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Das Fest des Burgtheaters

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Über Tradition und Aufgaben des Wiener Burgtheaters ist mehr geschrieben und geredet worden als über irgendein anderes deutschsprachiges Theater. Andere berühmte Theater mögen sich öfter und intensiver um die Parabel des modernen Menschen bemühen — in einem stehen alle dem Burgtheater nach: in der immer noch wirksamen Gelassenheit und Einheitlichkeit der Tradition, in dem, was Anton Wildgans in seiner berühmten Rede auf Österreich „die edle Heiterkeit und die starkmütige Ergriffenheit menschlicher Herzen" nannte. Mit diesen Worten, die alles Häßliche und Krasse ausgeschlossen wissen wollen, hat er auch ausgedrückt, was die Aufgabe des Burgtheaters ist. Ob sie immer erfüllt wurde, wieder erfüllt wird oder überhaupt noch erfüllt werden kann — die gar nicht so leichte Antwort darauf bleibe weniger festlichen Tagen vorbehalten. Burgtheaterdirektor Emst Häussermann sprach jedenfalls am Ende seiner Rede beim Festakt zum 75jährigen Geburtstag (im Prachtbau an der Ringstraße) des in Wahrheit 187jährigen Burg- theäters tief überzeugt den Satz: „Ich glaube an die Unsterblichkeit dieses Burgtheaters.“

Wie zum Beweis, daß das Burgtheater Immer schon ein literarisches und zugleich eng an die Persönlichkeit des Schauspielers gebundenes Theater war und ist, hatten vor der abendlichen Festpremiere fünfzehn der bekanntesten Mitglieder des Theaters Platz genommen (unter ihnen, um nur einige zu nennen, Adrienne Gessner, Käthe Gold, Alma Seidler, Paula Wessely, Ewald Balser, Josef Meinrad, Hans und Hermann Thimig) und lasen nach einem Manuskript von Friedrich Schreyvogel aus der Geschickte der 75 Jahre Burgtheater am Ring.

Das eigentliche Ereignis des Festtages war die Aufführung von Grillparzers Fragment „E s t h e r“ in der Inszenierung von Josef Gielen. Der Stoff (der persische Despot Ahasverus verstößt in einem Anfall von Jähzorn seine Gattin und befiehlt,- alle Jungfrauen des Landes von Schönheit und Verstand zu seiner Wahl zu stellen, worauf das jüdische Mädchen Esther als Erwählte hervorgeht) wurde mehrfach dramatisiert, unter anderem von Lope de Vega. Nach den äußerst dürftigen Aufzeichnungen Grillparzers über die Fort- s fjung, hätte im Ąįittęlpunkt. (Jęs, ,Dragas das'Riecht dės Staate gegenüber der Religion, die Stellung der Religion im Staate, Glaubensfreiheit und anderes zur Dis-; kussiön gestellt werden sollen. Wohl auch aus Furcht vor Schwierigkeiten mit der Zensur hat Grillparzer die angefangene Dichtung nicht mehr weiter verfolgt, was ungemein zu bedauern ist, denn die erhaltenen Teile (das. angeführte Bruchstück wurde um eine nur halbfertige Szene gekürzt) gehören sicherlich zum Besten unter den vielen Fragmenten der deutschsprachigen dramatischen Dichtung. Höhepunkte sind Idie ruhige Schönheit im Gespräch zwischen Esther und ihrem Vater sowie die wundervolle Liebesszene zwischen dem vorerst recht skeptischen König und der widerstrebenden Esther. Von starker Wirkung waren Sebastian Fischer (ein Gast aus Hamburg) als König von Persien, ein leidenschaftlich bewegter, skeptischer Menschensucher, Annemarie Düringer als Esther, ergreifend in ihrer Mischung aus mädchenhafter Anmut und geistiger Frühreife. Attila Hörbiger als Esthers Oheim, ein talmudistischer Gelehrter von prophetischer Weisheit und hohem Selbstbewußtsein, sowie Heinz M o o g als intrigante Hofschranze. Das schöne, weiträumige ’ Bühnenbild stammte von Clemens Holtmeister.

Dem Grillparzer-Fragment folgte (wie bei dėr Eröffnung des Hauses vor.75 Jahren) „Wallensteins Lager“ in der schon! bekannten Inszenierung von Leopold Lindtberg.

Als1 Festpremiere bekam das tapfer ausharrende Publikum nach Mozarts „Jupiter- Symphonie“ und der vielstimmig gelesenen Burgtheatergeschichte endlich „D a s W e 111 h e a t e r“ von Harald Zus a- n e k „nach dem Motiv von Calderöns ,Das große Welttheater’“ zu hören und zu schauen. Gemeint ist das erhabenste Fronleichnamsspiel von Calderön, die in aller Einfachheit große Vision des menschlichen Daseins. Der Meister schafft die Welt und läßt die Menschen für die ihnen zugewiesene kurze Zeit das Theater ihres Lebens agieren: Die Welt, die Weisheit, die Schönheit, der König, der Reiche, der Landrhann, der Bettler. Aber kaum begonnen. ist das Leben auch schon wieder verweht, und alle die lebendigen Schattenbilder! müssen vor den Richterstuhl des Meisters treten. Gewogen nach Verdienst und Würdigkeit, findet nur der Reiche nicht! den Weg zur himmlischen Tafelrunde! des Meisters. Soweit Calderon. Zusaiek hat nun das „Gott-Welt-Mensch- Thema“ ins Atomzeitalter transponiert und auf eine andere Sinngrundlage gestellt. (..Die Sinnlosigkeit ist ein Schleier, der den Sinn verbirgt“.) Zu den von Calderon übernommenen Gestalten schuf Zusanek den «Beweger“, die Verkörperung derjenigen Kraft, die den Kosmos in Bewegung hält find sowohl Geburt wie Tod des Men schen vollzieht. „In der Begegnung mil ihm zeigt sich Willensfreiheit oder Vorbestimmung. “

Leider war diesmal Zusaneks dramatische Kraft seiner barocken Phantasie keineswegs ebenbürtig. Läßt im ersten Teil noch mancher Blankvers aufhorchen, ergreift ein Wort und sein tieferer Sinn, zer- flattert im zweiten Teil alles, da die Figuren die ihnen zugewiesenen Rollen zurücklegen oder tauschen und dadurch die Ordnung bis zum Ausbruch des Chaos stören, wird leer bis zur Sinnlosigkeit. „Mord. Rose. Hoffnung. Wurm. Kuß. Siebzehn. Timbuktu. Julia. Traum. Sirius. Gift. Glück. Wein. König. Ziege. Schiffe. Halleluja’ stammelt immer wieder die Weisheit oder schlägt unentwegt auf eine Kindertrommel. Zahllose allegorische Gruppen und Requisiten (die Ungeborenen. Physiker, Astronauten, der Diktator auf der Schädelpyramide, der von der Wissenschaft geschundene Mensch, rasende Ballettknäuel, eine Riesenschalttafel, über welche die nervöse Unruhe der Zeit wie Blitze zuckt, twistende Tanzbeine, unter Lärmorgien rotierende Riesenschallplatten usw.) sollen die Aktualität von heute und morgen versinnbildlichen. Regisseur Adolf Rott, ein wahrer Bühnen-Breughel, entfesselte, unterstützt vom Bühnenbildner Günther Schneider-Siemssen, die gesamte Maschinerie des Burgtheaters und forcierte noch Tempo, statt überall zu dämpfen. „Warum?“ schreit „Welt“ (Martha Wall- ner) am Ende, „warum?“ Ja, warum? fragte sich auch das wie aus einem bösen Alptraum erwachende Publikum, den Ausgän gen zueilend. Harald Zusanek hält, laut einem Interview, sehr viel von Magie. Die Magie des Theaters stand ihm diesmal nicht zu Gebote. Von den vielen Mitwirkenden, die sich selbstlos bemühten, seien wenigstens einige genannt: Walter Reyer als Bettler, Erich Auer als Bauer, Boy Gobert als der Reiche, Fred Liewehr als König, Sonja Sutter als „Schönheit“, Aglaja Schmid als „Weisheit“ und Samy Molcho als „der Beweger“. Die ausgiebig verwendete Sphärenmusik stammt von Paul Angerer.

Das Akademietheater brachte als Festbeigabe Hermann Bahrs unverwüstliches Lustspiel „Das Konzert“. So oberflächlich lustig, wie man uns das Stück unter der Regie von Josef Meinrad andrehen möchte, ist es aber gar nicht. Die immer noch brillanten Dialoge des wirklich witzigen und zugleich moralischen Autors enthalten auch manchen Hintersinn. Den erkannte und spielte eigentlich nur Susi Nicoletti als vielgeplagte Ehefrau des umschwärmten Konzertpianisten Heink (Robert Lindner). Dagegen füllte Peter Weck die Prachtrolle des unentwegt mit der Wahrheit herausplatzenden Dr. Jura keinesfalls aus. Johanna Matz als Delfine blieb ziemlich farblos, Loni Friedl wie die übrigen in den Meister sterblich verliebten „Gänse“ wirkten allzu possenhaft überspannt. Die Bühnenbilder stammten von Lois Egg, die üppigen Kostüme von Erni Kniepert.

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