In den Eiterkrusten des Lebens

Werbung
Werbung
Werbung

Franzobel rührt beherzt um im Universum einer perfiden Triebwelt.

Leicht konsumierbar und frisch fröhlich idyllisch waren Franzobels Bücher noch nie. Denn literarisch gesehen steht Franzobel nicht gerade für zärtliche Romantik oder Figuren auf der Butterseite des Lebens. Auch nicht, wenn sein neues Buch ganz lapidar Liebesgeschichte heißt.

Wie immer trügt der Schein. Wer Franzobel kennt, weiß, dass man sich beim Lesen wappnen muss. Denn prall und funkelnd rauscht es auf, das Böse als Phänomen, flugs wird man überrollt von den dunklen und düsteren Wellen einer feixend stieren, dunklen Triebwelt. Franzobels Figuren tauchen ab, ziehen den Leser hinein mitten in den Pulk des Verdrängten, weil er gekonnt am Tabu kratzt, Narben aufreißt und beherzt umrührt in einem grausam zu Tage tretenden Universum perfider Gemeinheiten.

In einem Interview hat sich Franzobel einmal folgendermaßen dazu geäußert: "Das Leben ist grauslich, schmutzig, blutig, brutal - auch wenn es in den meisten Medien als sauber und glatt präsentiert wird. Mich interessiert das Verdrängte, das Unverheilte. Schon als Kind habe ich gerne an den Eiterkrusten meiner Kniewunden rumgekratzt. Da kulminiert etwas, Wunden bringen mich aus dem Konzept, aber auch die Idylle und die Idee der Schönheit funktionieren besser vor der Folie der Grausamkeiten." Und genau das ist es, was in seinen Büchern gärt und brodelt und verstört, denn nichts wird gut.

Abscheu und Ekel

Der Anfang führt diesmal gleich zum Ende. Der vierunddreißigjährige blutarme, verheiratete Arabischübersetzer Alexander keucht frühmorgens atemlos von einem Seitensprung nach Hause und fühlt nur Abscheu und Ekel, als ihn seine verweinte Frau Marie zur Rede stellt. Was zunächst noch den Anschein eines formidablen Ehekrachs hat, wächst sich unverzüglich zu einer grotesken Katastrophe aus: Marie stürzt sich mit den beiden Kindern aus dem Fenster und gibt damit den Auftakt für die Franzobelsche Hochschaubahnfahrt, zunächst quer durch Wien und schließlich bis nach Jerusalem. Indem Alexander kurzerhand zu seiner Geliebten Dunja zurückkehrt, ohne sich um seine "tote" Familie zu kümmern, schleudert er sich selbst hinein in ein Chaos lächerlicher Hochstaplerei und männlicher Fleischeslust, das umso größer wird, je weiter die Handlung voranschreitet. "Wo war der Schmerz, das Gefühl völliger Sinnlosigkeit? Nicht da. Und wo war die Verzweiflung? Auch nicht da. Wo war die Leere? Nicht in ihm." Alexander merkt nur am Rande, dass er als Mensch versagt hat und als Getriebener einer leeren, aussichtslosen Liebe nachstellt.

Bösartige Alte

Auch wenn in diesem Roman "die Livree des Elends", das ist die Gänsehaut, nicht mehr ausreicht, um dem gurgelnden Sturzbach triebhafter Unverfrorenheit Einhalt gebieten zu können, so schleust er dennoch satirisch reflexive Sedimente über die Liebe ein, um sie sofort wieder zu zerschmettern. Ist die Liebe tatsächlich eine "Megäre, eine falsche, bösartige Alte", die verhindert, dass die Richtigen einander begehren? Denn tatsächlich dreht sich hier ein Liebeskarussell, das wie in Schnitzlers Reigen nicht zu stoppen ist, zumindest Begehren und erwiderte Liebe nie zusammenführt: "War man für den Richtigen immer der Falsche?" Darauf gibt bereits das Motto am Beginn des Romans die Antwort: "Des Menschen Fähigkeit zum Selbstbetrug ist außerordentlich."

Und es wäre nicht Franzobel, wenn seine Geschichte, in der er Grausames, Rauschhaftes, Libidinöses und Übersteigertes deftig und überbordend zerstampft, nicht wieder unzählige Beulen, Ecken und Kanten hätte. Alexander begeht unabsichtlich einen Mord, gerät in der Gruft der Michaelerkirche zu einer Leiche in den Sarg, checkt im Hotel Bristol vor der wartenden Fotografenmeute als stinkreicher Prasser Sir Alexander ein und bestellt sich dreißig junge Mädchen zum libidinösen Roulette, bis er schließlich ins "Epizentrum des Terrors" nach Jerusalem reist. Ein Verbrechen jagt das andere, die Handlung schleudert sich explosiv aus den Fugen und Alexander erfährt sich als Spießer und "Dumpfbacke", ja als gefühlloses "Wrack seiner selbst": "Im Grunde war er ein Filou", der jede Blüte für sich entdeckte, daran "roch, pflückte, was ihm schmeckte."

Auch diesmal kracht und poltert es also wieder gehörig in Franzobels Roman und er zeigt sich wieder einmal mehr als anarchischer Erzähler. Dass er das Genre der grotesken und makabren Inszenierung souverän beherrscht, steht außer Zweifel. Sprachlich geht er diesmal andere Wege. Weniger Metaphern, dafür setzt er Wiederholungen und Sprachspiele als Stilmittel ein. Als große Gliederungsfolie fungieren die einzelnen Temperamente, deren Unterkapitel er mit religiösem Vokabular blasphemisch verbrämt. Nachdenklich macht, dass Schnipsel aus dieser wütenden, eiternden Welt trotz ihrer Übersteigerung der Realität manchmal gefährlich nahe kommen.

Neue weibliche Zeit

Bleibt noch die Vision, die Dunja andeutet: Es werde nicht mehr lange dauern, "bis eine neue, eine weibliche Zeit kommen würde, eine Zeit, in der die Vernunft und die Leidenschaft gleichberechtigt beisammenstünden und nicht immerfort ums Wort stritten".

Liebesgeschichte

Roman von Franzobel

Zsolnay Verlag, Wien 2007

220 Seiten, geb. € 20,50

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung