6712915-1964_29_11.jpg
Digital In Arbeit

Romane zum Lesen

Werbung
Werbung
Werbung

MASKENSPIEL. Roman. Von Iris M u r d o c h. Deutsch von Karin Reese, Piper-Verlag-, München. 326 Seiten. Preis 18.50 DM. — DIE ABENTEUER DER SIBYLLE KYBERNETA. Roman. Von Jan Hammerström. Eugen-Diederichs-Verlag, Düsseldorf. 408 Seiten. Preis 19.80 DM. — DIE FRAU DES STAATSANWALTS. Roman. Von Frank Richard. Schweizer Druck- und Verlagshaus, Zürich. 395 Seiten. Preis 18.80 9Fr. — DER ALTE WEINBERG. Historischer Roman von Norah Lofts. Deutsch von Brigitte Haselbach. Schweizer Druck- und Verlagshaus, Zürich. 468 Seiten. Preis 16.80 sFr. — WO DER STROM ENDET und andere Geschichten. Von Anthony C. Wes t. Deutsch von Elisabeth Schnack. Kindler-Verlag, München. 356 Seiten. Preis 18.50 DM.

Ein Stoß zeitgenössischer Romane liegt auf dem Tisch. Der Rezensent — wer zweifelt daran? — hat sie alle gelesen, und sinnt darüber nach, was über sie zu sagen ist. Bücher sind teuer, vor allem Romane sind es, i,n den meisten Fällen liest man sie einmal und legt sie dann beiseite. Sind sie wirklich teuer? Es komme uns kein Verleger mit Beweisen her, wonach der Buchpreis, mit dem Weizenpreis von anno dazumal verglichen, doch nur das X- fache erreicht habe und so weiter! Romane sind vor allem bei uns teuer: Wenige Dinge dieser Art können einen mehr irritieren als die Beobachtung, daß eine Übersetzung aus dem Englischen im Verhältnis zum ursprünglichen Werk eine ISOprozentige Steigerung erfahren hat, oder manchmal glatt das Doppelte kostet.

Daß Iris Murdoch zu den führenden Autoren Englands zählt, steht außer Debatte, und für ihr intellektuelles Niveau bürgt schon ihre Stellung als Dozentin für Philosophie in Oxford. „Maskenspiel” ist die geschickt gebaute Erzählung eines Liebesreigens in einem Milieu, das der Verlag „die Londoner Gesellschaft” nennt. Nun, „die” Londoner Gesellschaft, ein heute ohnehin verschwommenes Gebilde, ist sie nicht, wenn auch die verblüffende Geschwindigkeit der Drehungen, die dieser Reigen erreich , an die Skandale der letzten Zeit, .die die höchste mit der niedrigsten Gesellschaftsschicht durch Vermittlung klassenloser Mittelsmänner verbunden haben, erinnert. Der Roman erzählt von rabiater, liebloser Erotik; das Befremdende an diesen Menschen ist die bedenkenlose Selbstverständlichkeit, mit der sie — zumal innerhalb des Bekanntenkreises — wie in einer Quadrille, die Partner wechseln. Eine gräßliche, bindumgelose Welt ist es, die hier geschildert wird, allerdings darf man von einem „erotischen Roman” in diesem Fall nicht sprechen; schwüle Passagen kommen nicht vor. Man möchte ihn keinem jungen Menschen schenken. Sollte ihn aber ein junger Mann lesen, müßte er denken: „Wir aber, in meiner Generation, werden anders leben.”

Gedankliche Konzentration, vielschichtige Knappheit des Ausdrucks sind Merkmale der Bücher von Iris Murdoch, wie auch von den meisten guten englischen (nicht unbedingt der amerikanischen) Autoren der Gegenwart. Viele deutschsprachige Schriftsteller scheinen hingegen die Flucht in die Länge ergriffen zu haben. Die Redseligkeit Jan Ham- merströms ist erstaunlich, die Modefloskeln des vergangenen Jahres schüttelt er unermüdlich aus dem Ärmelloch. Tatsächlich ist sein Roman geistreich und amüsant, aber den alten Spruch darf man ihm ans Herz legen: „Besser ein Bonmot verschluckt, als einen Freund (oder Leser) verloren.” Seine „Sibylle” ist eine schöne Mathematikerin, die in der hochaktuellen Welt der Kybernetik eine Formel entdeckt hat, die in der Vorausberechnung von Tendenzen in der internationalen Wirtschaft von ausschlaggebender Bedeutung sein könnte…

Die „Frau des Staatsanwalts” lebt seit vielen Jahren neben einem Ehemann, der sie zutiefst liebt, aber für sie wenig Zeit hat. In erster Linie erzählt der Roman von einem Mofd- prozeß, in dem die Frau und der Sohn des Staatsanwalts verwickelt werden. Ob es bei Mordprozessen in Frankfurt am Main wirklich so zugeht wie es hier geschildert wird, ob Geschworene und Journalisten Detektiv spielen dürfen und der Staatsanwalt seine Rolle mit der des Untersuchungsrichters gegebenenfalls verwechselt, muß dahingestellt bleiben. Ein ganz guter, braver Roman, stilmäßig etwas bieder, ohne Humor oder Ironie, er wird aber seine begeisterten Leser finden.

In England hat Norah Lofts als Verfasserin historischer Romane einen beachtlichen Namen, ähr Fachgebiet ist das späte Mittelalter bis in das 17. Jahrhundert hinein. In diesem Generationenroman erzählt sie von Menschen, deren Schicksale mit einem Landhaus, dem „Alten Weinberg”, verbunden waren. Am Anfang der Geschichte ist die Bevölkerung noch katholisch, aber ein merkantiler Reisender bringt häretisches Gedankengut, zu dem ersieh auch im Angesicht des Flammentodes noch bekennt, ins Land. Die Menschen zittern; man hat gehofft, die Häresie der Lollarden wäre nach dem Londoner Aufstand im Jahre 1414 langsam in Vergessenheit geraten. Es ist aber eine historische Tatsache, daß diese englischen Vorläufer der Reformation, wenigstens in London und in East Anglia (Norfolk und Suffolk) die Scheiterhaufen geistig überdauerten, um vom Protestantismus im 16. Jahrhundert absorbiert zu werden. Die Zeitspanne dieses Romans erstreckt sich über 80 Jahre, und bald hat sich das ganze Gesicht des Landes geändert: Die Anhänger des „alten Glaubens” sind es, die sich durch ein unüberlegtes Wort verraten könnten. Norah Lofts malt ein vor allem vom Standpunkt der Wohnkultur jener Zeit sehr genaues und überzeugendes Bild. Es ist ein wertvolles Buch, das man jedem schenken könnte, der für die bescheidenen Leute, die sich vor den Orkanen der Reformation beugen mußten, Interesse empfindet.

Wem sollte man „Wo der Strom endet” schenken -r- wem schon das Besprechungsexemplar? (Die literarische Qualität dies® Buches steht außer Zweifel!) Irland hat der Weltliteratur in der Zeitspanne von zwei Generationen mehr Giganten geliefert, als manche viel größere Länder während einem Jahrtausend ihrer Geschichte hervorgebracht haben. Es wäre gewagt, wollte man Anthony West an ihre Seite stellen, darüber kann nur die Zukunft entscheiden. Aber die elementare Kraft der großen „Kelten”, zu denen man den Walliser Dylan Thomas zählen muß, jene verschwenderische Fülle, jene Schönheit und Sensivität der Sprache, sind auch bei Anthony West zweifellos vorhanden. Freilich sind einige dieser Kurzgeschichten und Novellen, vor allem die späteren, nicht eben das, was unsere Eltern „schön” genannt hätten. Das Leben dieser irischen Kleinsiedler und Beiselbesitzer ist auch nicht „schön”. Vielleicht sind berauschte, lüsterne irländische Bauern trotzdem weniger abstoßend als die ewiganalysierenden Geschlechtsautomaten, wie sie von Iris Murdoch dargestellt werden?- West ist, unverkennbar, ein Schriftsteller von hohem Rang. Am besten, man behält dieses Buch für sich und liest es selbst. Langsam.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung