Ottillinger1 - © Privatarchiv Ottillinger

Margarethe Ottillinger: Die Beamtin als Bauernopfer

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1948 wurde Margarethe Ottillinger von den Sowjets verhaftet und zu Zwangsarbeit verurteilt. Bis heute bleibt die Frage offen: "Wem war sie im Weg?".

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1948 wurde Margarethe Ottillinger von den Sowjets verhaftet und zu Zwangsarbeit verurteilt. Bis heute bleibt die Frage offen: "Wem war sie im Weg?".

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Zu tüchtig zu sein, das sollte eigentlich kein Hindernis im Leben bilden. Für Margarethe Ottillinger zeitigte diese Eigenschaft aber verhängnisvolle Folgen. Was sich am 5. November 1948 an der Ennsbrücke ereignete, ging als "Fall Ottillinger" in die Geschichte der 2. Republik Österreich ein. Ein Fall, dem fast 60 Jahre später immer noch das Odium des Geheimnisvollen anhaftet.

Ungelöste Fragen bieten Spielraum für Vermutungen: Wer noch, außer den Sowjets, hatte Interesse an der Verhaftung der 29-jährigen Leiterin der Sektion III im damaligen Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung? Wem war sie im Weg? War sie ein "Bauernopfer"?

1946 hatte Julius Raab, damals Präsident der Bundeshandelskammer, die junge, tüchtige Wirtschaftsexpertin als Konsulentin in das genannte Bundesministerium entsandt. Unter dem zuständigen Minister Peter Krauland ging die Ausarbeitung der Pläne für den Wiederaufbau der österreichischen Wirtschaft nur schleppend voran. Ottillinger sollte hier Schwung hineinbringen. Dass sie das konnte, hatte die Welthandelsabsolventin in ihrer kurzen, aber steilen Berufslaufbahn bereits bewiesen.

Steile Berufslaufbahn

Ein Jahr nach Übernahme des neuen Aufgabenbereiches wurde ihr die Leitung der Sektion III/Wirtschaftsplanung übertragen. Mit 28 Jahren hatte sie damit den Posten eines Sektionschefs inne. Von der Beamtenschaft wurde dies mit sehr gemischten Gefühlen aufgenommen. "Man hat sie gehasst" erfährt man heute noch von Zeitzeugen. Sie war jung, sie war eine Frau, äußerst energisch und hatte den gravierenden "Makel", nicht aus der Beamtenschaft zu kommen.

Mit unglaublicher Zähigkeit gelang es ihr innerhalb eines Jahres mit einem Kreis von exzellenten Fachleuten die Grundlagen für die Überleitung von der Kriegs- auf die Friedenswirtschaft zu erarbeiten. Die vorgelegten Pläne bildeten auch die Voraussetzung für die Inanspruchnahme der für Österreich lebensnotwendigen Hilfe durch den amerikanischen Marshallplan. Über die ihrer Sektion angeschlossene Kreditlenkungskommission bestimmte sie auch rigoros über die Verteilung der Marshallplan-Gelder. Die Stabilität der Wirtschaft und die Sicherung der Arbeitsplätze hatten für Ottillinger Vorrang. "Ich war damit so manchen Glücksrittern im Weg..."

Anklage: Spionage

Minister Krauland schätzte sich glücklich, eine so tüchtige Mitarbeiterin in seinem Ministerium zu haben. Mit der überaus hübschen Frau verbanden ihn auch bald private Bande. Am 5. November 1948 veränderte sich die Welt für Margarethe Ottillinger schlagartig. Krauland und seine Sektionsleiterin waren auf Dienstreise in Linz gewesen. Auf der Hinfahrt verlief die Überquerung der Demarkationslinie problemlos. Die Rückfahrt begann mit einer Panne. Angeblich war das Ministerauto nicht fahrbereit. Krauland stieg in den Dienstwagen von Ottillinger um, der nicht als Regierungswagen erkenntlich war. Bei der Ennsbrücke kam es dann zum Eklat. Nach der Kontrolle durch den russischen Posten öffnete sich zwar der Schlagbaum zur Weiterfahrt, doch der Chauffeur wurde mit Gewalt gezwungen zur Kommandatur nach St.Valentin zu fahren.

Es kam zu einer nochmaligen Überprüfung der Papiere. In ihren Erinnerungen' schreibt Ottillinger: "Ich habe sofort das Gefühl gehabt, man hat auf mich bereits gewartet." Nach fünfzehn Minuten wurde dem Minister die Weiterfahrt nach Wien angeboten. Krauland fährt und lässt seine engste Mitarbeiterin und Freundin allein zurück. Ottillinger wird unter der Anklage, "Spionage für die USA" betrieben zu haben, in das berüchtigte sowjetische Zentralgefängnis nach Baden gebracht. Sie kommt unter den primitivsten hygienischen Bedingungen in Einzelhaft und wird stundenlangen Verhören unterzogen. Durch Stehkarzer will man ihr ein Geständnis abringen. Doch sie hat nichts zu gestehen. Erst jetzt erfährt sie vom Doppelspiel Kraulands und von seinen Verbindungen sowohl zum amerikanischen, wie zum sowjetischen Geheimdienst.

Sehr merkwürdig mutet Kraulands weiteres Agieren an. Ohne dazu beauftragt zu sein, wird er am nächsten Tag beim stellvertretenden sowjetischen Hochkommissar Alexej Scheltow vorstellig, um "im Namen der Bundesregierung" seinen Protest auszudrücken. Es darf angenommen werden, dass er hinbeordert wurde, da die Verhaftung Ottillingers als Warnung für ihn gedacht war. Die Sowjets hatten sein Doppelspiel durchschaut. Einen Minister zu verhaften, hätte internationales Aufsehen erregt, so hielt man sich an seine engste Vertraute.

Schaumgebremster Protest

Der offizielle Protest der Bundesregierung fiel sehr schaumgebremst aus. Die Staatsvertragsverhandlungen waren bereits angelaufen und man wollte die Sowjets nicht verärgern. Dass die Regierung die junge Sektionsleiterin mit einem Geheimauftrag betraut hatte, durfte nicht publik werden. Ottillinger sollte sowohl eine Bestandsaufnahme, wie eine Werterhebung der von den Sowjets als deutsches Eigentum konfiszierten Betriebe machen. Diese Fakten wurden als Gesprächsbasis dringend benötigt. Ein lebensgefährliches Unternehmen, denn für die Sowjets war das Spionage, egal wer den Auftrag erteilte.

Im Durchgangslager Neunkirchen wurde Margarethe Ottillinger am 13. Mai 1949 das Urteil verkündet: 25 Jahre Zwangsarbeit, "für jede Arbeit einsetzbar, auch wenn sie das Leben kostet". Wenige Tage später wird sie in einem Viehwaggon nach Russland abtransportiert. Unter entsetzlichen Bedingungen verbringt sie die folgenden Jahre in den Lagern von Lemberg, Potma/Dubrawlag und Wladimir. Immer wieder wird sie zu Verhören nach Moskau in das berüchtigte Staatssicherheitsgefängnis Lubjanka gebracht. Dort bekommt sie zu hören: "Gestehen sie doch. Wen wollen Sie schützen? Sie haben so viele Feinde in Österreich."

Sieben Jahre Hölle

Nach Abschluss des Staatsvertrages kommt es zu einer Amnestie aller in Rußland inhaftierten Österreicher. Nach sieben Jahren in der Hölle des GULag kehrte Margarethe Ottillinger, schwer gezeichnet von den zurückliegenden Jahren, am 25. Juni 1955 in die Heimat zurück. Dort war die Freude über ihre Rückkehr aber nicht sehr groß.

Ihr ehemaliges Ministerium gab es nicht mehr, Ottillingers Sektion war auf drei Stellen aufgeteilt: Bundeskanzleramt (ERP-Büro), Verkehrsministerium (Verstaatlichte Industrie) und Finanzministerium (Kreditlenkungskommission). Bei einer Vorsprache im Büro des Finanzministers wird Ottillinger mitgeteilt, dass "man keine Stellenvermittlung sei". In der Bundeskammer bietet man ihr eine Position in den Außenstellen Sofia oder Bukarest an. Auf ihren Einwand, sich nicht in einem kommunistischen Land der Gefahr einer Verhaftung aussetzen zu wollen, erhält sie die zynische Antwort: "Na, Sie sind's ja schon gewöhnt." Sie war verbittert, dass Menschen, denen sie "die Steigbügel zu ihrer Karriere" gehalten hatte, nun so reagierten.

Hilfe kommt von Julius Raab, jetzt amtierender Bundeskanzler. Er bietet ihr 1956 eine Position in der Österreichischen Mineralölverwaltung an. Ob er sich zu diesem Schritt entschloss, weil er dort dringend eine Fachfrau vom Kaliber einer Margarethe Ottillinger brauchte - oder ob er einen Schritt der Wiedergutmachung setzten wollte, gehört ebenfalls zu den ungeklärten Fragen.

"Ich war im Weg"

Margarethe Ottillinger war als einzige weibliche Vorstandsdirektorin in den nächsten 25 Jahren entscheidend am Aufbau der ÖMV zu einem international renommierten Betrieb beteiligt. Kein Ruhmesblatt für ihre politische Gesinnungsgemeinschaft war der von ihr 1982 noch nicht beabsichtigte Abgang in die Pension. Trotz der Beteuerungen seitens des ÖVP-Parteivorstandes, dass einer Wiederbestellung nichts im Wege stünde, kam es zu lancierten Pressemitteilungen, wonach Ottillingers Ausscheiden bevorstünde. Bei einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Mock und Ottillinger wirft sie ihm das unfaire Spiel vor, das man mit ihr treibe, "mit einem Menschen, der seit 1946 in der Partei war und in Rußland sein Leben eingesetzt hat, um eine Fülle von Menschen zu schützen, die wahrlich nicht würdig waren, sie zu schonen". Wusste sie also doch, für wen sie das Bauernopfer' war? Wer sie denunziert hatte? "Ich war im Weg", dessen war sich Margarethe Ottillinger jedenfalls sicher.

Die Autorin ist freie Publizistin und Buchautorin.

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