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Vatikan und Bischöfe im Krieg (II)

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Neben den Rücksichten auf die Lage innerhalb des deutschen Katholizismus mußte massiven Drohungen der Gestapo Rechnung getragen werden, die zum Beispiel den Generalvikar von Berlin, Range, Anfang 1940 vorlud und ihm erklärte, „die Staatspolizei sei angesichts der Kriegszeit nicht mehr wie bisher in Friedenszeiten gewillt, staatsgefährliche Äußerungen von kirchlichen Stellen zu dulden. In Zukunft müssen Äußerungen in Predigten, Hirtenbriefen und Enzykliken, die geeignet seien, die Einheit der inneren Front oder den Wehrwillen des deutschen Volkes zu gefährden — auch wenn eine solche Absicht etwa nicht nachzuweisen wäre —, als Sabotageakte gewertet und strenger als bisher geahndet werden“ (Brief 41 vom 7. März 1940, S. 130).

Die Telegramme des Papstes an die Monarchen von Belgien, der Niederlande und Luxemburgs nach dem deutschen Überfall wurden nicht nur von deutschen und italienischen Parteikreisen, sondern auch von gewissen deutschen Katholiken als antideutsche Demonstration aufgefaßt. Jedenfalls fühlte sich Pius XII. veranlaßt, sich darüber in seinem Brief an die deutschen Bischöfe (Nr. 53 vom 6. August 1940) deutlich auszusprechen: Die grundsätzliche „Unparteilichkeit des Heiligen Stuhles schloß ein die gleichmäßige Rücksicht auf alle am Krieg beteiligten Staaten und Völker, deren Katholiken insgesamt zum Papste als ihrem gemeinsamen Vater aufschauen und das Recht haben, diese geistige Gemeinschaft mit dem Mittelpunkt der Kirche auch während und trotz der kriegerischen Verwicklungen lebendig betätigt zu sehen“.

Diese Unparteilichkeit durfte aber nicht zu einem völligen Verstummen der Stimme des institutionalisierten Gewissens der Menschheit führen, das die Kirche sein will:

„So gewiß diese Unparteilichkeit des Stellvertreters Christi Uns weitestgehende Zurückhaltung auferlegte gegenüber den zwischen den Kriegsparteien strittigen politischen Zielen und von innen gegebenen Begründungen derselben, so wachsam Wir uns mühten, den Heiligen Stuhl vor einer Verstrickung in die Einzelheiten weltlicher Auseinandersetzungen zu sichern, so gewiß ist es, daß diese Unparteilichkeit nicht gleichbedeutend sein durfte mit Unempfindsamkeit und Schweigen, wo sittliche und menschliche Erwägungen ein offenes Wort bedingten. Die Wahrung der Grundsätze des Rechtes und der Sittlichkeit, sei es im privaten, sei es im öffentlichen Bereich, durch den Inhaber des höchsten kirchlichen Hirten- und Lehramtes ist nicht lediglich das Ergebnis geschichtlicher Entwicklung, die unter anderen Voraussetzungen der vollen Rückbildung fähig ist, son dern ein wesentlicher Bestandteil der kirchlichen Wahrheits- und Heilsmission. In solchen Fällen der Kirche unbefugte Einmischung in die Politik vorwerfen — wie es gelegentlich auch von Katholiken geschieht, ja auch von solchen, die als Lehrer der heiligen Wissenschaften das „sentire cum ecclesia“ in besonderem Maße üben sollten —, heißt Aufgabe und Ausdehnung der kirchlichen Autorität in einer Weise einschränken, die weder den Rechten noch der Würde der Kirche Christi entspricht.“

An die deutschen Bischöfe

Und dann sieht sich Pius XII. veranlaßt, den deutschen Bischöfen etwas zu erklären, was den meisten der deutschen Bischöfe an sich klar sein sollte:

„Wir sind ohne weiteres gewiß…, daß ihr in Übereinstimmung mit der überwältigenden Mehrzahl Eurer Priester und Gläubigen die' religiösen Grundlagen und Antriebe dieser Haltung des Papstes zu würdigen wißt und daß die Mißdeutungen einer Unserer Verlautbarungen, wo Wir gewissen, gegen ihren Willen in das Kriegsgeschehen hineingezogenen Staaten Unser Mitgefühl für ihre Not aussprachen, bei Euch die Aufnahme und Beurteilung gefunden haben, die sie verdienen."

Schließlich holt Pius XII. zu einem völkerrechtlichen Exkurs über die deutschen Neutralitätsbrüche aus:

„Wenn im Jahr 1914 der verantwortliche deutsche Staatsmann (Bethmann-Hollweg) den Einmarsch in das neutrale Belgien als jenseits des Völkerrechtes stehend anerkannte, ohne deshalb in seiner patriotischen Gesinnung angezweifelt zu werden, kann es da ein einsichtiger und unabhängiger Beurteiler dem Vater der Christenheit verargen, wenn er bei der erschütternden Wiederholung und Ausdehnung dieses Vorganges den Völkern, die in amtlicher Beziehung zum Heiligen Stuhl stehen, sein väterliches Mitgefühl ausspricht und die Erwartung, daß nach dem Kriege — im Rahmen der dann zu schaffenden neuen Friedensordnung — auch diesen kleinen und friedlichen Völkern in Gerechtigkeit und Frieden ihre Lebensmöglichkeit wiedergeweckt wird? In dieser aus menschlichen und sittlichen Erwägungen hervorgegangenen Verlautbarung, die eine ausdrückliche Bezugnahme auf Deutschland und jede rein politische Stellungnahme bewußt vermied, einen unfreundlichen Akt gegen das deutsche Volk zu erblicken, das im umgekehrten Falle die Unterlassung eines solchen mitfühlende , Aktes ihm gegenüber schmerzlich empfunden haben würde, ist mehr als willkürlich.“

Und dann wendet sich Pius der Ordnung zu, die der siegreiche Nationalsozialismus Europa auf- erlegen könnte zu einem Zeitpunkt, in dem es nicht mehr „zwischen Krieg und Knechtschaft wählen“ (Band der Publikation, S. 7) könnte:

„Eine ,antideutsche Tendenz' könnte hierin nur der erblicken, der es wagte, im Gegensatz zu wiederholten Erklärungen der deutschen Staatsführung die beleidigende Absicht zu unterschieben, bei der nach dem Kriege zu beschließenden Friedensordnung sich nicht von Gesichtspunkten der Gerechtigkeit leiten zu lassen, sondern die Verletzung der Lebensrechte anderer Nationen zu planen“ (S. 165).

Der Papstbrief läßt vermuten, daß die militärischen Erfolge auch auf die deutschen Katholiken einschließlich hoher Persönlichkeiten des deutschen Klerus einen derartigen Eindruck gemacht hatten, daß eine sehr massive Mahnung nötig schien. In diesem Zusammenhang sei an eine Äußerung des italienischen Innenministers an den Nuntius beim Quirinal vom 23. Mai 1940 erinnert, ob denn der Vatikan nicht wisse, daß sich Italien mit Deutschland den Besitz Europas geteilt habe (Dokument 328 des I. Bandes).

Gegen diese Zukunftspläne der Diktaturen über die „Neuordnung“ Europas wendet sich Pius XII.:

„Gott hat Uns die verantwortungsschwere und leidvolle Aufgabe zugewiesen, inmitten der Gegenseite eines sich in die Weite und Länge dehnenden mörderischen Krieges in Christenheit und Menschheit das Bewußtsein ihrer natürlichen und übernatürlichen Gemeinschaftswerte wachzuhalten und sie immerfort daran zu erinnern, daß diese Gemeinschaftswerte morgen nach dem Abklingen der Kämpfe zu den wesentlichsten Grundlagen der neuen Rechts- und Friedensordnung zählen werden, die dieses Namens würdig sein will“ (S. 165).

Diese eingehende Darlegung der Völkerrechtsbrüche Deutschlands und der befürchteten Vergewaltigung der europäischen Völker durch die Diktaturen, war nicht nur für die deutschen Bischöfe bestimmt, doch überließ es der Papst an gesichts des steigenden Druckes des Regimes der Beurteilung der deutschen Bischöfe, was sie vom Inhalt seiner Briefe an den Klerus, an einzelne Laien oder an das ganze deutsche Kirchenvolk Weitergaben sowie je nach den etwa vorhandenen persönlichen Beziehungen an einzelne Funktionäre von Partei und Staat.

Das staatspolitische Interesse an jedem Austausch von Mitteilungen zwischen dem Vatikan und dem deutschen Katholizismus ließ die Gestapo wohl alle Mittel verwenden, um Kenntnis von diesen Briefen und Nachrichten in beiden Richtungen zu erhalten. Der Vatikan mußte daher damit rechnen, daß jeder Brief des Papstes entweder durch unmittelbaren Zugriff oder auf andere Weise den Machthabern bekannt werden konnte. Die italienische Regierung hatte auf die Telegramme des Papstes vom 10. Mai . 1940, wie schon erwähnt, unverhüllt mit Gewaltanwendung gegen den Papst selbst gedroht (Dokument 313 vom 13. Mai 1940, im I. Band). Der Briefwechsel des Papstes mit den deutschen Bischöfen mußte daher auf seelsorgliche und konkordatäre Fragen beschränkt und alles vermieden werden, was von den deutschen Behörden als „Zersetzung des Wehrwillens“, später als „antideutscher Defaitismus“ gewertet und als Vorwand zu weiteren Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Kirche in Deutschland ausgenützt werden konnte. Die deutschen Bischöfe ihrerseits setzten sich durch ihre Briefe und Berichte an den Papst erheblicher Gefahr aus.

Wenn aber kaum je mit völliger Sicherheit verhindert werden konnte, daß die Briefe des Papstes von der Gestapo zumindest „mitgelesen“ wurden, kann nicht ausgeschlossen werden, daß einzelne Stellen der Briefe Pius’ XII. zur Kenntnisnahme durch die nationalsozialistischen Machthaber bestimmt waren, die offizielle Memoranden oder Vorstellungen des Vatikans als „Einmischung in die Politik“ zurückgewiesen oder als „Verbreitung von Greuelnachrichten“ geahndet hätten. Damit gewinnen die Briefe des Papstes an die deutschen Bischöfe ein besonderes Gewicht, weil sie, was bisher übersehen wurde, über die Adressaten hinaus die nationalsozialistische Führung — als indirekte Mahnungen — erreichen mochten.

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