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Vom Reden über das Schreiben

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Nach einem offenen Brief einer der profiliertesten heimischen Dichterinnen im standard, Ilse Aichinger, geht die Kontroverse um den Eröffnungsredner Robert Menasse in die nächste Runde: Gerhard Roth hat seine Teilnahme abgesagt.

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Nach einem offenen Brief einer der profiliertesten heimischen Dichterinnen im standard, Ilse Aichinger, geht die Kontroverse um den Eröffnungsredner Robert Menasse in die nächste Runde: Gerhard Roth hat seine Teilnahme abgesagt.

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Wie aus dem Bundesministerium für Menasse und Kunst verlautet, wird der österreichische Heimatschriftsteller Robert Menasse die Eröffnungsrede anläßlich der diesjährigen Frankfurter Buchmesse mit dem Österreichschwerpunkt nicht auf Vorschlag dieses Bundesministeriums halten, sondern ist von der Frankfurter Buchmessen AG dazu aufgefordert und eingeladen worden, was eine hohe Ehre, aber ein Unterschied ist.

Daß unter solchen Umständen viele Beleidigte, Neider, Nörgler und Nebenpropheten von A bis Sch und soweit das Alphabet reicht auf den Plan treten, mag niemanden verwundern, spricht aber erfahrungsgemäß eher für als gegen die Me-nassesche Eröffnungsqualität. Ein Mann wie Menasse ist nie unumstritten, aber er läßt niemanden kalt. Die Konkurrenz kalauert nun krampfhaft im Ernst der Lage, daß einem der Intellekt hochkommen könnte.

Herr Menasse weiß jedoch, daß es außer ihm noch andere bedeutende österreichische Schriftsteller gibt und bereits gegeben hat, und von ihm selbst stammt der Vorschlag, alle bedeutenden österreichischen Schriftsteller Eröffnungsreden für die Frankfurter Buchmesse schreiben zu lassen und unter dem Titel „Frankfurter Eröffnungen” in einer repräsentativen Anthologie mit einem Vorwort von Robert Menasse und einem Nachwort von Robert Menasse zusammenzufassen. Dieses ehrgeizige Projekt scheiterte allerdings daran, daß die übrigen bedeutenden Schriftsteller teils auch Vorwort und Nachwort selbst schreiben, größtenteils aber unter keinen Umständen zusammen mit einem anderen österreischen Schriftsteller in einem Buch aufscheinen wollten.

In den heute vergleichsweise hellen Zeiten kann man sehen, daß unsere Großeltern mehr oder weniger hochdosierte Nazis und mitunter Völkermörder waren und unsere Enkelkinder schon wieder mehr oder weniger hochdosierte Nazis sind und mitunter Völkermörder werden könnten, dazwischen treten nach wie vor ziemlich viele Opfer auf der Stelle und müssen sich Demütigung um Demütigung bieten lassen. Man muß es sehen und man muß es sagen und man muß es zeigen mit literarischen Mitteln. Aber man muß vorsichtig sein, daß man sich nicht verdächtig macht, wenn man sagt, daß es außer dem latenten Nazigreuel noch andere Ungeheuerlichkeiten und außer der Politik noch andere Sauereien gibt. Wenn man sagt, daß nicht nur im Angesicht des Todes, der ein Meister aus Deutschland und Österreich war, alles lächerlich ist. Man wird leicht mißverstanden, wenn man zu bedenken gibt, daß der Tod ein Weltmeister ist und jedes Finale für sich entscheidet.

Man kann sehen, wie aus Unzufriedenheit und Kurzsichtigkeit und auch aus Dummheit Nationalismus und Rassismus und Faschismus hochkommen, Brutalität und Un-menschlichket und Künstlerhetze. Jedwedes Ungemach erträgt man am leichtesten als Zwischenhändler. Man muß es sehen und man muß es sagen und man muß im Kulturkampf auf der richtigen Seite stehen, aber man darf auf der richtigen Seite auch wieder nicht gerade so stehen, daß man die Sicht auf Robert Menasse behindert.

Ein Schriftsteller darf sich in Zeiten wie diesen nicht verweigern

Immer, wenn er irgendwo ein Gruß-wort zu sagen hat, sagt der Kunstminister, ein Schriftsteller darf sich in Zeiten wie diesen seiner Verantwortung nicht entziehen, und unser Kulturstadtrat sagt das auch, weil es so ein schöner Satz ist.

Die reaktionären Kulturpolitiker von der anderen Seite und vom Volkstumsufer sagen außerdem, ein Schriftsteller hat erstens gratis und zweitens in ganzen Sätzen zu schreiben, ein Schriftsteller hat also in Zeiten wie diesen ganz schön viel zu tun. Umgekehrt darf sich ein Schriftsteller in Zeiten wie diesen von einem Politiker nichts sagen lassen, und Robert Menasse hat diesbezüglich einen historischen Kompromiß gefunden, indem er sich als Schriftsteller in Zeiten wie diesen seiner Verantwortung nicht entzieht.

Wie auch immer: Ein Robert Menasse hat es gar nicht notwendig, sich sozialpartnerschaftskritisch-kulturpolitisch irgendwo irgendwem anzudienen. Wer immer etwas Kluges über Österreich sagen will, wird um ein Menassezitat nicht herumkommen. Überdies hat Menasse noch mehr Humor als Heinrich Boll. Wie man sich heute, keine 50 Jahre nach der Einführung des Fernsehens, kaum noch vorstellen kann, wie die Menschen früher, vor dem Fernsehen gelebt haben, ist es auch nur schwer nachvollziehbar, was

Österreich früher einmal ohne Bobert Menasse gemacht hat. Gut, es hat Stifter und Grillparzer gegeben, aber die haben um die Wette gelangweilt und bleiben bis heute in den Klosterschwesternachtkästchen stecken. Gut, es hat einen Bobert Musil gegeben, aber wer war denn Bobert Musil, bis ihn Menasse tranchiert und für die Soziologie umportioniert hat. Gut, es hat einen Bernhard gegeben, aber wer war denn Bernhard, bevor ihn Menasse in einen sozialhistorischen Gesamtzusammenhang gestellt und seinen Furor und seine poetischen Peitschenhiebe entschlossen entskandalisie-rend als praktisch automatischen Output des Muffs seiner Zeit präsentiert hat? Buchmessener-öffnungsreden-vorbereitungs-existenzen, letzten Endes. Gut, es hat ein paar Universitäten mit ein paar germanistischen und politikwissenschaftlichen Instituten gegeben, aber die haben parteipolitisch gefesselt und außerdem in dunklen Zeiten wurzelnd eigentlich im-Foto Noll mer nur ein

Foto Votava paar zentraltraditionelle Binsenweisheiten zutage gefördert, weshalb Frankfurt auch tausend Jahre mit dem Österreichschwerpunkt gewartet hat.

Die Wahrheit ist: Österreich hat sich überhaupt nicht ausgekannt. Die Österreicher haben sich überhaupt nicht verstanden. Österreich war Österreich ein Rätsel, oft nicht einmal ein Thema. Jahrzehntelang hat Österreich unter dem Tisch Tafelspitz mit Krensauce in sich hineingewürfelt, im übrigen war es völlig orientierungslos. Phasenweise hat Österreich getan, als gäbe es Österreich gar nicht, dann hat es in einem Schub von Eigenständigkeit autonome Gemüsenamen und einen Nationalfeiertag erfunden, wodurch die Bewohner nicht nur in Divergenz, sondern in ständigem Zank und Hader und Verächtlichmachung lebten und einander in einem fort unterstellten, einander anzupinkeln, obwohl sie einander nicht einmal bis zu den Knien reichten, was aber in Neuguinea auch schon vorgekommen ist, und es war niemand da, der System in die Verfährenheit gebracht hätte.

Phasenweise hat Osterreich getan, als gäbe es Osterreich gar nicht

Wohl gab es einen ganzen Haufen Integrationsfiguren, vor allem seit der Einführung des Fernsehens, aber die Integrationsfiguren waren untereinander heillos zerstritten und versuchten einander gegenseitig aus dem Bildschirm zu boxen, daß sie darüber kaum noch zum Integrieren kamen.

So wurstelte Österreich österreichisch und zwischendurch immer wieder Nestroyzoten grölend weiter vor sich hin, geistlos ging Österreich den Gang zu sich selbst, ohne auch nur zu ahnen, daß es eines Tages von seinem eigenen Menasse eingeholt werden könnte. Diese Österreich betreffende Zurückgebliebenheit Österreichs - um nicht mit so drastischen Ausdrücken wie Inkompetenz und Unqualifiziertheit zu operieren - und die in diesem mehr oder weniger ohnmächtig dahinsiechenden Staatsszenario verkündigungshafte, in jedem Fall aber diagnostische Supervisionsposition Menasses (aus der Asche) wird erst so recht deutlich werden, wenn nach der entfußnoteten Diplomarbeit und Dissertation des Österreicherklärers der Nation demnächst auch die Mittelschul-oberstufenerörterungen Menasses in Buchform erhältlich sein werden. (Termine für eine Brasilientournee stehen bereits, um das Vorwort streiten sich Franz Schuh, Josef Haslinger und Bobert Menasse.)

Betrachtungen zur Versenkung der Geschichte in die Vergangenheit

Bei der heißumfehdeten, wildumstrittenen Eröffnungsrede in Frankfurt wird Bobert Menasse alle Neider und Nörgler und Madigmacher und also Autoparodi-sten aber insofern zu verblüffen wissen, als er, wie er ankündigt, diesmal nicht Österreich erklären, sondern über das Schreiben reden - und das heißt: das Schreiben erklären - wird, wozu man zwar -ohne damit etwas gegen die Originalität der Idee gesagt haben zu wollen eigentlich keinen Österreichschwerpunkt brauchte, aber es sollen alle wissen, wie das geht und wie das ist, das Schreiben: Es ist schwer. Manch einer hat seinen Schreibtisch schon in sämtliche Positionen sämtlicher Räume seiner Wohnung gestellt, ohne daß auch nur ein vernünftiges Wort darauf entstanden wäre. Es gibt in Österreich eine eigene Romantradition, in der es darum geht, daß ein Schriftsteller vor lauter Büroeinrichten und Bibliothekshin-undherräumen so lange nicht zum Schreiben kommt, bis der Roman zu Ende ist, federführend unter anderem Robert Menasse. Das wird den Frankfurtern ein nützlicher Hinweis sein. Jedenfalls soll kein internes Mysterium seiner Besprechung entgehen.

Nach all den Überdeutlichen Dreschdichtern, die Österreich in diesem Jahrhundert hervorgebracht hat, wird die subtile Provokation, anläßlich des Österreichschwerpunktes der Frankfurter Buchmesse nicht über Österreich, sondern über das Schreiben zu reden, für die vielen Subsubtilen daheim an den Massenmedien gar nicht in ihrer ganzen Tragweite wahrnehmbar sein, und wenn Menasse geschlossen haben wird, wird zwischen dem Kinde Italien und dem Manne Deutschland der pubertierende Peter Pan seinen Teil denkend ebenso ohrfeigenrosa wie integriert daliegen, sich den Schwerpunkt kratzen, nicht ohne Genugtuung darüber, die Eröffnung und damit letztlich den historischen Durchbruch des Guten-Buches einigermaßen zivilisiert hinbekommen und die anderen reden gelassen zu haben, wie es nun einmal seine Lebensart ist.

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