehnen. Trotzdem ist es nicht gelungen, die Unzufriedenheit der Slowaken zu beschwidnigen. Man macht daraus in Preßburg und Kaschau kein Hehl. In den sechs Jahren ihrer staatlichen Selbständigkeit „haben sich die Slowaken wesentlich verändert“, schreibt ein tschechischer Publizist. „Die Slowakei ist für uns ein Rätsel, und es ist kein Wunder, wenn wir mit Mißtrauen erfüllt sind.“ In Prag ist man geneigt, diese Wandlung einer Infektion durch den „faschistischen Geist des Tiso-Staates“ zuzuschreiben. Staatsanwalt Dr. Rigan schließt seine Anklage gegen Tiso mit der düsteren Feststellung, daß „die gesunde poh-tisdie Umerziehung der Slowaken lange dauern werde“. Die Slowaken wiederum weisen diese Prager Auffassung als Unterstellung zurück und erheben ^.en Vorwurf, die Tschechen hätten nichts aus der jüngsten Vergangenheit gelernt und träumten noch immer von der Möglichkeit einer Assimilierung des Slowakentums; noch immer

machten sich . in der Prager Verwaltung steigend die zentralistischen Tendenzen geltend.

Für die Tschechen wurde es zweifellos eine unliebsame Überraschung, daß ein großer Teil der Slowaken, vor allem die Intelligenz, noch heute den Verlust des eigenen Staates bedauert. In verschiedenen slowakischen Blättern konnte man die Versicherung lesen: „Uns ging es im Staate Tisos besser als unter ungarischer Herrschaft oder in der ersten Republik.“ Die in den letzten ▼orten enthaltene Gleichstellung der natio-nlen Lage der Slowaken im ungarischen und tschechoslowakischen Staate ist ein in Prag tief empfundener Affront. Die Prager unparteiische Wochenschrift ..Dnesek“ urteilt gewiß richtig mit dem Satze, der Slowake sei solange höflich, nett und umgänglich, als man ds Thema des slowakischen Staates nicht berühre. Tue man dies aber, dann sei „Fever auf dem Dach“. Trotz ihres feierlichen Bekenntnisses zum heutigen gemeinsamen Staet „beobachten wir im slowakischen Leben . die verstärkte Bestrebungsich von den Tschechen zu isolieren“. Dies gehe heute soweit, daß in den slowakischen Fahrplänen die tschechischen Eisenbahnen der w es 11 i c h e n Staatshälfte genau so als ..ausländische Bahnen“ angeführt seien wie die' österreichischen und polnischen. Jeder Reisende werde auf der Fahrt von Mähren nach der Slowakei •von slowakischen Organen visitiert, die ihm bei der Ausreise sämtliche eingekauften Lebensmittel wieder abnehmen.

Die wachsende Entfremdung der zwei, seit 1945 wieder in einem Staate vereinigten Nationen rief im Herbst eine lebhafte Zeitungsdebatte hervor, die noch nicht abgeschlossen ist und durch den Tiso-Prozcß neue Nahrung erhält. Die Slowaken erklären- die in beiden Völkern völlig gegensätzlich verlaufende innenpolitische Entwick-'tmg sei der Anlaß für die Abrteignung, die

den Slowaken von tschechischer Seite begegne. Als Grund dafür wird angesehen, daß die Mai wählen 1946 in den tschechischen Ländern der Kommunistischen Partei die Vorherrschaft gaben, indes die Slowaken sich gegen den Kommunismus und mit 61 Prozent für die Demokratische Partei entschieden und also dem Kommunismus die Gefolgschaft verweigerten. Seither seien die Vorwürfe- daß sich in der Demokratischen Partei alle faschistischen Elemente des Tiso-Staates gesammelt hätten, auf tschechischer Seite nicht mehr verstummt. Die Tschechen aber hätten am wenigsten Grund, den Slowaken ihre jüngste Geschichte vorzuwerfen, denn der Tiso-Staat habe den Deutschen im Kriege Waren nur zögernd und nur für 6 Milliarden Kc geliefen, dagegen habe die tschechische Protektoratsregierung einen Kriegsbeitra^, von 68 Milliarden Kc der Hitler-Herrschaft geleistet. Deshalb könne man sagen, das gesamte tschechische Volk sei Kollaborant und Satellit der Deutschen gewesen. Es habe seine Revolution erst dann begonnen, als die Rote Armee bereits vor den Toren von Prag stand, während sich die slowakische Erhebung unter weit härteren Bedingungen und erheblich größerem Ausmaß abspielte. Trotzdem glorifiziere man in Prag „seine paar Barrikaden“ und verkleinere den Anteil der Slowaken an der Befreiung.

Von tschechischer Seite wird in dieser galligen Auseinandersetzung geltend gemacht, die Rückkehr der Slowakei in die tschechoslowakische Republik habe ja doch den Slowaken das Unglück erspart, als besiegter Staat behandelt und in Paris mit einem „Friedensdiktat“ belegt zu werden. Es falle in Prag niemandem ein, die Slowaken, wie sie meinen, für die im Kriege gespielte Rolle zu bestrafen, denn der Vorsatz, zu vergessen, sei ernst.

Die aktuelle slowakische Forderung, den Grundsatz der Autonomie in der gegenwärtig in Ber.atung stehenden neuen Staatsverfassung zu verankern, findet auf tschechischer Seite aber bishep- nur bedingtes Gehör. Was wollten die Slowaken noch, es gehe doch nicht an, daß die westliche Hälfte der Republik von einer Zentral regierung, in der auch die Slowaken vertreten sind, verwaltet werde, während diese für ihr Gebiet völlig freie Hand verlangen. Wenn Autonomie, dann für beide Völker, vor allem auf finanziellem Gebiete! Denn bisher sei für die Tschechen die Slowakei nur Zuschußgebiet gewesen, dieses erhalte von dem tschechischen Nachbar Vieh. Baumaterial, Fachleute, Kohle und Eisen und verlange von den Slowaken nur die Abgabe von Lebensmittelüberschüssen, aber selbst diese werden verweigert. Es sei untragbar, daß die Slowaken die in Böhmen rationierte und knappe Nahrung auf ihren Märkten ohne Karten kaufen können, wo sogar Schokolade frei erhältlich sei, die im tschechischen Staatsteil nicht einmal Kindern zugeteilt werden könne. Wenn die Tschechen als Gesetzgeber in der Slowakei nichts zu suchen haben, gut, dann gelte das gleiche für die Slowaken in Böhmen.

Es ist nicht zu übersehen, daß die jetzt so heftig auftretenden Gegensätze ihre Tiefe durch kulturpolitische Motive erhalten. Der freisinnige tschechische Westen ist mit dem in katholischen Lebensanschauungen seiner Bevölkerung wurzelnden slowakischen Raum zusammengestoßen. Die gewaltsame Säkularisation des ganzen Unter-richeswesens. das scharfe Vorgehen gegen Geistliche, die ihre Gemeinde von der Kanzel aufforderten, für den verhafteten Dr. Tiso zu beten und andere Vorfälle haben dazu beigetragen.

Die Rettung der Staatsinteressen aus diesem weitreichenden Konflikt ist jetzt die delikate Aufgabe der Prager Politik. Es ist nicht zu verkennen, daß jetzt der tschechoslowakische Staat zum zweitenmal in einer inneren Zerrissenheit sich befindet, genau so und, wie zu befürchten ist, noch schlimmer als 1919/20, als unter Führung Dr. Hlinkas von den Slowaken der Kampf um den autonomen slowakischen Staat angesagt wurde. Von der Wiege an stand die erste Republik unter diesem Zeichen und sie wurde von ihm verfolgt bis zu ihrem Untergang im Hitlerschen Protektorat. Nun erscheint dieses apokalyptische Zeichen audi an den Anfängen der dritten tschechoslowakischen Republik.

Ein. beklagenswertes Schicksal hat die Staatsgründung Masaryks befallen, Nodi sind lange nicht die Nachwirkungen der jahrelangen Fremdherrschaft überwunden und noch lange nicht die von der Austreibung der Deutschen aufgerissenen Stellen des Staatis-körpers geheilt und erst recht nicht ist die

külhne Sozialisierung von 90 Prozent aller gewerblidien und industriellen Betriebe eingefahren. In dieser Gegenwart, die der Ruhe zur Erholung und zum Aufbau bedürfte, wuchtet jetzt über dem Staat die Not dieses schweren, innerpolitischen Konfliktes. Ihm hat auch große Staatskunst wenig entgegenzusetzen, weil er schon ganz von dem Gefühlsleben der beiden Gegner Besitz ergriffen hat und auf beiden Seiten Männer fehlen, die über die aufgerichteten Barrieren hinüber williges Gehör finden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung