Hartnäckige Vorurteile

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Der Film "Dr. Jekyll undMr. Hyde" prägte das Bild vom an Schizophrenie erkrankten Menschen in unsererGesellschaft. Zu leiden haben darunter Betroffene und deren Familienangehörige, denn die landläufigen Vorurteile führen zur sozialen Stigmatisierung.

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Der Film "Dr. Jekyll undMr. Hyde" prägte das Bild vom an Schizophrenie erkrankten Menschen in unsererGesellschaft. Zu leiden haben darunter Betroffene und deren Familienangehörige, denn die landläufigen Vorurteile führen zur sozialen Stigmatisierung.

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Wie oft werden Menschen und deren Verhaltensweisen als "schizophren" bezeichnet, ohne die eigentliche Bedeutung des Wortes zu kennen? Der landläufig verwendete Begriff für unverständliches und widersprüchliches Verhalten hat mit der Erkrankung Schizophrenie nicht das Geringste gemeinsam.

Für Betroffene und deren Angehörige bedeutet die soziale Stigmatisierung mitunter eine größere Belastung als die Erkrankung selbst. Im Herbst dieses Jahres startet daher unter der Ägide der Weltgesundheitsorganisation WHO eine internationale Anti-Stigma-Kampagne, an der sich auch österreichische Institutionen beteiligen.

Umfragen zufolge glauben 55 Prozent der Österreicher, dass Schizophrenie-Kranke eher zu Gewalttätigkeit neigen als psychisch Gesunde. Auch die Hälfte der Allgemeinmediziner stimmt diesem Vorurteil zu. Die Annahme der Unberechenbarkeit und der Gefährlichkeit dürfte das Hauptargument für die herrschenden Berührungsängste und die soziale Ausgrenzung psychisch Kranker darstellen.

Todesangst Der Vorstand der Psychiatrischen Universitätsklinik in Wien, Universitätsprofessor Heinz Katschnig räumt diese Vorturteile jedoch aus: "Die Wahrscheinlichkeit von einem Schizophrenie-Kranken auf der Straße attackiert zu werden, ist äußerst gering." Der Prozentsatz der Gewalttaten ist bei Menschen mit psychischen Erkrankungen zwar geringfügig höher als bei psychisch Gesunden, dabei spielt laut Katschnig der Missbrauch von Alkohol und Drogen aber die größte Rolle.

Vorurteile sind jedoch hartnäckig: die Fehlannahme der "gespaltenen Seele" nach dem Motiv von Dr. Jekyll und Mr. Hyde trägt ebenso dazu bei, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen nur sehr zögernd begegnet wird. Schizophrenie-Patienten leiden jedoch nicht an einer Persönlichkeitsspaltung, sondern unter Störungen des Denkens und der Sprache - und dies nur in bestimmten Phasen ihres Lebens. Häufige - aber nicht immer vorkommende - Symptome sind außerdem Wahnideen, Halluzinationen und mangelndes Interesse an sozialen Kontakten.

"Ich habe meine Erkrankung für eine Art spirituellen Ausnahmenzustand gehalten, gepaart mit massiven Schuldgefühlen bis hin zur Todesangst." Jahrelang ist Christian Horvath mit Selbstmordgefühlen eingeschlafen und auch wieder aufgewacht. Seine Umgebung bemerkte zwar die Veränderungen, kam aber nicht auf den Gedanken, dass er vielleicht Hilfe benötigen würde. "Ich selbst habe eines Tages zu meinem Vater gesagt: Komm, wir fahren jetzt in die Psychiatrie." Eine Kombination aus Medikamenten und Gesprächstherapie hat Horvath dann geholfen, die Erkrankung in den Griff zu bekommen.

Der ehemalige Psychiatriepatient setzt sich heute unermüdlich für eine andere Sichtweise im Umgang mit Schizophrenie-Kranken ein. Aus eigener Erfahrung weiß er, dass psychisch Kranken in unserer Gesellschaft durch die Ausgrenzung und Stigmatisierung seelische Wunden zugefügt werden. Ihm selbst machen diese Kränkungen heute mehr zu schaffen, als sein psychischer Gesundheitszustand, schildert Horvath.

Ein gängiges Stereotyp lautet etwa, psychisch Kranke wären intellektuell nicht für voll zu nehmen. Stimmt nicht, meint Horvath. Sie sind nur viel sensibler und durch plötzliche Veränderungen leicht zu irritieren. Auch den Vorwurf, dass die Patienten träge wären, lässt er nicht gelten. "Sie sind vielmehr durch ihre Erkrankung so sehr in Anspruch genommen, dass ihnen die Energie für andere Aktivitäten fehlt." Horvath hält daher laufend Vorträge zum Thema Schizophrenie und bemüht sich unter anderem an Schulen darum, das Verständnis für die Betroffenen zu vergrößern.

Als Psychiatrieerfahrener hilft Horvath aber auch anderen Betroffenen bei der Bewältigung der Erkrankung. So hat er vor elf Jahren gemeinsam mit drei anderen Psychiatriepatienten die Selbsthilfegruppe "Crazy Industries" gegründet. Beim wöchentlichen Stammtisch treffen sich heute etwa 20 bis 30 Mitglieder der Gruppe in einem Wiener Kaffeehaus. Es ist aber nicht immer leicht, Betroffene zur Teilnahme an derartigen Aktivitäten zu motivieren, weiß Horvath. Die kräfteraubende Erkrankung und die oft zusätzlich bestehenden depressiven Stimmungen machen Gruppenabende für manche zu einem scheinbar unüberwindlichen Hindernis.

Doch das Durchbrechen der Isolation erweist sich als gutes Mittel gegen Schuldgefühle und Selbstvorwürfe, die Schizophrenie-Kranke häufig quälen. Die Gruppe hat auch bereits gemeinsame Reisen unternommen, was anfänglich bei den betreuenden Ärzten große Skepsis hervorrief. Ihre gemeinsame Erfahrung und die Tatsache, dass sie sich in Krisensituationen gegenseitig unter die Arme greifen können, trägt entscheidend zum Erfolg der gemeinsame Urlaube bei. Heute werden diese Reisen von Fachärzten bereits massiv unterstützt.

Aber nicht nur Betroffene, sondern auch deren Angehörige leiden mitunter an massiven Schuldgefühlen, wenn bei einem Familienmitglied die Diagnose "Schizophrenie" gestellt wird. Da die Symptome in der Regel schon im jungen Erwachsenenalter auftreten, sind es meist die Mütter, die glauben "etwas falsch gemacht zu haben". Lange Jahre wurde die Hypothese von der "Schuld" der Mutter auch in Wissenschaftskreisen festgehalten. Heute geht die medizinische Forschung jedoch von einem "Vulnerabiltitäts-Stress-Modell" aus, obwohl die genauen Ursachen der Schizophrenie noch unbekannt sind. Nach dieser Theorie neigen besonders verletzliche Menschen unter Stress eher zu einer Erkrankung des schizophrenen Formenkreises als andere.

Keine Schuldgefühle "Es ist ganz wichtig, den Angehörigen diese Schuldgefühle zu nehmen", betont Ingrid Rath, Vorsitzende der Angehörigen-Vereinigung "Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter" (HPE-Österreich). "Durch die Selbstvorwürfe wird jedes optimistische Agieren verhindert", so Rath. Das heißt aber nicht, dass die Angehörigen für die Zukunft nicht umlernen müssen. Etwa 60 bis 70 Prozent aller Schizophrenie-Kranken werden zu Hause betreut. Da müssen die Familienmitglieder lernen, sich auf eine völlig neue Situation einzustellen. Sie müssen aber auch lernen, ihre eigenen Bedürfnisse nicht zu vernachlässigen. Eine Empfehlung der HPE lautet etwa, dass - abgesehen von Akutsituationen - sich nicht alles in der Familie um die Erkrankung drehen sollte. Angehörige von psychisch Kranken neigen dazu, in ihren Sorgen unterzugehen. Doch gerade sie brauchen auch eigene Interessen und Freiräume. Und sie müssen lernen, ihre eigenen Grenzen zu erkennen und auch die des erkrankten Familienmitgliedes zu respektieren. "Es muss auch die Möglichkeit geben, die Wohnsituation zu trennen, denn oft schafft erst die Distanz die notwendige Nähe", meint Rath. Die in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelte soziale Unterstützung macht betreutes Wohnen für psychisch Kranke aber nicht immer einfach. "In Wien ist die Situation dank der psychosozialen Dienste sehr gut gelöst, es tauchen allerdings immer wieder Probleme bei älteren, chronisch kranken Patienten auf", berichtet Rath.

Da viele Schizophrenie-Patienten ihren Beruf nicht mehr ausüben können oder auch durch den frühen Erkrankungsbeginn die Chancen auf Ausbildung und Einstieg in den Arbeitsalltag verpasst haben, tun sich mitunter große soziale Nöte auf. Daher findet sich auch unter Obdachlosen ein hoher Prozentsatz von Menschen, die an psychischen Erkrankungen leiden. "War der Erkrankte schon berufstätig, so hat er meist Anspruch auf eine Invaliditätspension." Viele sind aber gezwungen, von der Sozialhilfe zu leben, wobei mit Ausnahme von Wien, Salzburg und Oberösterreich die Familienangehörigen mit Regressforderungen konfrontiert werden. "Diese Regelung trägt nicht gerade zur Förderung der Selbständigkeit bei", beklagt Rath.

Neben einem breiten Unterstützungsangebot für Angehörige von Patienten mit psychischen Erkrankungen, bemüht sich die HPE Österreich laufend um den Abbau von Vorurteilen gegenüber an Schizophrenie Erkrankten. Vielen Angehörigen ist es heute noch immer nicht möglich, mit jedem über die psychische Erkrankung in ihrer Familie zu sprechen.

Nicht verstecken Die Selbsthilfegruppe rät in ihren Informationen jedoch dazu, "sich nicht zu verstecken". Auch Nachbarn und Arbeitskollegen müssen sich mit den seelischen Schwierigkeiten anderer auseinandersetzen. "Gemeinsam mit der Organisation Pro Mente (eine Trägerorganisation zur extramuralen Versorgung psychisch Kranker, Anm. d. Red.) werden wir uns im Herbst an der WHO-Kampagne zur Entstigmatisierung beteiligen", schildert Rath. Geplant ist dabei unter anderem die verstärkte Zusammenarbeit mit den Medien, um der unsachgemäßen Verwendung des Schizophrenie-Begriffes entgegenzuwirken.

Trotz anderslautender Meinungen ist Schizophrenie auch nicht unheilbar. "Ein Drittel der Betroffenen wird wieder völlig gesund", erklärt Psychiater Katschnig. Bei zwei Drittel der Patienten können völlig unterschiedliche Verlaufsformen vorkommen. Es kann zur völligen Rückbildung einer Krankheitsphase kommen, wobei später wieder eine neuerliche Erkrankung auftritt. Es gibt aber auch Formen, die durch eine ständige Verschlechterung charakterisiert sind.

Neben der medikamentösen Therapie mit Hilfe von Neuroleptika setzen Experten wie Katschnig auf die Unterstützung durch psychotherapeutische und soziotherapeutische Maßnahmen. Gerade letzterer Therapiezweig, der den Betroffenen die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben ermöglichen soll, kämpft heute nicht nur mit Akzeptanz-, sondern vor allem mit Finanzierungsschwierigkeiten.

Die Autorin ist freie Medizinjournalistin in Wien.

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