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Die Linke in der Klemme

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In drei Jahren hat sich die Mehrheit des sozialistischen französischen Präsidenten Mitterrand in eine Minderheitverwandelt. Unter Berücksichtigung sämtlicher kleiner Linksgruppen stehen hinter ihm genaugenommen gerade noch 35% der Wähler.

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In drei Jahren hat sich die Mehrheit des sozialistischen französischen Präsidenten Mitterrand in eine Minderheitverwandelt. Unter Berücksichtigung sämtlicher kleiner Linksgruppen stehen hinter ihm genaugenommen gerade noch 35% der Wähler.

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Bei Anwendung des Proportionalsystems hätte nach dem Ergebnis der Europawahl vom 17. Juni die Einheitsliste der Opposition ohne die äußerste Rechte im französischen Parlament die absolute Mehrheit der Mandate errungen. Einige Politiker der Opposition forderten deswegen baldige Neuwahlen, da das jetzige Parlament im Widerspruch zu den politischen Uberzeugungen und Zielen des größeren Teils der Bevölkerung stehe.

Diese Forderung widerspricht den Regeln der Demokratie. Francois Mitterrand wurde 1981 für sieben Jahre gewählt, die französische Nationalversammlung kurz danach für fünf Jahre. Die Franzosen waren sich im Augenblick der Stimmenabgabe der Dauer der erteilten Mandate durchaus bewußt. Ihre Legitimität darf nicht in Frage gestellt werden, denn sie gehört zu den Voraussetzungen der Stabilität der Demokratie.

Es ist nicht möglich, bei jedem Stimmungsumschwung der öffentlichen Meinung die Staatsführung auszuwechseln. In diesem Sinne äußerte sich sehr deutlich der ehemalige Premierminister Raymond Barre, einer der möglichen Nachfolger Mitterrands.

Dessen ungeachtet wäre es für eine Regierung gefährlich, einen klar zum Ausdruck gebrachten Volkswillen unbeachtet zu lassen. Auf die Absage an die sozialistisch-kommunistische Koalition am 17. Juni folgte eine Woche später in Paris zur Verteidigung der religiösen Schulen und darüber hinaus als allgemeine Warnung an die Regierung die größte Massendemonstration der französischen Geschichte von mindestens 1,5 Millionen stark motivierten und entschlossenen Menschen.

Die Legitimität allein reicht nicht aus, um sich in einem Lande an der Macht zu behaupten, es bedarf auch der politischen Klugheit und der notwendigen Anpassungsfähigkeit an die Entwicklung.

Im wirtschaftlichen Bereich hat Mitterrand von seinen Fehlern gelernt und einen radikalen Kurswechsel vorgenommen. Jetzt muß er eindeutig die Ideologie hinter den Realitäten zurücktreten lassen, wenn er den drohenden Schiffsbruch bei der kommenden Parlamentswahl 1986 vermeiden will und möglicherweise auch eine verhängnisvolle Explosion vor diesem Termin. Seine beiden Koalitionspartner sind allerdings für ihn in der jetzigen schweren Lage mehr ein Hindernis als eine Hilfe.

Die Kommunisten geben offen zu, sich in einer Krise zu befinden. In den letzten fünf Jahren haben sie 45 Prozent ihrer Wähler verlassen. Ihre verschiedenen taktischen Manöver erwiesen sich als wirkungslos. Es entspricht nicht ihren Gewohnheiten, ihren Kurs überstürzt zu definieren. Dazu ist ihr Apparat auch viel zu schwerfällig. Die Spekulationen auf einen baldigen Führungswechsel waren daher politisch sinnlos.

Ende Juni setzte das Zentralkomitee zunächst den Rahmen für die nunmehr in den Zellen stattfindende Diskussion über den zukünftigen Kurs fest. Auf diese Weise wird der gegen Jahresende stattfindende Parteitag gründlich vorbereitet.

Bis zu diesem Zeitpunkt haben die Kommunisten nicht das geringste Interesse daran, die Regierung zu verlassen. Sie werden weiterhin sehr darum bemüht sein, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß ihre Anwesenheit erforderlich ist, um ein weiteres Abgleiten Mitterrands nach rechts zu verhindern. Solange es ihm nicht zweckmäßig erscheint, sich von den Kommunisten zu trennen, wird er sie als Hypothek seiner Regierungsaktion in Kauf nehmen müssen.

Den Kommunisten selbst dürfte es nicht leicht fallen, einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden. Eine revolutionär gefärbte Radikalisierung verstärkt kaum ihre Anziehungskraft auf eine überwiegend kleinbürgerliche Bevölkerung. Eine krampfhafte Hinwendung zum gemäßigten Eurokommunismus droht sie um ihre Identität zu bringen, da sie sich dann kaum von den Sozialisten unterscheiden Würden.

Wahrscheinlich läßt sich auf die Dauer ein weiterer Rückgang des kommunistischen Einflusses in Frankreich nicht aufhalten, denn die Partei hat ihre traditionelle soziologische Grundlage endgültig verloren.

Die sozialistische Ratlosigkeit ist kaum geringer. Für die Partei ist es ein schwacher Trost, weniger Stimmen verloren zu haben als die Kommunisten. Während jene auf ihren Stand von 1926 zurückgesunken sind, halten sich die Sozialisten auf dem 1973 nach einem absoluten Tief wieder erreichten Niveau. Ihnen fällt es aber weit schwerer als den Kommunisten, der Partei einen einheitlichen Kurs aufzuzwingen.

Die Sozialisten leiden unter zentrifugalen Tendenzen, Ideologen, marxistischen Opportunisten, sozialistischen Idealisten, Realisten und ähnliches mehr. Außerdem schwebt der Staatspräsident als oberster Richter über den Parteigremien. Die Sozialisten sind ebenso wenig unabhängig, wie es die Gaullisten unter de Gaulle gewesen waren, zumal sie die Hausmacht des Präsidenten stellen.

Hinzu kommt eine unverkennbare Kluft zwischen den militanten Mitgliedern, die den Parteiapparat beherrschen, und der Masse der Wähler. Daß heute der Schulstreit das sozialistische Regime erschüttert, ist einzig und allein die Schuld der militanten Mitglieder. Denn für diese Frage interessierte sich lediglich eine Minderheit der nicht organisierten Anhänger der Partei. Es ist auch bemerkenswert, daß es Mitterrand taktisch richtig erschien, die mit der harten Wirtschaftspolitik nicht einverstandenen Sozialisten durch ein Entgegenkommen an ihre ideologischen, wenn auch unzeitgemäßen Forderungen zu beruhigen oder zu entschädigen.

Die französische Regierungspolitik ist schon seit einiger Zeit ein enttäuschender Balanceakt zwischen verschiedenartigen Glaubensbekenntnissen, die von der Wirklichkeit unserer Zeit und ihren dringenden Erfordernissen weit entfernt sind. Es ist nicht ohne weiteres ersichtlich, wie sich dies in Zukunft ändern könnte.

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