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Gertrud von Le Fort

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„Für mein Gefühl gehört der Dichter, solange er lebt, nur mit seiner Stimme, nicht mit seiner Person vor das Publikum. Je tiefer er mit dieser im verborgenen bleibt, desto richtiger für ihn und desto besser für sein Werk.“ Gertrud von Le Fort ist es in hohem Maße gelungen, ihr äußeres und inneres Schicksal zu verhüllen. Wenn wir heute mit den Katholiken in aller Welt — ihr Werk ist in viele Sprachen übersetzt — uns auf die große religiöse Dichterin besinnen, so nicht deshalb, weil wir neugierig in ein Leben blicken möchten, sondern um die besondere dichterische Sendung dieser Frau noch weiteren Kreisen als bisher zu zeigen und — möchte es doch gelingen — zu verdeutlichen.

Gertrud von Le Fort entstammt einer hugenottischen Adelsfamilie, die seit dem XVTII. Jahrhundert in Mecklenburg ansässig ist. Am 11. Oktober 1876 in Minden geboren, vollendet die Dichterin ihr 70. Lebensjahr. Frühzeitig befaßte sie sich zufolge ihrer Neigung und der häuslichen Erziehung, viel mit Theologie und Geschichte. Beides betreibt sie auch als Hochschulstudium. In den Jahren 1911 und 1912 zählte sie zu den Schülern des protestantischen Theologieprofessors Trocltsch in Heidelberg, dessen Vorlesungen sie nach dem Tode des „Meisters“ mit eigener Einleitung versah und unter dem Titel „Glaubenslehre“ herausgab. Aus dem Jahre 1924 aber besitzen wir ihr erstes bedeutendes dichterisches Werk, die wunderbaren „H ymnen an die Kirch e“. In der Zwischenzeit ist die ihr Leben gänzlich bestimmende Konversion zur katholischen Kirche erfolgt. Ihr dichterisches Schaffen, das schon vor dieser Zeit begonnen hatte, trat damit in eine völlig neue Periode ein. Während das heute fast unbekannte vorkatholische Werk vor allem vom religiösen Geschick ihrer Familie bestimmt war und über den Bereich des Psychologischen nicht hinausgekommen zu sein scheint, weitet sich nun der Raum in die objektive große Geschichte und — dies ist noch bedeutungsvoller — durch die objektive und sichtbare Kirche hindurch in die Übernatur.

Den 1929 in der Ich-Form erschienenen Roman „Das Schweißtuch der Veronika“ für eine autobiographische Darstellung dieser Konversion zu halten, wäre verfehlt. Wer vermag es überhaupt, in einer echten Dichtung die historische von der in künstlerischer Schau erfaßten geistigen Wirklichkeit zu scheiden? Die im Laufe der folgenden Jahre, entstehenden Werke sind deutlicher Ausdruck eines bewußten, in dynamischer Kraft zur Einheit strebenden dichterischen und von ihm unabtrennbaren persönlichen Willens. Den stofflichen Hintergrund bildet fast immer die Geschichte; auf ihm verdichtet sich der eigentliche Vorwurf, um den es geht: das Schicksal der Kirche, das Schicksal des einzelnen in der Kirche als eines Gliedes am Leibe Christi und das Schicksal des Reiches.

Aus der tiefen und außerordentlichen theologischen Erkenntnis des Wesens der Kirche, die sich unmißverständlich in den „Hymnen an die Kirche“ offenbart, kommt der Dichterin absolute Liebe zur historischen Gestalt der Kirche, die auch dann nicht erkaltet, sondern sich mit der Glut liebender Sorge verbindet, wenn diese historische Kirche in Gefahr ist. Gleicherweise aus diesem unbedingten Stehen zur Kirche, wie aus dem unerhörten dichterischen Vorwurf, den die Geschichte hier bietet, entstehen die drei in geschichts-theologischer Hinsicht bedeutendsten Werke: „Der Papst aus dem Ghetto“ (1930) —, das aus dem Mißverständnis ihres innersten Wesens, aus ihrem Schöße selbst gleichsam als Mißgeburt entsteigende Schisma; „D ie Magdeburgische Hochzeit“ (1939) —, der durch die Störung der Beziehung von Glaube und Reich bereitete Boden für die Häresie; „D ie Letzte am Schafott“ (1931) —, der Abfall entgotteter Massen. Jeweils ist es eine Gestalt, die den religiösen Sinn verdeutlicht.

Unter anderer Rücksicht betrachtet, erkennen wir das Christentum — in der Ohnmacht geheimnisvoller Macht — auf dem dunklen Hintergrunde des Heidentums („Das Gericht des Meeres“ im Insel-Alma-nach 1941) und das Christentum der Liebe und des Kreuzes über der in sich befangenen Gerechtigkek des Judentums („Eer Papst aus dem Ghetto“).

Wenn auch das Geschichtliche häufig als deutbarer und die Deutung fordernder Hintergrund in Erscheinung tritt, so entwächst es manchmal der dienenden Rolle und wird dann als ein echtes, selbständiges Anliegen der Dichterin empfunden: dies vor allem dort, wo wieder eine tiefe Liebe der Dichterin anspricht, die Idee des Reiches. Wir werden in „Eas Reich des Kindes“ (1934) geführt zum Beginn des Reiches, das aus Leid und Tode geboren wurde; in „Der Papst aus dem Ghetto“ sehen wir den Keim des Zerfalls in diesem Reich verhängnisvoll aufbrechen und wir erleiden endlich in „Die Magdeburgische Hochzeit“ mit der Dichterin den Verfall dieses Reiches, das nur in der Einheit mit dem Glauben gesichert schien. Von dieser Liebe zum alten Reiche her, das begründet hätte sein sollen durch Amt und Ordnung — beides ist in der Geschichte unerläßlich —, verstehen wir auch das manchmal mißverstandene oder zumindest totgeschwiegene Werk der Dichterin, „Hymnen an Deutschland“ (1932). Hier wollte Gertrud von Le Fort wohl, die entscheidende Stunde erkennend, nochmals ins Gedächtnis rufen: „Völker sind Mächte, gottesunmittelbar gleich den dienenden Engeln und geordnet wie jene...“ Der erste verlorene Weltkrieg hat Ordnung und Wert weitgehend vernichtet, wie die Dichterin es sinnfällig in der stofflich scheinbar außerhalb des übrigen dichterischen Rahmens stehenden Novelle „Die Opferflamme“ (1938) darstellt. Gertrud von Le Fort hat ihre Liebe ihrem Vaterlande auch dann bewahrt, als es in der Verirrung, in einem grundsätzlichen und furchtbaren Mißverständnis des Reichsgedankens befangen war. Wir waren erschüttert von dem „Hymnus“, der, nicht mehr gedruckt, nur mehr von Hand zu Hand gegeben, zu uns kam, in dem die Dichterin weint über die heimatlichen Städte, die, geopfert, als Rauchsäulen wie Weihrauch von Opferaltären zum Himmel steigen, und sind auch erschüttert, wenn wir im neuerschienenen Jahrbuch „Der Brenner“ (1946) das „Vergessenes Vaterland“ lesen, ein Bekenntnis zum unglücklich gewordenen Vaterlande der Dichterin, zum vernichteten ,in Schmach und Schande gesunkenen Deutschland.

Mag der religiöse Grundwille der menschlichen und dichterischen Persönlichkeit Gertrud von Le Forts deutlich erkennbar sein, so verdeutlicht sich die theologische Grundkonzeption noch stärker und einsichtiger an bestimmten Menschen, die, in der Gnade stehend, ihr Heil wirken. Im „Gericht des Meeres“ ist es die unvergleichliche Ann de Vitre, die, aus der heidnischen Naturgerechtigkeit emporgehoben, der erleuchteten Liebe folgt und von der jungfräulich Rächenden zur mütterlich Schenkenden wird, ein Weg, den sie mit dem Opfertod besiegelt, der sie gleichsam durch die Bluttaufe zu den Geretteten in Christo führt. Völlig im christlichen Raum steht Blanche de la Force („Die Letzte am Schafott“), bei der sich die göttliche Gnade an die äußerste menschliche Schwäche, an das klägliche Versagen knüpft und solche Kleinheit zur Größe des Martyriums beruft. Und schließlich nennen wir die mystische Nonne („Die Abberufung der Jungfrau von Barby“, 1940), die in äußerster Demut, Verlassenheit, in letzter Erfüllung des Gehorsams das Martyrium des geistigen und leiblichen Lebens leistet.

Ein letzter Gesichtspunkt sei noch erwähnt: immer ist die historische Wirklichkeit unverfälscht vorhanden, steht das Konkret-Geschichtliche sorgfältig bereit und überall bricht das Geistesgeschichtliche formend durch. Ein unverkennbar ge-schichtsphilosophischer und geschichts-theologischer Standpunkt liegt klar. Die übernatürliche steht entscheidend über jeder natürlichen Wirklichkeit, auf der sie jedoch aufbaut; die Offenbarungswahrheiten leuchten unverfälscht hindurch. Das ganze Werk ist transparent und ist, was sich in allen Symbolschichten abzeichnet, im Grunde vom Pneumatologischen her bestimmt. Trott dieser männlich scharfen Geistigkeit, die ans dem dichterischen Werk der Le Fort spricht, handelt es sich doch eindeutig und in allem um ein frauliches Werk. Die einzige theoretische Darstellung der Dichterin. „Die ewige Frau“ (1934), birgt die Schlüssel des Verständnisses: „Erst kommt die Schöpfung, das ist die Herrlichkeit Gottes; danach kommt die Empfängnis, das ist die Demut des Weibes; danach erst kommt die Tat, das ist die Gewalt des Mannes“. Mit dieser metaphysischen Deutung des Wesens der Frau ist zugleich ihr religiöses getroffen: nämlich „eine besondere Hinordnung zum Religiösen“. Von diesem Verständnis der Frau an sich geht die Brücke zum Verstehen der kulturschaffenden und kulturschützenden Frau und damit zu der sonst nicht leicht zu erfassenden Novelle „Die Opferflamme“.

Damit sind wir bei der eigentlichen Feststellung: das Werk Gertrud von Le Forts ist bis ins letzte von der Tatsache durchdrungen, daß unsere Heilsordnung vom mysterium crucis bestimmt ist; es ist getragen von der Überzeugung, daß Leiden vor Tat, Demut vor Stolz, Kleinheit und Armut vor Größe, Machtlosigkeit vor Macht stehe, ja, daß eben das Kreuz der Schlüssel des Heiles sei. Was P. Przywara S. J. als Theologe mit den Mitteln der Wissenschaft kündet: das Geheimnis des Kreuzes als Begreifung jeglicher geschaffenen Wirklichkeit, das leistet Gertrud Ton Le Fort mit den Mitteln der dichterischen Aussage. Mit dem Pathos und dem Wahrheitsanspruch, der echter Dichtung eigen ist, überzeugt sie uns auf einer anderen Ebene, als die wissenschaftliche Theologie es tut, daß die Kirche trotz aller Wunden fortbestehen und in ihrer Entäußerung dem „Entäußerten“ ähnlich wird, der die Unüberwindbarkeit der Kirche verheißen hat. Daraus kommt wie für alle Leidenden, so auch für die leidende Christen Deutschlands, der Trost, daß ans einer innerlichen Verdemütigung des Landes, die so tief geht, wie es sich selbst im Stolz überhoben hat, eine neue Wirklichkeit werden kann. Daraus schließlich der nnübertreffbare Trost für jeden einzelnen Christen, daß er mit dem Maß seiner Leiden hineinwächst in die Leiden Christi und in seine Glorie.

Was wird uns das neueste Werk der Dichterin „Der Kranz der Engel“ (München 1946) sagen? Es steht wohl im Zusammenhang mit dem „Schweißtuch der Veronika“ und bringt vielleicht die Geschicke des Dichters Erizio, die noch nicht entschieden sind.

Vor mehreren Jahren hat sich die Dichterin aus ihrem früheren Wohnsitz auf dem bayrischen Schlosse Konradshöhe-Baierbrunn zurückgezogen nach Oberndorf im Allgäu, wo sie an einer Abrundung ihres dichterischen Gesamtwerkes arbeitet. Ihr 70. Geburtstag ist uns ein willkommener Anlaß, ihr zu danken: für ihre dichterische Leistung, für ihr Bekenntnis, für ihr Stehen in der Zeit,“ für ihr reifes Schaffen!

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