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Popensohn, Industriekapitän, Volksdemokrat

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Im Gegensatz zu den wichtigsten Volksdemokratien hat Rumänien bis vor wenigen Tagen einen nichtproletarischen Abkömmling zum Oberhaupt besessen. Petre Groza war der Sohn eines prawoslawen Geistlichen. Im siebenbürgi-schen Orte Bäcia 1884 geboren, ließen die ersten fünf Jahrzehnte seines Lebens nicht vermuten, er werde als Präsident eines „den Weg zum Sozialismus schreitenden“ Gemeinwesens enden. Hochbegabt, studierte er die Rechte in Budapest und an deutschen Universitäten. In Leipzig zum Doktor promoviert, betätigte er sich als Advokat; zunächst in seiner engeren Heimat, dann in Bukarest. Sein Spezialgebiet war die Vertretung „kapitalistischer“ Interessen rumänischer und auswärtiger Industrieller. Damit vertrug sich ausgezeichnet eine rege Teilnahme am politischen Geschehen. Groza erwarb früh ein beträchtliches Vermögen. Seine große Zeit begann nach dem ersten Weltkrieg. Fünf-unddreißigj ährig, zog er ins Parlament des geeinten Rumänien ein. Als Getreuer des populärsten Lieblings der Massen, des als Sieger geltenden Marschalls Averescu, der eine eigene Fraktion, die Volkspartei, begründete und der, mehrmals mit Erfolg, die sonst miteinander um den Vorrang streitenden Nationalzaranisten Manius und Vayda-Voevods und die Liberalen der Brä-tianu überrundete. Des Regierungschefs Averescu Gunst bescherte dem ehrgeizigen Groza den Eintritt ins Kabinett.

Mit dem Abgang des Marschall-Ministerpräsidenten im Jahre 1927 war diese politische Karriere zunächst vorbei. Groza widmete sich seinen Geschäften, ohne dabei auf die Teil-

nähme am öffentlichen Leben zu verzichten. Unter den Liberalen zur Zeit der Regentschaft für den kleinen König Michael, wie unter den Nationalzaranisten bei Beginn der Aera des zurückgerufenen und anfangs übergangenen Königs Carol IL war für Groza kein führender Platz. Noch weniger kam er in der Aera der Königsdiktatur zum Zuge. Obgleich nach wie vor einer der angesehensten Wirtschaftskapitäne und zeitweise Präsident des Industriellenverbandes, ging Groza unterdessen eigene Wege. Er nahm den Gedanken Averescus auf, Maniu und Vayda-Voevod die bäuerlichen Massen durch ein radikales Programm abspenstig zu machen und auf sie das gesamte Regime zu stützen. Grozas Pläne reichten viel weiter, als die des eher zum Faschismus hinüberschielenden Averescu, der 1938 rechtzeitig starb, um nicht den flüchtigen Triumph der neunzig-prozentigen Totalitären Gogas und der hundertprozentigen Codreanus mitanzusehen. Der millionenschwere Geschäftsadvokat und Industrieboß lenkte hin zum Agrarsozialismus und nahe zum Kommunismus. Er formte eine neue Partei, den „Frontul Plugarilor“ (Pflügerfront). Begreiflicherweise war er damit während des zweiten Weltkrieges bei den zwei Antonescus nicht sehr beliebt. Er wurde schließlich verhaftet, doch nach einjährigem Aufenthalt im Gefängnis durch den Umschwung Ende August 1944 wieder befreit. Sofort rückte er in den Vordergrund; als Führer seiner Bauernfront wurde er stellvertretender Ministerpräsident. Ein halbes Jahr später hatten die Russen genug von den einander ablösenden Koalitionskabinetten unter dem Vor-

sitz von Generalen und bei Mitwirkung der. früheren großen „demokratischen“ Parteien. Der Bevollmächtigte Stalins erschien in Bukarest und forderte von König Michael, der die Wendung Rumäniens zu den Alliierten vorbereitet und geleitet hatte und der als einziger Monarch den sowjetischen Siegesorden trug, die Ernennung einer Regierung, in der die Kommunisten den Ton anzugeben und die alten Parteien nichts zu sagen hatten. Zum Vorsitzenden dieses neuen Koalitionskabinetts wurde unter dem Druck Moskaus Petre Groza bestimmt. Vom 6. März 1945 bis in den Juni 1952 waltete er auf diesem Posten.

Unter seiner MinlterPräsidentschaft wurde zunächst eine Nationalversammlung erkoren, in der zwar Grozas Partei nur 71 von 374 Sitzen, die gesamte Regierungsmehrheit aber 339 Mandate innehatte. Der bewährte Begriff „rumänische Wahlen“ fand neuerliche Bestätigung. Binnen eines Jahres wurden die Oppositionsparteien (Liberale, Nationalzaranisten) aufgelöst und verboten, ihre und der Sozialisten Führer mußten ins Ausland entweichen oder sie wanderten in Haft. Am 30. Dezember 1947 erfolgte der heftigste Schlag gegen das Rumänien von gestern: König Michael wurde durch einen Staatsstreich zur Abdankung gezwungen. Man proklamierte die Volksrepublik. Neue Wahlen im März 1948 verstärkten die Regierungsmajorität auf 91 Prozent der abgegebenen Stimmen. Kommunisten und Sozialisten verbanden sich zur marxistischen Einheitspartei; Groza nahm in seine Fraktion eine zweite agrarische Gruppe auf, die aus abtrünnigen Nationalzaranisten hervorgegangen war. Die zwei nun dominierenden großen Parteien herrschten fortan allein, gemeinsam mit einer gesonderten madjarischen Kommunistengruppe. Eine dem stalinischen Sowjetrußland nachempfundene Verfassung trat in Kraft. Sie setzte zum kollektiven Staatsoberhaupt das Präsidium der Nationalversammlung ein,

dessen Präsident die oberste Würde im Lande bekleidete. Zu ihr wurde Groza erhoben, als er auf Moskaus Befehl die Leitung der Regierung an den Ersten Parteisekretär der einheitlichen Rumänischen Arbeiterpartei, Gheorghiu-Dej, abgeben mußte. Dadurch wurde er endgültig vom wirklichen Einfluß auf die Geschicke des Landes ausgeschaltet. Er schwebte fortab in lichter Höhe, residierte in Palästen, gab Audienzen, wurde gefeiert und nahm seinerseits an Feiern teil.

Nicht zuletzt an kirchlichen. Denn dieser Priestersohn und Kommunistenfreund war zeitlebens ein frommer Sohn der pravoslaven Kirche. Wie er das (und seine frühere Wirksamkeit aus seiner hochkapitalistischen Aera) mit seiner späteren Haltung zu vereinbaren wußte, bleibt sein Geheimnis. Er hat jedenfalls, gemeinsam mit dem ganz dem Regime ergebenen Patriarchen Justinian Marina, viel dazu beigetragen, daß sich die offizielle Nationalkirche mit dem offiziellen kommunistischen Rumänien vertrug. Gemeinsam hatten Patriarch und Regierung noch unter Grozas Vorsitz den Vernichtungsfeldzug gegen die den Papst als Oberhaupt anerkennenden Unierten unternommen, die — wenigstens äußerlich — zum Anschluß an die pravoslave Kirche genötigt wurden. Die Rolle, die Groza dabei gespielt hat, gehört mit auf sein Schuldkonto. Als positive Seite ist dagegen anzuerkennen, daß Groza sich in nationaler Hinsicht duldsam erwiesen hat; daß er, der Siebenbürger, das möglichste versucht hat, um Deutsche und Madjaren zumindest vor Verfolgung um ihres Volkstums willen zu schützen.

Seit etwa zwei Jahren war Petre Groza schwer und — wie man wußte — unheilbar krank. Man vernahm von ihm kaum mehr als schönfärberische Bulletins der Aerzte. Mitte November des Vorjahrs wurde der schon sehr Geschwächte operiert. Vergebens. Am 7. Jänner 195 8 ist er gestorben.

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