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Der Romancier Hermann Bahr

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Neben dem erfolgreichen Theaterschriftsteller Hermann Bahr, der der Bühne eine stattliche Reihe echter Lustspiele und eigenwilliger Dramen geschenkt und auf den Brettern, die die Welt bedeuten, den Wiener Charme heimisch gemacht hat, neben dem glänzenden Essayisten, der sich mit allen bedeutenden Erscheinungen der Zeit und vielen überzeitlichen Themen in fruchtbarer Weise auseinandergesetzt hat, sind die Romane Bahrs nicht ebenso allgemein in Erscheinung getreten; die meisten sind seit vielen Jahren vergriffen und manche von ihnen überhaupt nur in kleinen Auflagen verbreitet gewesen. Er hat gleichwohl die erkleckliche Anzahl von zehn Romanen geschrieben, und die seit 1909 erschienenen sollten in zwölf Stücken einen Zyklus bilden, der das Österreich seiner Zeit und die Probleme, in die es gestellt war, in einer großen Überschau darstellen wollte. Dieses Vorhaben ist allerdings zunächst nur bis zu fünf Romanen gediehen, denen zuletzt noch zwei Spätlinge folgten. Es ist ein dankenswertes Unternehmen, daß der Wiener Verlag H. Bauer nun Neuausgaben der Romane veranstaltet und zunädist drei von ihnen wieder erscheinen ließ.

Es sind dies „Die Rahl“, „O Mensch!“ und ,.Himmelfahrt“. Was Bahr in diesen Romanen zu erreichen versucht, ist, durch lebensnah gezeichnete Individuen — meist sind es Menschen seiner nächsten Umgebung, die er zum Vorbild genommen — zum Typus vorzustoßen, den sie bei aller Lokalechtheit der seelischen Farben und der Differenziertheit ihrer Erscheinungsform in ihrem Grunde repräsentieren. Es gelingt ihm zunächst mit der Rahl selbst, sie wird ihm zur Schauspielerin an sich und durch sie das ihm seit frühen Erfahrungen vertraute und ihn doch immer wieder neu anziehende Problem des Theaters und der Schauspielkunst in einem großgearteten Exemplar der Gattung wesenhaft erhellt.' Er verstand es dabei, die ganze Faszination des Theaters, und zwar sowohl die, der der Schauspieler selbst erliegt, wie die, die er in seinen Zuhörern erregt, vor uns lebendig zu machen, und chreckte auch nicht vor den gefährlichen Augenblicken, die ihr folgen, zurück, der Desillusionierung nach dem Rausche und der grausamen Genugtuung, die der Schauspieler im Leben sucht, nachdem der göttliche Funke in ihm wieder erloschen ist. Ein , liebenswürdiges und nicht minder echtes Gegenstück zur Rahl ist der Kammersänger Ignaz Fiechl, der berühmte Wagner-Sänger in „O Mensch!“. Mit feiner humoristischer Feder hat Bahr hier eine köstliche Type des Theaters wiedergegeben, die durch ihre Naivität entwaffnet und den durchtriebenen Egoismus, der ihr eignet und sich bis zur hemmungslosen Brutalität steigern kann, einfach durch seine Ahnungslosigkeit von Mitmenschen und Dingen entschuldigt. Wenn er dann aber auf der Bühne steht, entringen sich seiner Brust Töne von einer Gefühlstiefe und strahlenden Herzlichkeit, die die Menschen in Höhen der Verklärung entführen.

Begleitet sind diese beiden Gestalten von echt österreichischen Figuren: dem Gatten der Rahl, einem menschlich ungemein feinfühligen Aristokraten, der Resignation und Lebensweisheit des Alters mit hilfsbereiter Güte und diskretem Lebenszugriff reizvoll verbindet und damit den Roman über sein heikelstes Kapitel behutsam hinwegbringt, und Fräulein Annalis, die Schwester des Kammersängen in „O Mensch!“. Sie gehört zu den schönsten Frauengestalten Bahrs, mit ihren*. Humor, ihrer natürlichen Klugheit und Herzenswärme.

Den Typus des Künsriers lernen wir auch noch in einer anderen Gestalt kennen, im Maler Höfelind, wie er, der auch die Rahl malt und in „Himmelfahrt“ einen Besuch macht, in „O Mensch!“ in ganzer Breite ausgeführt ist. Bei ihm ist der Intellekt vom

Dämonischen ergriffen, er durchbricht die Masken seines Berufes und starrt in eine Nacktheit hinein, der er nur mit letzter Kraft wieder Form geben kann. Ist es aber dann nicht doch die göttliche Hand wieder, die seinen Pinsel führt? In diesem Höfelind sind Menschen an der Grenze gezeigt, wo sich hart neben dem Abgrund doch noch eine Rettung erschließt, sie könnten für immer in ihn stürzen, aber in dem wilden Lachen, das sie darüber anfällt, finden sie zugleich den Halt, der sie noch einmal dem Leben verbindet.

Dem Domherrn Zingerl müßte dieser Höfelind eigentlich ein Greuel sein, sollte man meinen. Aber im Gegenteil, er ließ sich von ihm sogar malen und vertrug sich dabei sehr gut mit dem berühmten Maler. Diese weltweite Konzilianz konnte eben von ihm ausgehen, weil er in einer ganz sicheren Weltordnung zu Hause war. Sie erlaubte es ihm, sich mit der ihm angeborenen Lebensklugheit den ordnenden Sorgen des Staates zu widmen und seinem Räderwerk ein behutsames Augenmerk zuzuwenden. Er war „der Mann hinter den Kulissen“, ja man sagte ihm nach, daß in der Monarchie nichts von Bedeutung geschehe, ohne daß er einen Einfluß darauf genommen hätte. Jedenfalls wurde er vor allen wichtigen Entscheidungen gefragt und stand überall in solchem Ansehen, daß sein Rat Gewicht hatte. Bahr zeigt uns diesen mächtigen Mann in der Nähe und hat ihn mit großer Liebe gezeichnet: der hohe kirchliche Würdenträger wird zu einem schlichten, gütigen Menschen, der aufgeschlossen auch den weltlichsten Dingen gegenübersteht und für alles einen ebenso treffenden wie besorgten Instinkt hatte. Ob es sich um hohe Politik oder persönliche Nöte handelte, wer ihn kannte, hatte das Vertrauen, daß eine Sache bei ihm gut aufgehoben sei. Bescheiden hauste er in einem Salzburger Kloster, er wird viel umschmeichelt und viel verleumdet, es prallt aber das eine wie das andere von ihm ab, er weiß, was er zu tun hat, und trägt unvoreingenommen seine eigene Richtschnur in sich.

Die Antipoden des Domherrn sind in diesen Romanen Gestalten, die jeder Bindung an den Lebenskreis, in den sie geboren wurden, zu entkommen suchen, die die Welt beglücken wollen durch Auflösung des Bestehenden und Rückkehr zu den einfachen Tatsadien, anarchische Eigenbrötler, die Idealen nachjagen, ohne den Wirklichkeitssinn zu haben, sie ins Leben umzusetzen. Es sind dies: die rührende Gestalt des Jünglings Nusserl in „O Mensch!“, der als Salzburger Holzknecht verkleidete spanische Infant in „Himmelfahrt“ und Prinz Adolar, der es mit dem Singen hat, statt in dem ihm natürlichen Raum nach dem Rechten zu sehen. Es ist auch sonst ein Charakteristikum der meisten der Zeitgenossen, die in den österreichischen Romanen Bahrs in Erscheinung treten, daß sie zwar unverkennbar ihre Gesellschaftsklassen vertreten, sie aber gleichzeitig auch verleugnen und sich aus ihnen lösen wollen. Ihr Intellekt remonstriert fortwährend gegen eine solche Abhängigkeit, und sie werden sie trotzdem nicht los, weil ihr Inneres einfach nichts anderes beherbergt, um es an ihre Stelle zu setzen. Das ist ihr Verhängnis und ist irgendwie sogar ihre Tragik. Für den kritischen Schilderer einer Zeit, gar einen so humorbegabten wie Bahr, resultiert daraus allerdings auch ein sehr ergiebiges Feld, um Menschen zwischen ihrem Tun und ihrer Meinung, zwischen Ansichten und Ausflüchten, Empfindlichkeiten und diesen wieder entspringenden Handlungsreflexen in einem merkwürdig schillernden Zwischenreich der Lebenshaltung zu zeigen.

Gewiß, es ist eine Welt v-n gestern, die uns hier bei Bahr entgegentritt. Da sie aber kritisch unter die Lupe genommen und schon in ihrer Auflösung dargestellt wird, fühlen wir uns in ihr doch nahe, denn es werden die Wurzeln freigelegt, aus denen die Menschen unserer Tage emporgewachsen sind. Was ihnen zuteil geworden ist, entstammt den seelischen Nöten dieser in allen Dingen scheinbar außergewöhnlich beglückten Vorfahren. Und wie wir solcherart mit ihnen zusammenhängen, so können wir uns von ihnen auch nicht befreien und suchen sie immer wieder gerne auf, wenn sie uns ein Autor in ihrer einstigen Lebensfrische vermittelt.

Repräsentiert sich darum auch wirklich das Österreich vor dem ersten Weltkrieg in den Romanen Bahrs? Es läßt sich bei dem fragmentarisch gebliebenen Unternehmen nicht so ohne weiteres behaupten. Das sichtliche Fehlen eines einheitlichen Planes mag daran schuld sein, aber selbst von einem solchen abgesehen, scheint Bahr auf manches sonst vielleicht einigende Band verzichtet zu haben. Es tritt weder der Staat in seiner ideellen Struktur, nicht einmal sein in das Leben so vielfach einschneidender und aufs höchste ausgebildeter Verwaltungsapparat irgendwie entscheidend hervor, es bleibt das merkwürdige Konglomerat seiner nationalen und sozialen Bestandteile außer acht — über das Bahr wie kaum ein anderer Bescheid wußte und es in essayistischen Schriften oft eindringlich dargestellt hat. Es geht ihm allein um die Menschen, und von ihnen hat er ein Bildmaterial zusammengetragen, das seinesgleichen sucht. In ihm spiegelt sich jenes Österreich, in der Sinnfälligkeit seiner Menschen ist es da und bildet seinen wesentlichen Inhalt. Wie bei der Arche Noahs ist von jeder Gattung ein besonderes Exemplar vorhanden, um in ihr über die Stürme der Zeit hinweggetragen und für ein späteres Gedenken bewahrt zu werden.

Zwischen dem zeitlich Gebundenen der persönlichen Erscheinungsweise und den für jeden Menschen gültigen ewigen Gesetzen liegt die fruchtbare Sphäre aller neueren Literatur, und sie ist besonders ergiebig für einen Romancier, dessen Aufgabe es eben ist, in einem Zeitbild auch zeitlose Grundzüge hervortreten zu lassen. Probleme können ihr Gewand wechseln, ihre geistigen Voraussetzungen bleiben aber die gleichen. Sicher ist dabei auch die Art des Erzählens etwas Zeitbedingtes, eine in sich ruhige Generation wird eine größere Breite vertragen als eine nervöse, und was für diese eine Fülle von Einfällen ist, mag für jene wieder ein nur knapp bemessener Körper sein. Der Kern einer Gestalt bleibt davon unberührt, falls ihm der Autor einmal Prägnanz gegeben hat. Bahr liefert dafür in blendend gezeichneten Figuren unzählige Beispiele: in der temperamentvollen greisen Mutter des Domherrn etwa oder in dem rührenden alten Maler Radeiner, der immer dieselbe Wiese malt, dem alle Arbeit wunderbar abschiebenden Oberlandesgerichtsrat oder dem zu allem aufschauenden adeligen Bierbrauer, dem unvergeßlichen Claquechef der Wiener Oper wie einem dünkelhaften Professor. Oft sind es nur Fünfminutenbilder von Menschen, aber sie haften auch über vergängliche Gedanken und ein fadenscheiniges Geschehen hinweg. Für sie hatte Bahr ein scharfes Auge und eine liebevoll formende Hand.

Der in der österreichischen Provinz spielende Roman „Drut“, dem ein sensationelles Liebesdrama jener Jahre zugrunde liegt, und der Wiener Roman „Die Rotte Korahs“, der dem Problem des Judentums gilt, werden wertvolle Ergänzungen zu den jetzt neu erschienenen Büchern Bahrs bringen und auch das Bild des Romanschriftstellers Bahr in mancher Hinsicht erweitern. Es wäre zu wünschen, daß sich diesen Bänden auch balc ein früher Roman wie der „Theater“ betitelte anschlösse, an dem man noch deutlich die französische Romanschule, aus der Bahr kommt, erkennen kann. Wenn diese seinerzeit alle in Berlin erschienenen Bücher Hermann Bahrs jetzt verlagsmäßig nach Wien zurückgekehrt sind, so ist darin neben dem Beweis einer Besinnung auf das eigene Schrifttum auch ein erfreuliches Zeichen für die beginnende Gesundung unseres Verlagswesens zu erblicken.

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