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Wir brachen das Schweigen

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Warschau, Anfang Juli 1957

In den ersten Nachkriegsjahren zeigten sich die Anfänge einer katholischen sozialen und ku! tirellen Tätigkeit in Polen. Die verschiedensten Versuche, die von den polnischen Katholiken gemacht wurden, waren, wenn auch begrenzt in bezug auf die Reichweite der öffentlichen Wirkung, gehemmt in ihrer alltäglichen Tätigkeit durch administrativen Druck und von Anfang an ohne jegliche Chancen für eine Entwicklung, trotz allem ein Ausdruck der unabhängigen öffentlichen Meinung. Die Verlagstätigkeit, wenn auch bescheiden betreffend Mittel und Auflagen, fand jedoch einen ungemein großen Widerhall in der Oeffentlichkeit. Eine spezielle Rolle spielten die katholischen sozialkulturellen Zeitungen, die sich eines großen moralischen und intellektuellen Prestiges erfreuten und die in dieser Zeit die einzigen Zentren selbständigen Denkens waten. Es waren dies vor allem der Krakauer „T y g o d- nik Powszechny“ (Chefredakteur Jerzy 7 urowicz), „Tygodnik War sza wski" (Redakteur Jerzy Braun), die Monatsschrift „Z n a k“ (Redakteur Stanislaw Stomma) und „P r z e g 1 ą d Powszechny“ (herausgegeben durch den Jesuitenorden). Im politischen Leben wirkte die Arbeitspartei (von Roosevelt bezeichnet als „the party of churchgoing people"), welche das christlich-soziale Programm repräsentierte. Auf dem Gebiet der Literatur und Publizistik, geformt im Geiste der katholischen Weltanschauung, existierte eine minimale, jedoch von vielen äußeren Faktoren abhängige Rede- und Schreibfreiheit. Im Druck und auf der Bühne konnten die Werke katholischer Schriftsteller erscheinen. Es waren dies alles sehr schwache Anzeichen von kulturellem Leben für die katholische Allgemeinheit. Aber schon im Jahre 1946 mußte die Arbeitspartei ihre Tätigkeit infolge von administrativen Einmischungen in ihre inneren Angelegenheiten sowie von Massenverfolgungen durch die Sicherheitsorgane einstellen. Im Jahre 1948 wurde „Tygodnik Warszawski" durch den Sicherheitsdienst brutal liquidiert und seine Redakteure kamen für acht Jahre ins Gefängnis. I änger hielt sich der „Tygodnik Powszechny". Es war dies jedoch -besonders in den letzten Jahren mehr eine Art von Vegetieren und keine schöpferisch-schriftstellerische Tätigkeit mehr. In den Klammern einer unbarmherzigen Zensur präsentierten sich die Zeitungeiv farblos, ohne jegliches unabhängiges und schöpferisches Denken. Im Jahre 1953 stellte ..Tygodnik Powszechny" sein Erscheinen ein: der direkte Grund der Liquidation war die Weigerung, in der Zeitung eine Photographie und einen Nekrolog nach dem Tode Stalins zu bringen.

In der Periode des stalinistischen Terrors und der Vergewaltigung des Denkens, welche jede, auch die allerbescheidenste unabhängige katholische Initiative unmöglich machte, wurde die wahre Meinung der polnischen Katholiken gezwungen, sich unter der Oberfläche des offiziellen öffentlichen Lebens zu verstecken, so das Los der ganzen „schweigenden Kirche“ tei nd. In den letzten Monaten des Jahres 1955 und in den ersten des Jahres 1956 zeigten sich die ersten Symptome eines Ueberwindens des allgemeinen öffentlichen Marasmus und intellektuellen Druckes. Der Verlauf des historischen 20. Parteitages der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und seine Rückwirkungen in unserem' Lande verstärkten noch das „Tauwetter" und erweckten die Hoffnung auf eine baldige radikale Wendung im Leben des ganzen Volkes. An den lebhaften Diskussionen unter Schriftstellern und Künstlern, in den Klubs der jungen Intelligenz und in den Betrieben nahmen auch Intellektuelle und katholische Aktivisten teil, die die Meinung vertraten, daß es möglich sei, aus der ..inneren Emigration", in welcher sie bisher lebten, zurückzukehren. Leicht fanden sie eine gemeinsame Sprache mit Menschen anderer Weltanschauungen in der Präzisierung eines kritischen Ueberblickes über den gegenwärtigen Stand der Angelegenheiten sowie in der Formulierung grundsätzlicher Postulate für eine allseitige Gesundung des öffentlichen Lebens. In dieser Periode verstummten weltanschauliche und ideologische Zwistigkeiten; es existierte nur eine Alternative: Freiheit oder Knechtschaft.

Die anwachsende Welle revolutionärer Stimmungen im Volke, welche die wahre ideologische Richtung der polnischen Katholiken enthüllte,

führte zu den großen Umwälzungen in der Zeit der 8. Plenartagung der Polnisch-Vereinigten Arbeiterpartei. Die Vertreter dieser ideologischen Richtung stammten aus den folgenden Milieus: der früheren Gruppe des „Tygodnik Powszechny", der Wochenschrift „Tygodnik Warszawski“, der vor dem Krieg bekannten und verdienstvollen katholischen Organisation „Odrodzenie", der „Sodalis Marianus“ sowie der katholischen Universität von Lublin, auch die sogenannte „Fronde“ der Pax, welche im Frühling 1955 eine Spaltung in dieser Organisation von „Fortschrittlichen Katholiken" herbeiführte, schloß sich ihnen an. Am 23. Oktober 1956 veröffentlichten sie eine Deklaration, in welcher sie unter anderem folgendes erklärten:

„Die Ereignisse, verbunden mit der 8. Plenartagung der Partei, bewegten das ganze Volk tief. Die Katholiken in Polen legen großen Wert auf die moralische Bedeutung der neuen Richtung der Innenpolitik, welche sich auf Souveränität, und mit dem Stalinismus brechend, auf eine Vertiefung der Demokratisierung unseres Landes stützt. Wir,

die unterzeichneten Schriftsteller und katholischen Aktivisten, unterstützen das Programm des ersten Sekretärs der Partei Wladyslaw Gomulka. Wir freuen uns über seine Feststellung, daß es ein armer Gedanke sei, daß nur Kommunisten den Sozialismus bauen können, nur Menschen mit materialistischer Weltanschauung. Wir wollen zusammen mit dem ganzen Volk, mit der Jugend und den Arbeitern nach allen unseren Kräften und Möglichkeiten beim Bau eines neuen Lebens ii unserem Lande mithelfen. Gleichzeitig erklären wir entschieden, daß wir nichts gemeinsam haben mit den Ausführungen von Boleslaw Piasecki, welche er in seinem bekannten Artikel .Staatsinstinkt' vertrat, Ideen welche der Demokratisierung unseres politischen Lebens in Polen entgegengesetzt sind. Im Gegensatz zu dem, was man bisher annahm, repräsentieren Boleslaw Piasecki und seine Gruppe PAX nicht die katholische Gesamtheit in Polen. Alle wirklich fortschrittlichen und lebendigen katholischen Kräfte begrüßen begeistert den großen Umschwung in unserem Leben und haben den ehrlichen Willen, mit vereinten Kräften mitzuhelfen an der Errichtung einer wirklichen sozialen Gerechtigkeit in Polen, gestützt auf Freiheit, Wahrheit und Rechtschaffenheit.“

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