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Erst die Kälte macht sensibel

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Auch in der Steiermark zerbricht man sich den Kopf, wie obdachlosen Menschen geholfen werden kann (siehe FURCHE 48/1995). Manches sinnvolle Projekt scheitert am Widerstand der Bevölkerung.

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Auch in der Steiermark zerbricht man sich den Kopf, wie obdachlosen Menschen geholfen werden kann (siehe FURCHE 48/1995). Manches sinnvolle Projekt scheitert am Widerstand der Bevölkerung.

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Obdachlosigkeit ist für die Medien nur ein Thema, wenn es kalt wird. Und wenn Weihnachten vor der Tür steht., Dann rührt sich in den Menschen das schlechte Gewissen, die Verantwortung, die sie „den Armen"' gegenüber doch verspüren. Dann wird auch plötzlich offenbar, daß Kälte nicht etwas ist, was nur die Menschen in (gar nicht so) weit entfernten Kriegsgebieten trifft.

„Obdachlosigkeit ist kein saisonales Problem", Gerhard Wippel, Leiter des Sozialamtes in Graz, hat Probleme mit dieser Sicht der Dinge. Aber nicht nur er, auch Wolfgang Habe, Sozialarbeiter des Vereins BAN (Beratungsstelle für Arbeitslose und Nichtseßhafte) macht seinem Ärger darüber Luft, daß es immer erst kalt werden muß, bevor die Menschen wieder sensibel werden.

Faktum ist, daß Obdachlosigkeit dann zu einem ernsten, weil lebensbedrohenden Problem für die Betroffenen wird, wenn der Winter hereinbricht. In Graz war das vor zwei Wochen derJ^ll^m^de/ prompten KonJ sequenz, daß alle verfügbaren Betten und Qua^fee'dBerfül'lf' si'ncL-

Die verfügbaren Quartiere, das sind die diversen Heime der Stadt Graz, die meist nur notdürftig Unterkunft bieten können, so gut^wie immer nichts anderes sind, als ein warmer Schlafplatz. Aber wenigstens das. In diesen Heimen haben etwa 250 Menschen die Möglichkeit, unterzukommen; das ist natürlich^/iel zu wenig. Verschärft wird das Problem durch die zunehmende Zahl von Schwarzafrikanern in Graz. Sie gehören der untersten Schicht der Armen an, sind völlig hilflos, weil sprachunkundig, mittellos und fremd in einer Stadt, die ihnen kein allzu menschliches Gesicht zeigt. Denn auch die „Arche 38", der meist noch letzte Hoffnungsschimmer aller, ein Haus, das von der Caritas betreut wird, ist seit den letzten Wochen voll. „Wir schicken täglich an die 20 Menschen wieder weg, weil wir einfach kein Bett haben", ist ein zivildienender Helfer der Arche 38 bestürzt über die hoffnungslose Situation.

Wo die Menschen schlafen? Einkaufszentren sind beliebt, dienen aber nur einem kurzen Aufwärmen, bis die Polizei einschreitet. Der Bahnhof ist immer ein heißer Tip, Abbruchhäuser werden wie Geheimtips gehandelt. Ein Lokalaugenschein in einem Abbruchhaus führt das Ausmaß der Tragik, obdachlos zu sein, vor Augen.

Das Haus steht seit Jahren leer, es droht jeden Moment einzustürzen. In einem kleinen Teil ist das Dach noch so weit intakt, daß es nicht überall hereinregnet. Der Dreck der vergangenen Jahre, also all der „Vormieter", liegt brusthoch, das ist nicht übertrieben. Pflanzen finden in dem Schutt genügend Nährstoffe, die Bäume wachsen im ersten Stock aus den Fenstern. Ein ehemaliger Bewohner dieses Hauses zeigt uns sein Zimmer, beschreibt, wie er einmal fast verbrannt wäre, weil sie alles, was sie gefunden haben, in den Ofen gesteckt haben und irgendwie dann eben alles zu heiß geworden war. Die Feuerwehr hat ihn damals hinausgezogen, das verkohlte Bett steht noch immer da. Auch die ^da&atz^n, die einmal zuJjkihnachtejyjfn ]&;WohltäteÄJHBK i&äSb, sinUöl&h da.

Die Stadt Graz wendet im Jahr etwa sieben Millionen Schilling auf, die im engeren Sinne das Problem Obdachlosigkeit hintanhalten. „Damit zahlen wir Mietrückstände, übernehmen Mieten, die nicht bezahlt werden können, versuchen so, Delogierungen zu vermeiden, unterstützen Projekte, zahlen die Betriebs- und Personalkosten von Einrichtungen wie der Arche 38."

Sozialamtsdirektor Gerhard Wip-pel weiß, daß das mehr ein Löcherstopfen als wirklich eine langfristige Lösung des Problems ist. Er spricht auch Bürgermeister Alfred Stingl ein großes Lob aus, der es schafft, in Zeiten von Budgetknappheit zumindest zu erreichen, daß das Geld für Soziales nicht weniger wird.

Lösungsvorschläge, dem Problem Herr zu werden, hat niemand. Nicht einmal die schärfsten Kritiker des Sozialamtes, die Sozialarbeiter des Vereins BAN, wissen, wie man effektiv helfen könnte, ohn^von der Gemeinde Geldmittel zu erhoffen, die es sowieso nie geben wird. Wolfgang Habe (BAN) kritisiert am Sozialamt die Tatsache, daß seiner Meinung nach fragwürdige Projekte gefördert werden, für langfristige Lösungen jedoch kein Geld vorhanden wäre.

Eines dieser „fragwürdigen" Projekte, das bereits österreichweit bekannt ist, ist das „Vinzidorf". Auf Initiative des Pfarrers der Vinzenzpfarre, Wrolfgang Pucher, in Graz-Eggen-berg wurde ein „Containerdorf" errichtet, das Obdachlosen Unterkunft bietet. Wobei es wirklich nur Unterkunft ist, die Männer dürfen dort Alkohol konsumieren, sie werden vor/ Freiwilligen betreut.

Unser Führer durchs Abbruchhaus wohnt jetzt seit drei Jahren im Vinzidorf. Er hat sich einigermaßen erfangen, er trinkt zwar noch immer, hat seine Lage aber stabilisiert und sogar seine dichterische Ader entdeckt. .

Die Kritik am „Vinzidorf" und ähnli-' chen Projekten geht in die Bichtung, daß hier nur vordergründig geholfen werde. Diese Projekte erwägen keine Resozialisierung der Obdachlosen, der Teufelskreislauf Obdachlos - keine Arbeit - Alkohol oder Sucht nimmt kein Ende. Eine Methode, die auf lange Sicht gesehen auch weniger Geld kosten würde, wäre, ausreichend Wohnraum zu schaffen, der ei ermögliche, diesen Menschen Wohnhilfe zu leisten, sie also langsam wieder in die Gesellschaft zurückzuholen. Von Linz und Wien gibt es Erfahrungswerte, die besagen, daß nach zwei Jahren betreutem Wohnen ein Obdachloser wieder in die Gesellschaft einzugliedern ist, das heißt, er wieder arbeits- und selbsterhaltungs-fähig ist. Diese zwei Jahre würden etwa 400.000 Schilling kosten, wohingegen ein Obdachloser in einer Massenherberge, in der er bis zu zehn Jahren „wohnt", über die zehn etwa 1,5 Millionen'iSchilling kostet.

Momentan löst das aber nicht das .Problem, daß auch in dieser Nacht wieder 20 bis 30 Menschen im Freien schlafen müssen. Und die anfangs angesprochene Sensibilität der Menschen hört dort auf, wo sie in den eigenen Bereich einzudringen beginnt. In diesen Tagen ist in Graz ein zweites „Containerdorf-Projekt" geplatzt, weil Anrainer des geplanten Aufstellungsortes sich so massiv dagegen aufgelehnt haben, daß die'TnWatorin das Projekffeufg^eben^^pi, Nl'"

Auch Pfarrer Pucher konnte sein „Vinzidorf" nur neben einem Friedhof hinter einer hohen grauen Mauer aufbauen. „So viele Grundstücke, die hinter einer Mauer versteckt sind, haben wir in Graz nicht." Gerhard Wippel sieht sich einer zunehmenden Entsolidarisierung gegenüber, die jede Umsetzung von Projekten zusehends erschwert.

Muß erst jemand erfrieren?

Die Autorin ist

Journalistin undfreie Mitarbeiterin der Kleinen Zeitung Graz.

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