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Vertretbare Baukosten

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Anmerkung der Redaktion: In letzter Zeit mehren 6ich unerquickliche Diskussionen wegen Baukostenüberschreitungen bei öffentlichen Bauten.

Es gibt ein sehr einfaches Kriterium dafür, ob bei einem Bau gespart oder vergeudet wurde: der Kubikmeterpreis des umbauten, Raumes. Er darf in Zeiten der Notlage bei einem öffentlichen Gebäude nicht wesentlich höher sein, als er für einen soliden Wohnbau (Zwischenzinsen eingeschlossen) gilt. Aber diese Behauptung wird man bestreiten: Nimmt man eine ähnliche einfache Faustregel nicht an, so können die öffentlichen Bauten, die sich durch viele Jahre hinziehen, mangels des Studiums ungeheurer Akten auf die Angemessenheit der Kosten kaum kontrolliert werden. Der Bauleiter hat praktisch freie Hand. Zu viele „Ermessensgründe“ bestehen. Wer weist zum Beispiel einer Bau-, Heizungs-, Gerüstungsfirma eine Uberhaltung nach, wenn sie die zu erwartende Verschleppung der Arbeit und der Zahlung die Wirkung des nächsten Preis - Lohn - Paktes usw. einkalkuliert, dann aber vom Preis nicht heruntergeht, obwohl durch einen Zufall Arbeit und Zahlung termingerecht sind? Wer nimmt es ihr übel, wenn sie bei den oftmals ruinösen Ausschreibungsbedingungen sich darauf verläßt, daß Änderungen eintreten und Ersatz des Gewinnentganges bringen? Nur der Spezialist, der ebenso gerissen wie patriotisch ist und der Krähe das Auge aushackt, kann über die Angemessenheit in schwierigen Fällen urteilen.

Einen solchen Mann gibt es nicht. Schließlich ist es Ermessenssache, ob eine technisch besonders vorzügliche oder architektonisch aufwendige Ausstattung des Baues vertretbar oder unverantwortlich ist.

Wenn also bei einem Verwaltungsgebäude der Rechnungshof eine übermoderne Sprechanlage angesichts der unmodernisiert gebliebenen Betriebsmittel als unverantwortlichen Aufwand kennzeichnete, so ist damit wenig oder nichts geschehen. Die Entgegnung, daß Personal gespart und die modernere Rufanlage später nur mit größeren Kosten eingerichtet werden kann, ist unwiderleglich. Fast kommt man also dazu, es vertretbar zu finden, daß die Linzer Bahnhofslöwen (die bekanntlich billig zu haben waren) mehrere Jahre vor den Bahnsteigen aufgestellt wurden. Geht die Entschuldbarkeit wirklich so weit?

Wenn der verantwortliche Baudirektor einer großen Versicherungsgesellschaft gefragt würde, ob ein Maßstab der angemessenen Baukosten unter den heutigen Verhältnissen gefunden werden könne, so würde er lächeln. Er würde zwar Fälle exzessiver Schwierigkeit ausnehmen. Aber für die große Anzahl der Bauten würde er es einfach nicht zulassen, daß man sich auf die gleitenden Preise, die ganz besondere Tücke des Untergrundes usw. ausredet. Er würde den Bauführer, der den Bau verschleppt und ihn nicht in abrechenbare Einheiten zu teilen weiß, davonjagen. Unter keiner Bedingung würde er sich auf lange Bauzeiten einlassen, ja er würde in einer solchen Einstellung den Dilettanten erkennen. Das erste, was er beeinflußt, ist die unbedingte Vermeidung größerer Zwischenzinsen. Denn diese muß er heute mit zehn bis zwölf Prozent, so wie Betriebskredit, rechnen, so daß also ein Bau, der sich sechs Jahre zieht, allein aus diesem Grunde fast doppelt so teuer kommt. Sein Ruf ist nicht durch einen Amtstitel gedeckt, er würde mit dem Bau nicht früher anfangen, als das Baugeld gesichert ist. Das vorbedachte „Bauen auf Raten“ ist für ihn ein Anachronismus, der aus der Zeit der Dome stammt, wo die Steinmetze um Gottes Lohn arbeiteten.

Für die Bewilligung der Baukredite ist nicht das Ressort, sondern der Minister verantwortlich. Aber es ist nicht wahrscheinlich, daß eine Bewilligung erfolgt, wenn das Ressort abrät. „Optische“ Baukredite zu geben, heißt in der Bauführung stümpern, heißt auf unabsehbare Zeit Bauleitungen in den Sattel setzen, die sich Rat wissen, zu dauern, zu wachsen und sich unentbehrlich zu machen. Der mit seinem Ruf haftende private Baudirektor würde sich an das Wort halten: „Man kann ungeheuer viel leisten, wenn man alles sofort fertig macht.“ Käme es dazu, daß Krieg, Bankrott, Planänderung usw. den Bau über Jahre hinauszieht, so würde der mit Geld oder Ruf Haftende immer zuerst das Unumgängliche, was den Bau benutzbar macht, und dann erst das überflüssige, Dekorative in Auftrag geben. Auf jeden Fall würde er klare Abschnitte und klare Verträge machen, um sich nicht ausreden zu müssen, daß die allgemeine Verteuerung größer als die tatsächliche Überschreitung ist. Innerhalb gewisser nicht sehr großer Fehlergrenzen würde er Fundament, Tragkonstruktion, Wände, Installation usw. garantieren und durchführen. Dies ist keine aus dem Rahmen fallende Leistung. Jeder Bauunternehmer muß täglich Gleiches tun. Er behält die Übersicht trotz Preis- und Lohnsteigerungen. Warum sollte es der Auftraggeber nicht können, der mit dem Geld in der Hand die weitaus stärkere Position hat?

Nun ist da allerdings das Kapitel Wiederherstellung — Adaptierung, wo die normalen Offertverfahren einen beträchtlichen Unsicherheitsfaktor enthalten. Hier ist ein festes Kalkül schwer aufstellbar. Der bauliche Zustand kann schlechter sein, als man annahm. Für diesen Fall, der in dieser krassen Form weniger häufig ist als die Interessenten . es dartun, muß trotzdem ein Vorgehen gefunden werden, das zumindest m a ß-1 o s e Überschreitung ausschließt. Es darf nicht vorkommen, daß das adaptierte Gebäude (unter Einrechnung der Zwischenzinsen und des Altbestandes) teurer kommt als ein gleichwertiges neues. Bei einem Bauleitungsfall höchster Schwierigkeitsstufe zeigt es sich, ob die Fähigkeit, über große Budgets zu disponieren, wirklich vorhanden ist. Es ist unmöglich, Genauigkeit des Preises im vorhinein zu erreichen. Aber die wahrscheinlichen Kosten können nach dem eingangs erwähnten Kubikmeterpreis von einem sehr erfahrenen

Mann ziemlich verläßlich geschätzt werden. Es ist zu bezweifeln, ob diese Übung erworben wird in einem Lebensgang, der den Begriff der Erfolgshaftung nicht kennt. Erfolgshaftung ist an Verantwortlichkeit und Vollmacht geknüpft. Hier sind wir beim Kern des Problems. „Alles geht schief, wo über die tatsächliche Macht Zweifel möglich sind“, sagt der spanische Philosoph bezüglich der Völkerinteressen. Beim Bauwesen muß man statt „Macht“ „Verantwortung“ sagen. Bei Vorhandensein von Instanzenzügen ist aber die Verantwortung gleich Null. Nicht einmal der Ruf ist bei künstlerischen, funktionellen oder finanziellen Fehlleistungen in Frage gestellt. Niemand als das System, der modus pro-cedendi, ist zu packen. Der Architekt, wenn er überhaupt kennbar und nicht graue Masse ist, beruft sich auf den Bauausschuß, dieser auf die Finanzen, auf die öffentliche Meinung usw. Und zwar meist mit voller Stichhaltigkeit. Es übersteigt Menschenkräfte, das technische und finanzielle, geschweige das künstlerische Optimum gegen 20 Vorgesetzte durchzusetzen. Um zu vermeiden, daß Überschreitungen vorkommen, daß öffentliche Bauten in der dreifachen Bauzeit hergestellt und künstlerisch charakterlos sind, daß die Meisterung unleugbarer Schwierigkeiten, die durch überflüssige Kompetenzen entstehen, noch dazu den Prätext auf öffentliche Auszeichnung liefern, muß die Planverfassung und Baubeschreibung und Führung dem Fachmann ungeteilt übergeben werden, so daß, wie in früheren Jahrhunderten, e i n verantwortlicher Mann sichtbar wird. Der Beamte, der nicht entwirft, sondern verwaltet, kann Unschätzbares in der Koordinierung der Instanzen tun. Er soll sich nicht mit dem technischkünstlerischen Problem — wie ehedem ein Kreisleiter — wichtig machen. Gerade durch Achtung vor fremdem, schwer erworbenem Ruf kann er Anrecht auf Auszeichnung erwerben.

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