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Odysseus und sein Gegenspieler erzählen

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Der sechste Gesang. Roman von Ernst Schnabel. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main. 168 Seiten. Preis 10.80 DM.

Nicht Homer erzählt diese Geschichte, sondern Odysseus selbst, denn schließlich wird er selbst am besten gewußt haben, wie alles war. Homer kommt am Rande vor, als kurzsichtiger junger Mann, der später einmal schreiben wird. Das ist ein Anachronismus, denn die Odyssee entstand in der Form, in der sie uns überliefert ist, erst gut 400 Jahre nach der historischen Fixierung der mythischen Ereignisse.

Das Buch beginnt mit dem, was im sechsten Gesang der Odyssee erzählt wird, beschränkt sich aber nicht auf diesen, sondern enthält alle Abenteuer Odysseus von der Zerstörung Trojas bis zu dem Augenblick, wo er wieder auf Ithaka landet. Nur die Geschichte mit den Freiern blieb also weg.

Das Schönste und Originellste an diesem Buch sind die drei Stücke für Marionettentheater von Circe, die in der Mitte des Buches eingefügt sind. Das erste spielt in Knossos auf Kreta, Minos und Familie sind die Personen. Hört er da Phädra, seine Tochter, die ihm Nachricht gibt, daß sie sterben will: „Ich.tue, was, ich tue, weil man nicht Leben soll, wenn'man herzlos ist und 'merkt, daß man ein Herz hat, dem das Notwendige immer zu spät erst einfällt.“ — Die weiteren Stücke spielen dann am Acheron und im Hades.

Alles, was hier gesagt wird, betrifft uns Menschen heute, und wird mit Charme gesagt. Es gibt gewichtigere und wichtigere Bücher. Aber dies ist eines, das einem restlos Freude macht; solche sind selten geworden.

Ernst Schnabel, dessen Photo auf der hinteren Umschlagseite zu sehen ist, sieht selber aus wie Odysseus. Wir wissen zwar nicht genau, wie Odysseus aussah: aber ungefähr so wird es wohl gewesen sein. Und also war Schnabel berechtigt, seine Geschichte zu erzählen.

Der als Lyriker bekanntgewordene Georg D r o z-d o w s k i in Klagenfurt schrieb ein Hörspiel, der „3 0. G e s a n g“, dessen Buchpublikation nun von der Stifter-Bibliothek, Salzburg-Klosterneuburg, vorbereitet wird. Seine Arbeit hat manches gemein mit der Schnabels, die ja auch zuerst für den Funk gedacht war. Drozdowski beginnt aber dort, wo alle guten Geschichtenerzähler aufhören, nach dem Happy-End. Er geht der Frage nach: Und was geschah dann? Wie ging es weiter? Die Frage, die die Zuhörer aller Zeiten so brennend bewegt hat. Homers Odyssee endet mit dem 24. Gesang, und Drozdowski kommt zu dem Schluß, daß der blinde Sänger wohl gewußt haben wird, warum er nicht weitererzählte. — Von Georg Drozdowski erschien im vergangenen Jahr im Bergland-Verlag, Wien, der schöne Gedichtband „Der Steinmetzgarten“ (64 Seiten, Preis 22 S).

Unternehmen Holzpferd. Von Werner Riemer-schmid. Aus den Memoiren des unpopulären Generals Th. Reihe: Neue Dichtung aus Oesterreich. Herausgegeben von Rudolf Felmayer. Band 31. Bergland-Verlag, Wien 96 Seiten. Preis 22 S.

Der unpopuläre General Th. ist niemand anderer als der alte Thersites. der in der Ilias so schlecht wegkommt. Der Dichter Riemerschmid ist dafür bekannt, daß er gerne abseitige, nicht ausgetrampelte

Wege geht; 'MBM'W'iim' verWun/n!' 3däg er sich gerade des so unpopulären Thersites annimmt. Die Ehrenrettung dieses Mannes und mit ihm des Typs des skeptischen Menschen ist ihm gelegen; dabei kommt Odysseus schlecht weg, denn dieser habe sich besonders dabei hervorgetan, Verleumdungen über Thersites auszustreuen.

Die Ilias endet mit der Beweinung des gefallenen Achill und läßt das Ende des Trojanischen Krieges offen. Thersites will nun, zwanzig Jahre nach dem Fall Trojas, zurückgezogen in seinem „Landhaus“ lebend, „untersuchen, wie die Stadt Troja zerstört worden ist, eine Antwort finden auf die Frage: Wie war es wirklich?“ Diese Aufzeichnungen stellen nicht das Ergebnis seiner Bemühungen dar, sondern nur eine Art Tagebuch, in dem er verschiedene Quellen — wie Aussagen seines argolischen Hausverwalters Sinon — notiert.

Thersites ist der moderne Mensch in der mythischen Welt, der Skeptiker und Spötter. Er hat für viele Vorstellungen seiner Zeit nur ein mitleidiges Lächeln und zieht die Erforschung der nüchternen, „objektiven“ Wahrheit, sei sie auch noch so banal, der mythischen Welterklärung vor. Das macht mir den Mann auch in der Darstellung Riemerschmids nicht sympathisch.

Dreierlei persifliert Riemerschmid in seiner Erzählung- die üppig blühende Memoirenliteratur unserer Zeit; die ganze Gattung des historischen Romans; und die oft nur mythisierende (und keineswegs mythische) Griechenlireratur der Gegenwart, in der jeder Heimkehrer taxfrei zum „Odysseus“ ernannt wird. Dabei ist die Persiflage nie forciert. Br übertreibt nicht, er erzählt. Zuweilen erhellen Blitze finsterer Ironie den Blauhimmel der Antike, wenn der Autor seinen „schwarzen Humor“ schießen läßt.

Zwischen Hades und Olymp. Zwei mythische Komödien von Werner Riemerschmid. Reihe: Neue Dichtung aus Oesterreich. Band 12. Herausgegeben von Rudolf Felmayer. Bergland-Verlag, Wien. 68 Seiten. Preis 22 S.

Die zwei Komödien sind: „Die Liebe des Narziß“ und „List, Lust und Last“, ein Spiel um Sisyphos, der noch Herr von Akrokorinth ist und stolz auf sein Land herabblickt. Für diese Komödie, die der Oesterreichische Rundfunk als Hörspiel brachte, erhielt Riemerschmid den Staatspreis.

Cocteau: das ist „Genie, gewürzt mit Clownerie“. Man könnte Riemerschmid den österreichischen Cocteau nennen, wenn man gegen derlei umgemünzte Begriffe nicht skeptisch wäre. Nicht umsonst hat Piemerschmid das „Taschentheater“ Cocteaus vortrefflich ins Deutsche übertragen. Hier liegt, diese beiden Stücke zeigen es, echte Geistesverwandtschaft vor: Vielseitigkeit, Ueberbetonung des Intellekts, schwarzer Humor, Unbekümmertheit des Einfalls. .■.

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