Alzheimer: Verloren in der Vergeßlichkeit

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Alzheimer ist im Vormarsch. In Österreich sind bereits mehr als 100.000 davon betroffen. Die meisten werden von den Angehörigen gepflegt, doch diese bräuchten mehr Hilfe.

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Alzheimer ist im Vormarsch. In Österreich sind bereits mehr als 100.000 davon betroffen. Die meisten werden von den Angehörigen gepflegt, doch diese bräuchten mehr Hilfe.

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Die Krankheit beginnt meist schleichend und unbemerkt: leichte Verwirrung, Stimmungsschwankungen, Lustlosigkeit. Die Betroffenen vergessen gelegentlich den Herd abzudrehen und finden einen Ort nicht wieder. Nach und nach treten Schwierigkeiten bei der Verrichtung alltäglicher Tagesabläufe auf: Waschen, Anziehen oder Einkaufen.

Die Diagnose lautet häufig Alzheimer (70 Prozent aller Demenzerkrankungen). Bei dieser chronischen Erkrankung des Gehirns sterben langsam aber stetig Nervenzellen ab. Der erste, der diese Krankheit beschrieben hat, war 1907 der deutsche Neurologe Alois Alzheimer. Bis heute gibt es aber weder Heilung, noch kann gegen Alzheimer vorgebeugt werden.

Zwischen fünf und zehn Prozent der über 65jährigen leiden daran, bei den über 85jährigen sind es bereits zwischen 30 und 50 Prozent. In Österreich gibt es schätzungsweise rund 100.000 Alzheimer-Patienten. Und diese Zahl steigt auf Grund der demographischen Entwicklung stetig. In den nächsten 30 Jahren rechnen Mediziner mit einem Zuwachs von 50 Prozent. Doch indirekt davon betroffen sind wesentlich mehr Menschen - Angehörige, Freunde und das Lebensumfeld des Erkrankten.

Pflege zu Hause "Für Angehörige ist die Betreuung der Alzheimer-Patienten ein furchtbar schwerer Weg. Sie werden meist psychisch, physisch und finanziell allein gelassen", beschreibt Elisabeth Pammer, Leiterin der Selbsthilfegruppe für Alzheimer-Angehörige, die Schwierigkeiten der Familienmitglieder. "Deswegen haben wir vor zehn Jahren eine Selbsthilfegruppe gegründet, denn der pflegende Angehörige bekommt sonst unweigerlich ein Burn-Out-Syndrom, Depressionen und fühlt sich sehr hilflos. Meist kommen Angehörige leider erst, wenn sie bereits am Ende ihrer Kräfte sind." Die Betreuung und Pflege von Demenzkranken, die im Laufe der Erkrankung erhebliche Verhaltensstörungen entwickeln können, gestalte sich in den meisten Fällen schwierig. "Nur die wenigsten Menschen sind auf diese schwere Rolle vorbereitet," meint Pammer.

In Österreich werden 70 bis 80 Prozent der Demenz-Erkrankten von ihren Angehörigen zu Hause betreut - eine große Entlastung für das Gesundheitssystem. Denn, rechnet Universitätsprofessor Christoph Badelt von der Wirtschaftsuniversität Wien vor, zwei Drittel der Betreuungsarbeit erfolgt unentgeltlich durch die Angehörigen. "Alzheimer ist auch ein ökonomisches Problem. Die Vorstellung, daß alle Pflegeleistungen bezahlt werden sollten, ist undenkbar, weil ich nicht weiß, woher diese Mittel aufgebracht werden sollten." Derzeit, so Badelt, werde für die Betreuung älterer Menschen zwischen 24 und 30 Milliarden Schilling aufgewendet (Essen auf Räder, Pflegegeld, Heimbetreuung). Bis 2030 könnte dieser Betrag auf 55 Milliarden steigen.

Den Großteil der - unbezahlten - Pflegearbeit leisten (noch) Frauen. "Diese sind nicht nur seelisch belastet, sondern auch wirtschaftlich, weil sie in geringerem Umfang der eigenen Arbeit nachgehen können oder vielleicht nicht einmal sozial abgesichert sind." Badelt fordert daher den Aufbau eines Unterstützungsnetzwerkes für pflegende Angehörige, damit Menschen mit Alzheimer so spät wie möglich in Pflegeheime kommen müssen. Sollte in diesem Bereich nichts getan werden, fürchtet Badelt, daß sehr viele Menschen in Zukunft "einfach so dahinvegetieren" werden.

Die Selbsthilfegruppe ist ein erster Schritt. Dort haben Angehörige die Möglichkeit, sich ihr Herz auszuschütten. Elisabeth Pammer: "Wir vermitteln auch Hilfe bei Behördenwegen, denn es ist schwierig, sich alle nötigen Informationen einzeln zusammen zu suchen." Regelmäßige monatliche Treffen in Form von Informationsabenden mit Vorträgen und Gesprächsrunden dienen zum Erfahrungsaustausch. Geholfen wird auch bei juristischen Angelegenheiten, etwa beim Antrag von Pflegegeld und sozialen Hilfsangeboten. Auch psychotherapeutische Unterstützung der Angehörigen ist möglich. "Angehörige müssen vor allem lernen, selbst gesund zu bleiben. Nur so können sie wirklich helfen," sagt Pammer.

Schwer zu verstehen ist für die meisten Familienmitglieder, daß der Verlauf der Krankheit von einer ständigen Verschlechterung gekennzeichnet ist, daß oft einfachste Dinge nicht mehr bewältigt werden können, berichtet Pammer von ihren Erfahrungen: "Die Angehörigen versuchen, den Kranken zu korrigieren." Das sei allerdings ein hoffnungsloser Weg. "Wir müssen lernen, die Krankheit zu akzeptieren," so die Leiterin der Selbsthilfegruppe.

Sofort zum Arzt

Zwar gibt es derzeit noch keine Heilung der Krankheit, doch sollten Betroffene bereits bei den ersten Anzeichen von Vergeßlichkeit einen Arzt aufsuchen. Nicht jede Erinnerungslücke muß Alzheimer sein, die frühe Abklärung kann den Verlauf einer Erkrankung allerdings günstig beeinflussen. Denn seit etwa drei Jahren sind Medikamente auf dem Markt, die bei vielen Alzheimer-Patienten die Krankheit um Jahre hinauszögern können.

Bei einem Drittel der Patienten tritt nach Behandlungsbeginn sogar eine Besserung ein, erst nach zwei Jahren ist wieder der Ausgangszustand erreicht. Doch viele Hausärzte wissen noch wenig über die neuen Möglichkeiten, berichtet Universitätsprofessor Peter Fischer von der Universitätsklinik für Psychiatrie in Wien. "Derzeit werden nur etwa fünf Prozent jener Patienten, die zum Facharzt weitergeleitet werden sollten, vom Hausarzt überwiesen." Eigens entwickelte Kurztests sollen den Hausärzten nun helfen, Menschen mit Alzheimerverdacht möglichst früh einer sicheren Diagnose zuzuführen. "Wir müssen die Früherkennung fördern, denn dann kann man noch etwas machen", so Fischer.

Typische Symptome sind:

  • Die Betroffenen vergessen Namen, wichtige Ereignisse, Termine. Situationen der letzten Stunden, Tage und Wochen bleiben meist nicht oder nur in verworrener Reihenfolge im Gedächtnis.
  • Der Sprachinhalt verarmt: Die Sätze werden kürzer, die Grammatik fehlerhaft, Wortfindungsstörungen treten auf und zusammengesetzte Hauptwörter wie etwa Kühlschrank sind nicht mehr abrufbar und werden umschrieben.
  • Alltägliche Verrichtungen gelingen nicht mehr, die Reihenfolge der Handgriffe stimmt nicht mehr.
  • Es kann zu psychotischen Störungen wie Halluzinationen und Wahnbildern kommen. Die Betroffenen glauben, daß "jemand Fremder in der Wohnung war" oder "die Sparbücher gestohlen wurden".
  • Depressionen und Angstzustände, die im Anfangsstadium oft beobachtet werden, nehmen später wieder ab. Durch den Verlust des Urteilsvermögens und fehlende Krankheitseinsicht wirken schwer kranke Alzheimer-Patienten oft gut gestimmt.

"Ich beginne nun die Reise in den Sonnenuntergang meines Lebens ..." Dieser Satz von Ronald Reagan, Alzheimer-Patient, ist berühmt geworden und beschreibt gut den (Leidens-)Weg von Alzheimer-Patienten.

Um diesen Sonnenuntergang des Lebens für erkrankte Menschen so schön wie möglich gestalten zu können, müssen Angehörige und Freunde ihr eigenes Leben oft drastisch umstellen. Das fällt oft nicht leicht. Auf diese Probleme geht nun der eben erschienene Ratgeber "Hilfe für Alzheimer-Patienten" ausführlich ein. Er gibt Tips für den alltäglichen Umgang mit den Erkrankten. Denn die Einschränkung der geistigen und später auch der körperlichen Leistungsfähigkeit, das Auftreten von Begleitsymptomen sowie die zunehmende Unselbständigkeit und Hilflosigkeit des Patienten erschweren das Zusammenleben in der Familie erheblich und verunsichern Angehörige.

Viele Fragen treten beim Fortschreiten der Krankheit auf und der Ratgeber gibt hier zum Teil sehr kompetent Antwort: Wie verhält man sich, wenn sich ein Alzheimer-Patient weigert, zum Arzt zu gehen? Was kann man tun, wenn sich der Alzheimer-Patient nicht waschen, baden oder duschen läßt? Wie soll man reagieren, wenn der Erkrankte gewalttätig wird?

Der Ratgeber klärt über Ursachen, Symptome und die Stadien der Krankheit auf und informiert auch über frühe Warnsignale. Die juristischen und vor allem finanziellen Fragen sind zwar auf deutsche Leser zugeschnitten, aber auch für österreichische Angehörige sind zahlreiche Anregungen dabei.

Ein "Ratgeber" der ganz anderen Art ist das Lesebuch "Liebe Oma" für Kinder zwischen acht und zwölf. Auf sehr einfühlsame Weise wird beschrieben, wie sich das Familienleben durch die Alzheimer-Krankheit der Oma ändert. Lukas und seine Schwester Julia erzählen in dem Buch die Geschichte, traurige und lustige Situationen, die die Kinder oft besser im Griff haben als ihre Eltern.

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