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Giraudoux, Bernanos und Ugo Betti

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..Siegfried“ von Jean Giraudoux im Theater „Die Tribüne“: Ein während des ersten Weltkrieges verwundeter französischer Soldat verliert sein Gedächtnis und leb't sieben Jahre versehentlich als Deutscher weiter. Und das nicht etwa wie irgendein Deutscher schlechthin — er bringt es schnurstracks zum Geheimrat und beinahe zum „Führer“ eines in Vernunft wiedererweckten Deutschen Reiches. Dann, als er merkt, daß er nicht nur kein großer, sondern überhaupt kein Deutscher ist, kehrt er, ziemlich abgeklärt, zur „Patrie“ zurück: gespalten, seelisch aufgeteilt auf zwei Nationen, ein auf zwei Beinen wandelnder Beweis, daß nationale Ambition da zu diesem, dort zu jenem führen kann. Das Vaterland ist Zufall; Emballage. Das war 1929; ein einfallsreiches Bühnengleichnis zur Tagespolitik, eine Komödie der Versöhnung mit politischem Konzept, ein pazifistisches Theaterstück im Zeichen der deutsch-französischen Verständigung. Die Pariser standen köpf. — Heute geht den Franzosen wie den Deutschen die Erschließung des Saharaöls im Kopf herum. So ändern sich die Zeiten. Doch über Zeit und Zeitgeist und über die Polemik aus vergangenen Tagen obsiegt eine der brillantesten politischen Satiren der Theaterliteratur. Eine Glosse ohnegleichen, in der Germanias Paradesöhne, von tausend freundschaftlichen Nadelstichen hingestreckt, ein augenzwinkerndes, teutonisches Begräbnis feiern. Zum Gaudium der Nachfahren. Die von Norbert Kamin i 1 inszenierte Aufführung ist sehenswert. In den Hauptrollen: Michael T e 11 e r i n g, Lia Ander, Norbert Kammil, Charlotte Bauer. Das Bühnenbild schuf Josef Brun.

„Die begnadete Angst“ von Georg Bernanos, aufgeführt von der Schauspielgruppe der Wiener Volkskonzerte: Ein außergewöhnliches Werk, in seinem tiefsten Kern Mysterium des Opfers — und mehr Passion als Drama, schildert die (der von Gertrud von Le Fort verfaßten Novelle „Die Letzte am Schafott“ entnommene und historisch beglaubigte) Liquidierung des Karmeliterinnenklosters von Com-piegne im Jahre 1794. Die Einführung der ängstlichen Novizin Blanche dient der dramatischen Gegenüberstellung der menschlichen Schwäche und Verstörung einer heroischen klösterlichen Gemeinschaft. Ihr thematisches Leitmotiv indes bezieht dieses bilderreiche Gleichnis aus dem Konflikt, der sich für die todesmutigen Nonnen daraus ergab, daß es ihre Ordensregeln untersagte, den Ruhm des Martyriums mit dem Seelenheil der Henker zu erkaufen. In seiner äußeren Form eine Folge von Gesprächen und Szenen, zu denen nur das Wetterleuchten einer sturmgepeitschten Zeit die Spannung des Theaters liefert,offenbart das Stück tiefgreifende Deutungen der katholischen Glaubenswelt. Die Spielschar der Wiener Volkskonzerte widmete sich ihrer lobenswerten Aufführung mit Hingabe und Ambition. Die Leitung lag in den Händen Helmut Regenermels. In den Hauptrollen: Helga Pomp, Maria Engelbrecht, Erich Werner, Hilde Reichel, Elli Kristof, Edeltraud Paule.

„Die Königin und die Rebellen“ von Ugo Betti im Theater der „Courage“: In einem utopischen Land wird utopisch rebelliert. Das politische Konzept bleibt verhüllt, nur eines steht fest: die Revoluzzer sind hinter der Königin her. Bald nachdem die Zuschauer den illustren Flüchtling in seiner bosnisch-bäuerlichen Verkleidung entdeckten, hat es der Autor satt mit der unleidigen Politik und wendet sich, einem etwas ältlichen Straßenmädchen zu. Argia heißt sie. und ist von Natur aus keine Royalistin. Sie wird es aber, als sie erfährt, daß die hohe Dame auf ihrer Flucht mit vielen, vielen Männern Umgang pflegte. Sie fühlt sich solidarisch. Und versucht, zu helfen. Als sie dann etwas später mit der Königin verwechselt wird, ist sie so geschmeichelt, daß sie sich widerspruchslos füsilieren läßt. Ugo Bettis Sorgen möchte man haben. Für eine spannende Inszenierung sorgte Gandolf Buschbeck. In den Hauptrollen: Elsa Moltzer, Judith Melles, Tina Schubert, Kurt Mejstrik. Das Bühnenbild stellte Ferdinand Friedl.

Matinee im Theater am Fleischmarkt: Klaus Kinski rezitierte Lyrik von Arthur R i m-b a u d. Zwei eigenartige, wirkungsvolle Elemente trafen aufeinander: die sengend streithaften und in Haß und Anklage erglühenden Verse Rimbauds und Kinskis eigenwillige, prononciert unkonventionelle, musikalische, wenngleich dissonante Vortragsweise. Kinski schont weder sich noch seine Hörer, er steht in vollem Einsatz einer zornigen, exhibierten Geste, steht ein für eine ungeheuer drastische, wie plastische Verdeutlichung anspruchsvoller Texte, die im Deutschen schwer zu fassen, indes.bei geglückter Durchdringung ihres wuchtigen, genialen sprachlichen Gehaltes ihre Wirkung nicht verfehlen. Es sind Verse eines Gehetzten, ungebärdig, von vitaler, auf ein absurdes Geleise der Menschlichkeit und des Glaubensstreites geleiteter fieberhafter Kraft. An ihren gültigen Stellen von einer hellsichtigen Magie durchleuchtet, gelegentlich gefallsüchtig in ihrem Geifer) ein Fluchen, Stammeln, Weine — oft mit zwei in Leid geprüften, dann auch nur mit einem tränenreichen Auge, das den Spiegel sucht. Sinngemäß, in die Mimik eines verblüffenden Schauspielers umgesetzt, war ihre Interpretation. — Wenn solch bescheidenes Wort verstattet ist.

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