Der neue Kult ums Stillen

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Stillen gilt als ideale Ernährung für einen Säugling. Dementsprechend wird es auch forciert. Nun regt sich aber Widerstand von einigen Feministinnen: Es würde erneut ein Mutterideal genährt.

Stillen war immer schon in den Fängen von Ideologien: Vor wenigen Jahrzehnten war Stillen für einige Frauen ein Akt der Befreiung von strengen Vorschriften bezüglich Babyernährung und Normen, wie sich Frauen zu verhalten hätten. Noch im November 1990 sorgte die grüne Abgeordnete Christine Heindl für Aufregung, als sie im Parlament ihr Kind stillte. Heute fühlen sich einige Frauen wieder unter Druck gesetzt, stillen zu müssen, um das Beste für das Baby und auch für sich zu tun. Entlang dieser Positionen diskutieren die Journalistin Sibylle Hamann und Waltraut Kovacic - sie gründete die erste Stillgruppe der Stillvereinigung La Leche Liga - über Mutterideale, die Unabhängigkeit der Frauen und die Rolle der Väter.

Die Furche: Frau Kovacic, Stillen ist "in". Sie als langjährige Stillberaterin müsste dieser neue Boom oder Kult ja freuen?

Waltraut Kovacic: Ich bin sehr erstaunt über den ideologischen Streit, der nun wieder losgebrochen ist. Ich dachte, wir sind darüber längst hinweg. Ich nehme zudem keinen Still-Boom wahr - ganz im Gegenteil. Teile der Bevölkerung, etwa viele Migrantinnen, stillen kaum. Für sie heißt Fortschritt, einen teuren Kinderwagen und teure Babynahrung zu kaufen.

Die Furche: Laut aktuellster Erhebung zur Säuglingsernährung in Österreich (2006) beginnen immerhin 93 Prozent der Frauen mit dem Stillen, nach drei Monaten stillen noch 60 Prozent voll.

Kovacic: Gott sei Dank. Als ich als Stillberaterin angefangen habe, wurden nach drei Monaten nur mehr fünf Prozent der Säuglinge gestillt. Das ist vom gesundheitlichen Standpunkt her sehr schlimm, wenn man etwa die Prävention von Allergien anschaut.

Sibylle Hamann: Also, ich habe schon das Gefühl, dass es mittlerweile zum guten Ton gehört zu stillen. Wer es nicht macht, muss sich rechtfertigen, sogar vor wildfremden Menschen.

Die Furche: Sie Frau Hamann, sind kritisch, was diesen Still-Kult betrifft. Warum?

Hamann: Ich sehe alles kritisch, was Druck macht. Familien - Kinder, Frauen und Männer - geht es dann gut, wenn sie entspannt sind. Jeder bläut Frauen ein, dass Stillen das Allerbeste und Allerwichtigste sei, und wenn es dann nicht klappt, wird einem eingeredet, dass man scheitert. Das ist wie bei der natürlichen Geburt, da heißt es auch, es muss alles ohne Schmerzmittel gehen.

Kovacic: Ich gebe Ihnen in dem Punkt recht, dass von Beginn der Schwangerschaft an allgemein ein irrsinniger Druck aufgebaut wird: Welche Untersuchungen werden wahr genommen, wie ernährt man sich richtig und Weiteres. Wir waren damals in den 70er-Jahren die erste Generation, die gesagt hat, wir befreien uns von den Vorschriften von Ärzten und anderen Müttern, die gesagt haben, du musst alle vier Stunden füttern, du musst mit dem Baby zuhause bleiben, du musst das Kind immer wiegen. Das Stillen war für uns ein emanzipatorischer Akt! Damals wurde eine Frau, als sie am Donaukanal in der Dämmerung ihr Kind gestillt hat, wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses angezeigt. Wir haben uns vieles erkämpfen müssen. Aber wer übt heute diesen Druck aus, von dem Sie sprechen?

Hamann: Was die Auflehnung gegen Normen betrifft, die die Freiheit der Frauen einschränkten, da bin ich total bei Ihnen. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich damals auch dabei gewesen wäre. Aber heute spüre ich einen starken Druck in die umgekehrte Richtung. Wenn wir Selbstbestimmung wollen, dann müssen wir uns davon befreien. Es gibt eine Sackgasse im Feminismus, die versucht, die körperlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau wieder überzubetonen. Die sagen, Frauen sind besser dazu geeignet, ihr Kind zu versorgen und sie sollten stolz darauf sein. Das steht auch auf der Homepage der La Leche Liga. Das sehe ich als Sackgasse, weil das mit gleichberechtigter Elternschaft, so wie ich es verstehe und worin ich die Zukunft der Familien sehe, nicht vereinbar ist.

Kovacic: Gleichberechtigte Elternschaft kann doch nicht davon abhängen, wie das Baby die ersten sechs Monate ernährt wird. Wichtig ist aber: Wir wollen Frauen dazu verhelfen, dass sie stillen können, wenn sie es wollen. Es gibt keine einzige Nahrung, die so ideal und individuell aufs Kind abgestimmt ist wie die Muttermilch.

Hamann: Da werde ich Ihnen nicht widersprechen. Ich sag nur, dass man diese Vorteile, die das Stillen zweifelsfrei hat, abwägen sollte gegenüber Vorteilen, die das Nicht-Stillen hat. Diese nüchterne Abwägung findet leider nicht statt. Es wird immer vorausgesetzt, es muss gestillt werden und alles andere richtet sich danach. Dadurch entsteht ein Ungleichgewicht bereits im ersten Lebensjahr eines Kindes. Wenn junge Familien überlegen, wie sie ihr Leben organisieren, gehen sie oft selbstverständlich davon aus, dass die Mutter wegen des Stillens ein Jahr zuhause bleiben muss. Man fängt gar nicht an, über Alternativen nachzudenken, zum Beispiel, dass beide halbtags oder tageweise arbeiten gehen.

Die Furche: Besteht also die Gefahr, dass durch das Stillen ein neues Mutterideal gefördert wird. Auf der Homepage der Stillvereinigung La Leche Liga steht: Stillen stärkt das Selbstbewusstsein der Mutter, denn nur sie allein kann in dieser perfekten Weise für ihr Kind sorgen.

Kovacic: Das stimmt für mich. Stillen ist perfekt, was die Ernährung des Babys betrifft. Zudem konnten und können wir sagen: Wir brauchen die Werbung und Industrie nicht, wir können das allein!

Hamann: Was gleichzeitig heißt, wir brauchen die Männer dafür nicht. Kein Wunder, dass sich ein Vater da ausgeschlossen fühlt. Er steht dabei und kann nichts tun, er kocht ein bisschen, geht dann bis spätabends arbeiten und nach einem Jahr fühlen sich beide unverstanden und frustriert. Da nehmen wir den Kindern die Chance, eine zweite vollwertige Bezugsperson zu haben.

Kovacic: Aber die Frage des Fütterns ist doch nur ein Aspekt, es gibt viele weitere Möglichkeiten für den Vater, eine intensive Beziehung zum Kind aufzubauen.

Hamann: Ja, man kann vieles kompensieren, wenn man sich sehr bemüht. Aber wenn der Vater von Anfang an das Gefühl bekommt, ich kann alles, was die Mutter auch kann, dann hat das Kind von Anfang an zwei vollwertige Bezugspersonen, die auf seine Bedürfnisse in gleicher Weise reagieren können. Das wirkt sich langfristig auf die Vater-Kind-Beziehung aus und nimmt Druck von den Müttern, immer funktionieren und versorgen zu müssen.

Kovacic: Ich glaube aber schon, dass es von der Natur so eingerichtet wurde, dass in der ersten Zeit die Mutter das Kind ernährt - wozu haben wir den Busen? Ich sehe zudem, dass das Stillen gerade zur Unabhängigkeit verhilft. Ich bin unabhängig von Konsum, Ort und Zeitvorschriften. Wir sind mit den Babys überall hingegangen.

Die Furche: Auch wieder in den Beruf?

Kovacic: Auch das geht. Aber bei uns fehlt es an staatlichen und privaten Betreuungssystemen für Babys. Es gibt kaum Betriebskrabbelstuben.

Die Furche: Was könnte man also besser machen? Ich nehme an, Frau Hamann, Sie wollen auch nicht, dass stillfördernde Maßnahmen wieder zurückgenommen werden?

Hamann: Jegliches Angebot, das vom Wunsch der Frau ausgeht und das ihr hilft, draufzukommen, was sie will, ist gut. Wichtig wäre weniger Ideologie. Dafür mehr Augenmerk darauf, was ist gut für mich und was tut uns als junge Familie gut.

Kovacic: Ich stimme Ihnen zu. Es geht darum, Hilfe anzubieten und Familien Zeit und Unterstützung zu geben, die sie brauchen. Aber ich sehe nicht, dass etwa in Kliniken so ein Druck ausgeübt wird. Es gibt immer noch Frauen, die stillen wollen, die aber verzweifelt anrufen, weil sie in den Kliniken nicht genügend Unterstützung bekommen haben. Ich sehe auch Frauen, vor allem jene, die nicht so gut Deutsch sprechen, die überhaupt kaum Unterstützung bekommen, denen das Fläschchen in die Hand gedrückt und gesagt wird: Nun mach! Das ist meine Beobachtung. Es bräuchte also noch mehr Unterstützung und Information.

Hamann: Es sollte auch in anderen Bereichen mehr Unterstützung geben, nicht nur beim Stillen. Ich fände einen Papa-Monat gut (ein Monat bezahlter Urlaub für den Vater nach der Geburt, Anm.). Das wäre sehr hilfreich, weil es die Chancen erhöht, dass eine Familie Dinge miteinander ausprobiert und sich Rollen nicht gleich festigen.

* Das Gespräch moderierte Regine Bogensberger

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