"Lieber Maler, male mir"

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Der Universalkünstler Martin Kippenberger im Kunsthaus Graz.

Zu Lebzeiten war der oft als rotzig, rebellisch und angeberisch beschriebene Künstler mit dem Leitspruch "Peinlichkeit kennt keine Grenzen" heftig umstritten. Heute wird Martin Kippenberger, der 1997 in Wien mit nur 44 Jahren an Leberkrebs starb, längst zu einem der wichtigsten Protagonisten der Kunst des späten 20. Jahrhunderts gezählt und von Künstlern der jungen Generation als Vaterfigur angesehen.

Zu Recht. Denn das Enfant terrible der deutschen Kunstszene hat vieles vorweggenommen, was heute im Kunstgeschehen selbstverständlich ist. Institutionskritik, Kontextualität, Prozessualität, Intertextualität, Aneignung und Ortsbezogenheit sind nur einige der Begriffe, die mit dem Œuvre des leidenschaftlichen Tabubrechers eng verknüpft sind. Martin Kippenberger, dessen Arbeit immer wieder um die Beziehung von Kunst und Gesellschaft kreist, betrieb intensives Networking, lange bevor man so etwas überhaupt kannte. Er verfolgte einen kommunikativen künstlerischen Ansatz, stand stets in Austausch mit Künstlerkollegen und bezog sich auf historische künstlerische Positionen. "Ich sehe mich ja zwischen den anderen", so seine Selbstcharakterisierung.

Kommunikative Kunst

Seine Malerei delegierte Kippenberger auch an andere ("Lieber Maler, male mir", 1981) und dehnte die Rolle des Künstlers auf verschiedene Funktionen aus: Auf die des Kurators, Herausgebers, Museumsdirektors, Lokalbesitzers, Pseudo-Filmstars, Männerclub-Begründers oder Punkmusikers. "Ich bin doch viel mehr für die Leute als einer, der ein Bild malt", sagte Kippenberger einmal von sich: "Ich bin eher ein Vertreter. Verkaufe und vermittle Ideen."

Nicht minder wegweisend war Kippenbergers bewusste Trivialisierung der Kunst und sein Protest gegen eine hyperästhetische Hochkultur. Vor allem sein multimediales, aktionistisches Vorgehen, bei dem er Text, Malerei, Fotografie, Zeichnung, Skulptur, Performance und Installation selbstverständlich miteinander verknüpfte - stets begleitet von einem Hauch an Witz und Ironie. Der Stegreifpoet Kippenberger drückte der gesamten Umgebung buchstäblich seinen Stempel auf, gestaltete von der Einladungskarte bis zum Katalog alles und jedes, beschrieb und bekritzelte jedes Blatt, das ihm unter die Finger kam.

Stil der Stillosigkeit

Während Kollegen in den 1980er Jahren bemüht nach ihrer unverkennbaren Identität als wilde Maler oder coole Konzeptkünstler suchten, hatte sich Kippenberger längst von derartigen Kategorisierungen befreit. Abstraktion und Gegenständlichkeit konnte er problemlos miteinander verbinden. "Einen eigenen Stil finden, daran hat es bei mir gehapert, bis mir auffiel, dass stillos zu sein auch ein Stil ist, und den habe ich dann verfolgt. Da war ich dann befreit. Kümmere dich nicht um Stil, sondern um das, was du sagen willst. Wie es dann aussieht, das ist etwas anderes."

Kippenbergers exzessives Leben, in dem er physische wie psychische Grenzen bis zum Überspann auslotete, seine kalauernde Redegewandtheit, die Attacken auf das Kunstestablishment und sein früher Tod haben es retrospektiv schwierig gemacht, das facettenreiche Werk distanziert von der legendenumwobenen Person und seiner Mythologisierung als "James Dean der Kunstszene" zu betrachten. Allzu buchstäblich wurde Kippenbergers Umkehrung des Beuys'schen Satzes "Jeder Mensch ist ein Künstler" in "Jeder Künstler ist ein Mensch" genommen.

Für seinen ehemaligen Wiener Galeristen und heutigen Grazer Joanneum-Intendanten Peter Pakesch, der gemeinsam mit Daniel Baumann im Kunsthaus Graz die derzeit laufende Schau "Modell Martin Kippenberger. Utopien für alle" kuratierte, besteht kein Zweifel, dass das Interesse an dem komplexen Werk und der charismatisch-polarisierenden Persönlichkeit Martin Kippenbergers auch nach der ersten britischen Retrospektive in der Tate Modern im Vorjahr noch lange nicht seinen Höhepunkt erreicht hat: "Er ist mittlerweile Gegenstand einer ausführlichen postumen Rezeption geworden, die in den nächsten Jahren mit wichtigen Ausstellungen in den Museen in Los Angeles und New York noch um einiges verstärkt werden wird."

Dass das Grazer Kunsthaus Kippenberger jetzt mit einer Ausstellung ehrt, ist allzu berechtigt, denn der deutsche Künstler prägte aufgrund zahlreicher Aufenthalte in der Murmetropole die dortige Kunstszene seit den 1980er Jahren entscheidend mit. Gemeinsam mit Wolfgang Bauer, Jörg Schlick und Albert Oehlen gründet er den Männer-Club "Lord Jim Loge", der sich auf den nur in der Welt der Imagination erfolgreichen, im realen Leben aber erfolglosen Helden von Joseph Conrads Roman "Lord Jim" bezieht. Die Anti- Loge steht unter dem Motto "Keiner hilft keinem" - und setzt sich das ironisch-größenwahnsinnige Ziel, ihr Logo "Sonne, Busen, Hammer" weltweit so zu verbreiten wie die Marke Coca-Cola.

Gestaltung der Ausstellung

Die Kippenberger-Ausstellung gibt Einblick in die Vielfalt des Werks - angefangen von dem 1983 gemalten Bild "Sympathische Kommunistin" gleich zu Beginn des Rundgangs über die "Zeichnungen zu den Peter-Skulpturen" auf Hotel-Briefpapier, den utopischen Architekturmodellen mit ironischen Titeln wie "Entwurf Verwaltungsgebäude für Müttergenesungswerk in Gütersloh" (1985) bis zu den einprägsamen Druckwerken in Form von Plakaten, die überhaupt zum Besten gehören, was in diesem Bereich in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht wurde.

Im Katalog erfährt man, dass man in dieser Ausstellung, die an zahlreiche Präsentationen der letzten Jahre in Wien, Frankfurt, Karlsruhe und London anschließt, Kippenberger besonders als "gesellschaftlichen Akteur" und "öffentliche Figur" zeigen will. Genau dieser Aspekt kommt in der Präsentation aber zu wenig zur Geltung - obwohl die kaum museale Atmosphäre des Kunsthauses eigentlich ideal sein müsste und auch die Bodenbeschriftung anstelle von Schildern geglückt wirkt. Lässt sich ein derart antimuseales Werk wirklich so schwer vermitteln? Und kommt Kippenbergers provokant interdisziplinärer Ansatz nicht vielleicht sogar besser in einem Film oder einer Publikation wie etwa dem schönen Katalog herüber, fragt man sich während des Besuchs.

Stellenweise kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es aber doch an der mangelnden Vermittlung und einer zu braven und nahezu ausschließlich visuell orientierten Gestaltung liegt, dass "Kippis" Werk nicht so spannend erscheint, wie es tatsächlich ist. Für die, die mit Werk und Leben vertraut sind, ist jede Begegnung eine Bereicherung. Für alle nicht Eingeweihten bleiben besonders die großformatigen Gemälde in Erinnerung. Diese sind zwar ausgesprochen sehenswert, können aber keineswegs für den antiakademischen Gestus des Gesamtwerks stehen.

Modell Martin Kippenberger

Utopien für alle

Kunsthaus Graz am Landesmuseum

Lendkai 1, 8020 Graz

www.kunsthausgraz.steiermark.at

Bis 6. Jänner 2007 Di-So 10-18 Uhr

Katalog hg. von Peter Pakesch Verlag der Buchhandlung Walter König Köln 2007. 228 S., € 29,90

Martin Kippenberger anlässlich

25 Jahre Galerie Bleich-Rossi

Eröffnung 27. November 2007

Dominikanerbastei 19, 1010 Wien

www.bleich-rossi.at

Buchtipp:

Kippenberger

Der Künstler und seine Familien

Von Susanne Kippenberger. Berlin

Verlag, Berlin 2007. 575 S., € 22,70

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