OSZE - © Foto: OSCE/Monika Olszewska

OSZE: Chronik des Scheiterns an Putin

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Entspannung zwischen Ost und West sowie gegenseitige Verpflichtungen ziviler und militärischer Natur sind obsolet geworden. Was vor allem an Russland liegt.

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Entspannung zwischen Ost und West sowie gegenseitige Verpflichtungen ziviler und militärischer Natur sind obsolet geworden. Was vor allem an Russland liegt.

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Seit Dezember 1994 war die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE als Nachfolgeorganisation der KSZE das Rückgrat der europäischen Friedensarchitektur: eine Organisation, die sich dem konsensorientierten Management von Konflikten verschrieben hat. Wegen der russischen Aggression in der Ukraine werden nun Rufe laut, es brauche ein neues Konstrukt. Und eine neue Konferenz, in deren Rahmen Prinzipien der Zusammenarbeit für ein friedliches Europa der Zukunft erarbeitet werden sollen.

HAT DIE OSZE DARIN VERSAGT, DEN WICHTIGSTEN KONFLIKT DER VERGANGENEN 30 JAHRE ZU LÖSEN?

Offensichtlich. Krieg als solches steht im Widerspruch zu den Grundzielen der OSZE, wie sie schon ihn ihrem Namen festgeschrieben sind: Sicherheit und Zusammenarbeit. Diese Ziele waren schon die Basis für die KSZE, jene in Helsinki 1975 aus der Taufe gehobene Vorläuferorganisation der OSZE mit ihrem berühmten „Dekalog“ der Kooperation und des Informationsaustausches. Derzeit gibt es keine Sicherheit und keine Zusammenarbeit zwischen den allermeisten OSZE-Staaten und Russland. Die Frage ist: Wenn ein Land beschließt, sich nicht mehr an Spielregeln zu halten, was hätte man da anders machen können? Muss man in Folge die Spielregeln ändern oder braucht es viel eher Mechanismen, um die Einhaltung der Spielregeln zu garantieren? Russlands Ausscheren aus der Sicherheitsordnung ist nicht neu: Putin ist ein Kriegspräsident. An die Macht kam er durch den zweiten Tschetschenienkrieg. Ein Krieg, in dem haarsträubende Menschenrechtsverletzungen begangen wurden. Spätestens aber seit der russischen Annexion der Krim und der russischen Unterstützung der Abspaltung von Gebieten in der Ostukraine hätte man hellhöriger werden müssen.

WANN WURDE RUSSLAND IN DER OSZE POLITISCH DESTRUKTIV?

Wie Diplomaten anmerken, hat Russland in der OSZE seit Jahren kaum mehr konstruktiv mitgearbeitet. Kritik an der Weltordnung sei immer nur mit einer Forderung einhergegangen: Russland wolle die Regeln bestimmen. Allerdings machte Russland kaum konkrete Vorschläge, die man auch diskutieren hätte können. Zugleich wurden Vereinbarungen ohne ersichtlichen Grund unterlaufen. Ein Beispiel: Das Wiener Dokument aus dem Jahr 2011. Darin ist verbindlich der militärische Informationsaustausch geregelt: Von gegenseitigen Besuchen über grundlegende Angaben über militärische Stationierungen bis zur Ankündigung von Truppenbewegungen oder Manövern, um Missverständnisse zu vermeiden. Sind an einer Übung mehr als 30.000 Mann beteiligt, muss demnach informiert werden. Russland habe das aber immer wieder verweigert. Etwa mit folgender Begründung: dass zum Beispiel Logistiker nicht in das Übungskontingent eingerechnet wurden und damit die 30.000-Mann-Marke nicht überschritten worden wäre. Es waren Themen wie diese, die die Stimmung zwischen Russland und der Welt in den vergangenen Jahren getrübt haben.

DER RASANTE BRUCH. WIE ISOLIERT IST RUSSLAND WIRKLICH?

Momentan steht das Regime Putin denkbar alleine da. Eine Resolution im UN-Sicherheitsrat, in der die territoriale Integrität der Ukraine bestätigt und ein unmittelbarer und bedingungsloser Abzug russischer Truppen aus der Ukraine gefordert wird, wurde von 141 der 193 Mitgliedstaaten mit stehenden Ovationen der Diplomaten angenommen. Nur fünf Staaten stimmten dagegen: Belarus, Nordkorea, Eritrea, Syrien – und Russland. Einen tiefen Graben hat der russische Angriff auf die Ukraine aber auch durch Europa gerissen: Moskau hat mittlerweile praktisch alle Taue zum alten Kontinent gekappt. Russland ist aus dem Europarat ausgetreten. Bereits zuvor war die Mitgliedschaft Russlands suspendiert worden. Gegen diesen Schritt stimmte neben Russland nur Armenien. Die Türkei enthielt sich, Aserbaidschan nahm an der Abstimmung nicht teil. Moskau sieht im Europarat ein Instrument der NATO und der EU zur „militärisch-politischen und wirtschaftlichen Expansion im Osten“. Russlands Vorwurf: Institutionen des Europarats seien „systematisch dazu benutzt worden, Druck auf Russland auszuüben und sich in seine inneren Angelegenheiten einzumischen“. Realpolitisch hat der Austritt Russlands aus dem Europarat allerdings kaum Folgen, außer dass Russland damit nicht mehr an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden ist. Und Russlands Mitgliedschaft im Europarat war auch immer schwierig. Bereits nach der Annexion der Krim war das Stimmrecht Russlands suspendiert worden (bis 2019), seit 2017 zahlte Russland keine Beiträge mehr. Beigetreten ist Russland dem Europarat übrigens erst 1996.

WENN ES DIE OSZE IN DIESER FORM NICHT MEHR GIBT, WELCHE MÖGLICHKEITEN UND PLATTFORMEN DES AUSTAUSCHS BLEIBEN DANN NOCH?

Übrig bliebe etwa der NATO-Russland-Rat, eine 2002 ins Leben gerufene Austauschplattform. Allerdings ist auch diese Kooperation derzeit auf Eis gelegt. In einer knappen Nachricht heißt es jetzt: „Wir haben beschlossen, jede praktische zivile und militärische Zusammenarbeit zwischen der NATO und Russland auszusetzen. Unser politischer Dialog im NATO-Russland-Rat kann bei Bedarf auf Botschafterebene und darüber hinaus fortgesetzt werden, um uns einen Meinungsaustausch vor allem über diese Krise zu ermöglichen. Wir werden die Beziehungen der NATO zu Russland auf unserer nächsten Tagung im Juni überprüfen.“

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