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Zu diesem „Europa“: Nein!

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Während kürzlich in Paris mit Gepränge die Feierlichkeiten zum zehnjährigen Bestand der OEEC, der Organisation für die wirtschaftliche Zusammenarbeit Europas, abrollten, war diese Institution innerlich, in ihrer Existenz, wohl noch nie so bedroht wie gerade jetzt, da die Verhandlungen zur Schaffung einer Freihandelszone vor dem Scheitern stehen.

Die OEEC hat im Laufe der zehn Jahre von einem außereuropäisch beeinflußten Forum — standen doch die Vereinigten Staaten, um ■ einzelstaatliche, egoistische Ausbruchsversuche aus dem Marshall-Plan zu verhindern, hinter dieser Gründung — zu einer echten Interessenvertretung Europas gefunden. Sie baute die mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen ab, so daß heute in ihrem Raum der Warenverkehr zu zirka 85 Prozent (Oesterreich 90,3 Prozent) liberalisiert ist, und gründete die Europäische Zahlungsunion (EZU), die zu einem multilateralen Zahlungsverkehr und zur Konvertierbarkeit der Währung führte.

Diese Schritte haben ganz entscheidend zum wirtschaftlichen Aufschwung des „Kontinentes am Rande Asiens“ beigetragen, ohne den eine weitere wirtschaftliche Integration des heutigen Europas sehr schwierig wäre.

Die bisherige Tätigkeit der OEEC hat sich aber nun von selbst erschöpft, und ihre nächste Aufgabe auf dem Wege zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit wäre: die Zollschranken zu beseitigen.

Ein Problem, das sich gleichsam von selbst aufgedrängt hat, um so mehr, da die diesbezüglichen Verhandlungen im GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) in Genf auf einem toten Punkt angelangt sind. Diesem Ziele dienen nun in erster Linie die Verhandlungen zur Schaffung einer Freihandelszone. Sollten diese mißlingen, so hat auch die OEEC ihre weitere Existenzberechtigung verloren, und ihr Bestand würde, wie der so manch anderer internationaler Organisation, lediglich theoretischen Untersuchungen und der Erhaltung ihres Beamten- und Funktionärapparates dienen.

Ab 1. Jänner 1959 werden die ersten Maßnahmen des Vertrages der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wirksam werden. Die aus der Montanunion hervorgegangene Wirtschaftsgemeinschaft der Sechs wird durch den gegenseitig gewährten Zollabbau die übrigen elf OEEC-Staaten zollpolitisch spürbar benachteiligen.

Vorsichtig empfahlen daher bereits der OEEC-Generalsekretär S e r g e n t und Präsident H a 11 s t e i n im Falle eines Scheiterns der Freihandelszonenverhandlungen den übrigen elf OEEC-Staaten, im Rahmen des GATT freiwillig die Zollsenkung der EWG mitzumachen. Sie könnten so vorerst einer Diskriminierung durch die EWG entgehen.

Wohl wäre theoretisch nach Artikel XXIV/5 des GATT: „die Bestimmungen dieses Abkommens verhindern nicht ... die Annahme eines interimistischen Abkommens, das zur Schaffung . . . einer Freihandelszone notwendig wäre“, eine freiwillige zehnprozentige Zollsenkung möglich. Sie brauchte von den elf Staaten trotz der Meistbegünstigungsklausel in Artikel 1 nicht den übrigen GATT-Ländern, zum Beispiel den Oststaaten oder Australien, eingeräumt werden.

Doch stellt dieser Vorschlag eine Notlösung dar, deren praktische Durchführbarkeit bei den divergierenden Wirtschaftsinteressen dieser elf Staaten besser nicht auf die Probe gestellt werden sollte und die weiteren Verhandlungen zur Schaffung einer Freihandelszone keineswegs erleichtern würde.

Die Lage ist ernst. Der von Minister Maud-ling, dem Vorsitzenden des intergouvernemen-talen Komitees, zur Schaffung einer Freihandelszone gesetzte Termin vom 31. Juli 1958, bis zu dem der Text des Freihandelszoncnvertrages fertig sein sollte, kann nicht eingehalten werden.

Dies dürfte auch jüngst die Vertreter der Industrie veranlaßt haben, die nach Minister Maud-ling bisher zum Teil nicht immer als die wärmsten Befürworter einer Freihandelszone galten, ein Memorandum mit dem Titel: „Freier Handel in Westeuropa“ herauszubringen. Diese Stellungnahme der Industrieverbände und Arbeitgeberorganisationen der wichtigsten OEEC-Länder, die von der EWG ausgeschlossen sind (man nennt sie scherzhaft die „Six non Six“), hofft, durch seine Vorschläge das derzeit gestrandete Schiff der Freihandelszonenverhandlungen wieder flottzumachen.

Interessant ist hierin die Annäherung zwischen den englischen und dänischen Industrievertretern in der so sehr umstrittenen Frage der Eingliederung der Landwirtschaft in eine Freihandelszone, die bisher auf Regierungsebene nicht erreicht werden konnte.

So sehr dieser Schritt zu begrüßen ist, wird die Entscheidung über die Freihandelszone doch der französische Gegenvorschlag über die „Europäische,., UniqaJüj, wirtschaftlidier Zesam- menarbeit“ bringen* de.r ,den bisherigen* : Plan i einer Freihandelszone verwässern will; er soll nun seit längerem im Schöße des EWG-Ministerrates in Straßburg zu einem Memorandum der gesamten EWG umgearbeitet werden. Leider hört man gerade aus dieser Richtung keine guten Nachrichten.

Schon die Stellungnahme, die vom Präsidenten Hallstein dem EWG-Ministerrat vorgelegt wurde und die die vorläufige Meinung der Europäischen Kommission wiedergibt, weicht nicht allzusehr von dem französischen Gegenvorschlag ab. Eine Uebernahme der Bestimmungen des EWG-Vertrages, vor allem in der Frage der Wettbewerbsregelung, wird- empfohlen; weiter müsse die Freihandelszone Frankreich, Italien und Holland eine Ausweitung des landwirtschaftlichen Exportes sichern; und vor allem sei die Forderung nach Harmonisierung der Soziallasten in allen Ländern, die die Franzosen mit der Beharrlichkeit eines trotzigen Kindes seit dem Beginn der Verhandlungen wiederholt haben, eine condictio sine qua non.

Am bedauerlichsten ist aber wohl, daß Präsident Hallstedt ein Inkrafttreten der Freihandelszone nach dem 1. Jännen 1959 — also später, als die Zollsenkungen der EWG beginnen—für durchaus angemessen zu halten scheint; also eine Diskriminierung aller „Nicht-EWG-Staaten“ in der OEEC, somit auch Oesterreichs. Bei seinem letzten Besuch im Februar dieses Jahres in Wien wurden seine Worte anders gedeutet. Darf er wegen einer deutsch-französischen Verständigungspolitik um jeden Preis das größere Europa vergessen?

Positiv in der Stellungnahme ist allerdings zu werten, daß die Einbeziehung von Kohle und Stahl (Montanunionwaren) in eine Freihandelszone als unbestritten gilt und der französische Vorschlag eines sektorenweisen Zollabbaues fallengelassen und nur als nützliche Studienmethode anerkannt wurde.

Soweit die Vorschläge der Europäischen Kommission der EWG, die nurvoji.einem.jJondej-komitee des -EWG-Ministerrates zu einem endgültigen- Expose der EWG zur Freihandelszone ausgearbeitet werden sollen. Dieses wird dann zweifellos das Schicksal der Freihandelszone entscheiden.

Doch ist zu befürchten, daß eine kurzsichtige kleineuropäische Politik im Kommen ist. Und dies trotz der deutsch-englischen Verhandlungen anläßlich des letzten Besuches Dr. Adenauers in London.

Präsident H a 11 s t e i n erklärte vor dem Ministerrat, die EWG dürfte sich keineswegs durch eine Freihandelszone von ihren Integrationsplänen abbringen lassen. Während einer französischen Parlamentsdebatte meinte der angesehene Abgeordnete T e i t g e n (MRP) spöttisch, daß es bei der EWG um die politische Einigung Europas gehe und nicht „um den freien Verkehr von Eiskästen und Sardinen in den sechs Ländern“. Letztlich versicherte noch der Italiener M a 1 v e s ti t i großzügig, eventuell könne eine Freihandelszone einige Jahre nach dem Beginn des Gemeinsamen Marktes der Sechs gegründet werden.

Was haben diese Erklärungen zu bedeuten? Soll das EWG-Expose ein Dolchstoß gegen den großen Europäischen Markt werden?

Schon mußte die letzte Sitzung des inter-gouvernementalen Komitees zur Schaffung einer Freihandelszone (Maudling-Komitee) in Paris infolge Fehlens des Exposes der EWG zur Freihandelszone frühzeitig abgebrochen werden. (Der als Grund angegebene bevorstehende Eisenbahnerstreik war nur ein willkommener äußerer Anlaß.) Schon mußte die für den 2. und 3. Mai angesetzte nächste Sitzung vertagt werden.

Warum wird das EWG-Expose“ zur Freihandelszone verschleppt?

Soll wirklich ein multilaterales Abkommen,gebracht werden, damit sechs Staaten Westeuropas, die sich nicht gerade bescheiden als geeintes Europa bezeichnen, auf Kosten der übrigen elf „freien Handel“ betreiben können? Oder sollen als Kompromiß an Stelle der multilateralen bilaterale Verhandlungen gesetzt werden, zwischen der Wirtschaftsmacht EWG und zum Beispiel je Schweden, Schweiz oder Oesterreich?

Zu solchen „europäischen Plänen“ kann und wird Oesterreich nur ein klares Nein sagen.

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