Sieht man von den Schweden ab, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg ihr Arrangement mit dem Kapitalismus gefunden und immer auf gesellschaftliche Solidarität gesetzt haben, so fehlen den Sozialdemokraten in ganz Europa seit 1989 Visionen und internationale Perspektiven. Ob Wirtschaftswachstum oder Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, ob Zukunft der eu oder Kapitalismusdebatte, ob Globalisierung oder neuer Protektionismus, die Sozialdemokraten stecken überall in einer tiefen Identitätskrise.
Am heftigsten zeigt sich diese Krise in Deutschland. Die dortige Abspaltung einer linken Fraktion und ihre Vereinigung mit der postkommunistischen pds wird die spd bis zum Wahltag das Fürchten lehren - wie sehr sich Schröder und Co. schon jetzt fürchten, zeigen die immer unglaubwürdigeren Kurskorrekturen nach links, die die Wähler bei der Stange halten sollen.
Fast schon zerfleddert präsentieren sich die französischen Sozialisten, deren Konflikte sich auf das europäische Sozialmodell und die Aufnahme der Türkei konzentrieren. Und der Erfinder des "Dritten Wegs", Tony Blair, wird nach dem Terroranschlag in London mehr mit seiner Außenpolitik samt Irak-Debakel zu tun haben, als mit der Neuformulierung "dritter Wege".
Dagegen nehmen sich die Probleme der spö mit ihren Dissidenten in der Asylrechtsfrage bescheiden aus, wiewohl der spö-Populismus in der eu-Politik (Stopp der Erweiterung, Einfrieren der Nettozahlungen) gegen alle Traditionen internationaler Solidarität verstößt. Kurzum: Auf die neue Entwicklungsphase des Kapitalismus haben die heutigen Sozialdemokraten keine Antworten. Auf nationaler Ebene sind solche Antworten auch nicht mehr zu finden. "Think tanks" waren bisher die Stärke der Neo-Konservativen. Eine Denkfabrik für die Erneuerung der Linken fehlt.
Die Autorin war orf-Redakteurin und Dokumentarfilmerin.
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