Nur die Welt verändern

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Ziel professioneller Sozialarbeiter ist es, sich selbst überflüssig zu machen. In einer Studie zeichnet der Sozialwissenschafter Konrad Hofer ein umfassendes Bild ihrer Tätigkeit.

Leo Lukas hat es immer schon gewusst: Jeder nur erdenkliche körperliche oder seelische Unglückszustand sei "tausend Mal besser, als Sozialarbeiter zu sein", ätzte der Kabarettist in einem Chanson. Tatsächlich ist das Ansehen dieser Berufsgruppe, die sich mit einer Klientel befasst, der oftmals gezielte Böswilligkeit in der Lebensführung unterstellt wird ("Sozialschmarotzer"), nicht gerade hoch. Oft und gern wird auch der Verdacht gehegt, dass die Helfer selbst an mehrfachen Symptomen litten, zumeist am so genannten "Helfersyndrom".

Das Prinzip des Helfenwollens zieht sich zwar wie ein roter Faden durch viele Biographien von Sozialarbeitern, fördert der Sozialwissenschafter Konrad Hofer in seiner aktuellen Studie zu Tage. Der Wunsch, gestaltend ins gesellschaftliche Zusammenleben einzugreifen, ist aber mindestens ebenso stark. "Wir werden oft als Helfer betrachtet, die armen Leuten unter die Arme greifen, Unterstützung und Almosen geben", wird eine Sozialarbeiterin in Hofers Studie zitiert. "Nach dem Motto: ,Für diese Sozialschmarotzer setzen sie sich ein, für uns tun sie nichts.' Es wird nur dieses Problem gesehen, nicht aber das Wechselspiel zwischen der Gesellschaft und dem Einzelnen."

Mit 60 Sozialarbeitern hat Hofer gesprochen, sie an ihre unterschiedlichen Arbeitsplätze begleitet und die Ergebnisse in Buchform vorgelegt (Titel: "Helfen wollen und die Welt verändern"). Der als "österreichischer Wallraff" bekannte Wissenschafter, der auch vor Zettelverteilen und Taxifahren nicht zurückgeschreckt ist, um die Lage atypisch Beschäftigter undercover zu erforschen, hat den "sozialen Profis" bei ihrer Arbeit zugesehen. Das Resultat: Eine beschreibende Analyse von Sozialarbeit in den verschiedensten Handlungsfeldern. Die Palette reicht von der Arbeit mit Patienten in Spitälern über die Hilfe für Drogenabhängige auf der Straße bis zur Unterstützung von Migranten, Wohnungslosen oder Frauen, die von Gewalt bedroht sind.

Meistens, so Hofer, findet soziale Arbeit "an den Schnittstellen zwischen dem gesellschaftlichen Mainstream mit seinen allgemein akzeptierten Normen und jenen gesellschaftlichen Gruppen statt, die Probleme haben, diesen Normen zu entsprechen". Die Fragestellungen des Autors: Welche Ressourcen werden den Benachteiligten zur Verfügung gestellt? Welche Möglichkeiten haben Sozialarbeiter, um die gesellschaftlichen Bruchstellen zu kitten? Und schließlich: Warum wird man eigentlich Sozialarbeiter?

Vertreter dieses Berufes begreifen sich meist nicht einfach als Helfer, sondern auch als Experten, die über die Einzelschicksale hinaus gesellschaftliche Zusammenhänge erkennen, weiß Hofer. Oft resultieren daraus Konzepte, die nicht nur den Betroffenen zu besserer Lebensqualität verhelfen. Dazu gehören etwa der außergerichtliche Tatausgleich, die Bewährungshilfe für Erwachsene oder die sozial-medizinische Einrichtung "Ganslwirt" für Drogenabhängige. Diese innovativen Einrichtungen haben nicht nur internationale Anerkennung und Nachahmung gefunden. Die Betreuung rechnet sich auch volkswirtschaftlich. So kostet ein Tag Gefängnis ungleich mehr, als die professionelle Begleitung eines Haftentlassenen. Auch ein Tag Spitalsaufenthalt ist teurer als die Prävention von Infektionen bei Suchtkranken.

Kampf gegen Burn-Out

Oft brauchen aber auch die Helfer Hilfe. Weniger groß ist die Gefahr des "Ausbrennens" in Einrichtungen mit geregelter Arbeitszeit, Teambesprechungen und Supervision. In den so genannten niederschwelligen Einrichtungen hingegen, gibt auch so mancher Profi bald auf. Besonders an den Nerven zehrt die Arbeit mit Drogenkranken. "Die ständige Wiederholung des Elends kann einem schon zu viel werden", meint ein Mitarbeiter des "Ganslwirt". Bei Anfängern sei vor allem dann ein Zusammenbruch vorprogrammiert, wenn sie nicht aufgefangen werden, zitiert Hofer berufserfahrende Profis. Oft genug versuchen engagierte Neulinge den Kollaps hinauszuzögern - mit mäßigem Erfolg: "Der Verein hat mich ins Obdachlosenheim gestellt und gesagt ,Tu was!'", berichtet ein Abgänger einer Sozialakademie, der bei einem privaten Anbieter für Wohnungslose tätig wurde. Über die Finanzierung und Umsetzbarkeit hatte sich der Trägerverein aber keine Gedanken gemacht. Um zu sparen benutzte der Sozialarbeiter, dem bald sogar die Leitung des Heimes übertragen wurde, Blaupapier als Schreibunterlage. Ausgepowert und kurz vor dem Zusammenbruch kündigte er.

Je älter ein Anfänger an Lebensjahren und Berufserfahrung ist, umso eher schafft er den Einstieg, ohne "Burn-Out", weiß Hofer. In den Niederlanden etwa ist ein Mindestalter von 24 Jahren vorgesehen, in Schweden wird Sozialarbeit als gleichwertiges Studium, wie etwa Jus, Psychologie oder Soziologie angeboten.

Große Erwartung wird daher in die neuen Fachhochschulen für Sozialarbeit gesetzt, die allmählich die Sozialakademien ablösen sollen. In St. Pölten, Graz, Linz und Salzburg wurde schon im Vorjahr diese Umwandlung vorgenommen, in Dornbirn und Wien (drei Fachhochschulstudiengänge) ist dies heuer geschehen. Ganz neu wurde in Feldkirchen ein solcher Studiengang ins Leben gerufen.

Die traditionellen Sozialakademien, die nun den vierjährigen FH-Studiengängen verdrängt werden, gehen ihrerseits auf die 1918 gegründeten "Städtischen Akademien für soziale Verwaltung" zurück. Die bisher zwei- bis dreijährige Ausbildung an der "SOZAK", die mit einem Diplom abschloss, bedeutete aber nicht immer, dass der frisch gebackene Profi sofort qualifizierte Arbeit leisten konnte. "Die Praxis zeigt, dass Arbeitgeber die Anfänger gerne universell einsetzen, die eigentliche Profession wird so unzulässig verwässert", berichtet Hofer. Von Küchenhilfe, Aufräumarbeiten bis hin zu Botendiensten reichen die ausbildungsfremden Tätigkeiten.

Viel Arbeit, wenig Personal

Dabei gibt es auch im eigentlichen Zuständigkeitsbereich von Sozialarbeitern genug zu tun. So steigt etwa beim Amt für Jugend und Familie, dem größten Arbeitgeber für Sozialarbeiter in Wien, die Zahl der zu betreuenden Fälle stetig. Immer mehr Scheidungskinder, immer mehr Jugendliche, die immer früher flügge werden, müssen betreut werden. Von 13-jährigen Mädchen, die auf der Straße oder "irgendwo" leben, wird berichtet, ebenso von Eltern, die sich vorzeitig aus der Erziehung verabschieden.

Die Gesellschaft ändert sich, konstant bleibt nur der Personalstand bei der MA 11, dem zuständigen Wiener Magistrat. Qualitativ gute soziale Arbeit braucht aber Zeit, und die wird durch den Druck, mehr Klienten in derselben Zeit zu betreuen, immer spärlicher, so Hofer.

Spärlicher werden auch die finanziellen Ressourcen, mit denen die privaten Trägereinrichtungen ausgestattet werden. Besonders betroffen sind Einrichtungen zur Betreuung von Zuwanderern. Im Beratungszentrum für Migranten im dritten Wiener Gemeindebezirk werden etwa jedes Jahr erst im März die Gehälter an die Mitarbeiter überwiesen. An diesen Engpass zu Jahresbeginn hat man sich bereits gewöhnt. Neu ist die finanzielle Ausdünnung, die generell Einrichtungen betrifft, die sich um Zuwanderer bemühen. "Auf diesem Gebiet wird Sozialarbeit nicht deshalb überflüssig, weil sich die Bedingungen der Migranten zum Besseren wenden," kritisiert Studienautor Konrad Hofer, "sondern weil es keine oder nur sehr geringe finanzielle Mittel für die professionelle Betreuung gibt."

Helfen wollen und die Welt verändern

Arbeitsbedingungen von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern. Von Konrad Hofer, Verlag des ÖGB, Wien 2002, 229 Seiten, e 21.-; erhältlich in jeder Buchhandlung oder bei Pichler Medienvertrieb, Hirschstettner Straße

21e, 1220 Wien, Tel. (01) 202 6006/682

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