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Tertullians „De cultu feminarum“

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Der heidnische Sohn eines römischen Offiziers, ein Mann von scharfem Verstand und umfassender Bildung, der in der Hauptstadt des kaiserlichen Weltreiches mehrere Jahre als Advokat tätig gewesen war, verließ mitten im reifen Mannesalter Stellung und Beruf und zog sich als Privatmann nach seiner afrikanischen Geburtsstadt Karthago zurück, wo er alsbald mit Leib und Seele in den Dienst des jungen Christusglaubens trat.

Er ist nicht Bischof, wahrscheinlich nicht einmal Presbyter. Er ist ein wohlhabender, verheirateter Mann, aber gegebenenfalls vermag er auch ein Wort der Belehrung an seine Mitchristen zu richten, und zwar einfach „kraft des Rechtes, wodurch ich“, wie er selbst sich ausdrückt, „wenn auch nur als der allerletzte, zu euch zähle“ und bald findet er dort, allem Anschein nach als Lehrer der Katechumcnen, die richtige Verwendung.

Einerseits die noch gefahrdrohende allgemeine Zeitlage — es sind die Regierungsjahre des Kaisers Septimus Severus und dann des Caracalla: aus dem Hintergrund rollt noch der abnehmende Waffenlärm sich bekriegender Thronprätendenten herüber, da und dort über Stadt und Provinz lastet noch der blutige Dunst der Christenverfolgung —, andererseits aber auch das Lehramt brachten es mit sich, daß dieser Quintus Septi-mius Florens Tertullianus sich veranlaßt sah; eine Reihe von Schriften und Büchern zu verfassen, in denen das Christentum zeitentsprechend mutig und scharfsinnig verteidigt wird und zu dringenden Fragen des praktischen Alltagslebens im Zusammenhang mit inneren Bedürfnissen des Lebens in der Christengemeinde Stellung genommen wird. Da war nun der Einfluß der Mode, die es natürlich auch damals gab. Tertullian setzte sich denn auch darüber auseinander in einer kleineren Schrift, die unter dem Titel „De cultu feminarum“, in unserem Sprachgebrauch „Die Schönheitspflege in der Frauenwelt“, überkommen ist; ein Büchlein, das als eine Betrachtung wirklicher lokaler Gegebenheiten aus dem Ende des 2. und dem Anfang des 3. Jahrhunderts n. Chr. auch heute noch in weltanschaulicher, religionsgeschichtlicher, archäologiser und sprachwissenschaftlicher Hinsicht von Bedeutung geblieben ist.

Das Buch ist zunächst an die Frauen der Christengemeinde von Karthago gerichtet und handelt darüber, „wie ihr auftreten und einhergehen sollt“. „Ich wage es, ein Wort an euch zu richten, aber nicht in der Absicht, um eure Gunst zu werben, sondern mit wohlwollendem Blick auf euer Heil.“ Der Zweck, den der Verfasser dabei verfolgt, ist, nicht etwa der, „euch ein ganz verwildertes, tierisches Aussehen anzuempfehlen, sondern euch von der rechten Weise, dem Wesentlichen und Schicklichen in der Pflege des Körpers zu überzeugen.“

In Abhängigkeit von diesem Zweck ist nun die Rede von prachtvollen Kleidern aus feiner Schafwolle und besserer Seide, aus himmelblauen und purpurfarbigen, aus gestickten und golddurchwirkten Stoffen; auch Pelzkleider werden erwähnt, von Gold und von Silber wird erzählt als den vorzugsweise verwendeten Mitteln „weltlicher Prunksucht“, von Ringen, von Smaragden, von „rotleuchtenden Rubinen“ und „silbern schimmerden Perlen aus dem Indischen Ozean und dem britannischen Meere“, von den „leuchtenden Steinchen, womit die Halstücher in so verschiedener Weise geschmückt“ und den „goldenen Spangen, womit die Arme beschwert werden“. Edelsteine und Perlen „werden mit Bedacht geschliffen, damit ihr Glanz auffalle, mit Schlauheit eingefaßt^ damit sie wirkungsvoll schimmern, mit Vorsicht durchbohrt, um sie einfädeln zu können“. Und da gibt es Damen, die „aus ihren Schmuckkästchen geradezu ein Vermögen hervorholen; an einem Hanffaden schnüren sie eine Million Sesterzen auf; ein zarter Nacken trägt ganze Landgüter und Häuserkomplexe, zierliche Ohrläppchen verursachen Ausgaben von Kapitalien, und was man oft an den einzelnen Fingern der linken Hand beobachten kann, wiegt je einen Sack Gold auf“.

Solcherart sind also die vielbegehrten Schmuck- und Verschönerungsmittel der römischen Frau: alles Dinge, deren Wesen letzten Endes nichts anderes als Erde, deren Wert immer ein relativer ist, verschieden von Volk zu Volk, verschieden auch nach Ort und Zeit; Dinge ferner, deren Herkunft keineswegs edler ist als die des Eisens und anderer Metalle und deren Herstellung endlich wenig rühmlich ist, denn sie ist auf die entehrende, tränen- und marterdurchmischte Zwangsarbeit von Verurteilten in den Bergwerken und an den mörderischen Schmelzhütten zurückzuführen. Das ist der Werdegang des Prunkmittels: „Der Gegenstand der Marter wird zum Gegenstand des Schmuckes, das Werkzeug der Todespein zum Mittel der Üppigkeit, die Schmach zur vermeintlichen Ehre.“

Aber das ist noch nicht alles. Dazu kommt noch als besondere weibliche Zutat die Pflege der Haut, des Haares und des Körpers überhaupt, also die eigentliche Kosmetik, wobei eine Purpur- und eine Bleiweißschminke, „womit die Wangen gefärbt werden“, ferner „ein schwarzes Pulver, womit die Grenzlinien über den Augen gezogen werden“, sorgfältige Anwendung findet. Der Safran aber ist das blonde Haarfärbemittel: „Ich sehe manche Frauen ihr Haar mit S?fran färben: sie schämen sich sogar ihrer Herkunft, daß sie nicht germanischem oder gallischem Boden entstammen“ . . .

Der Formen der damals üblichen Damenfrisur wird nur in allgemeinen Worten gedacht.

Es besteht kein Zweifel darüber, daß der Autor seinen Ausführungen viel Ernst zugrunde gelegt hat. Der sachliche Rechtswahrer, der unterscheidungsgeübte Verstandesmensch und der gläubige Christ zugleich, der die Dinge von einer höheren Warte aus betrachtet und in dieselben tiefer blicken, sie in ihre,n Zusammenhängen sehen will, der immer wieder nach dem Sinn und Wert alles Geschehens um sich fragt, der findet oft wenig Heiteres am übertriebenen Wesen menschlicher Oberflächlichkeit. Tertullian verwirft aber die Dinge nicht, in dieser Schrift lehnt er Äußerlichkeiten nicht ab. Er beurteilt sie und setzt dabei einen Maßstab an,1 nicht den der ' momentanen Stimmung oder Laune, auch nicht den der Mode, sondern den Maßstab der Vernunft und Wirklichkeit: Was ist der Mensch und was sind die Dinge, die er so und so verwendet? „Was?“ und „Warum?“ sind die stets wiederkehrenden Fragen des denkenden Menschen. Ja, aber auf diese Weise wäre aus Tertullians Feder.ein Werk trockener Philosophie entstanden; im besten Falle aber ein solches mit einer mehr minder glücklichen Beimischung von frommen Gedanken. Tertullian ist jedoch ein feiner Psychologe und versteht es, zur rechten Zeit auch einen Wit? anzubringen, so daß äm Zustandekommen dieses Werkes bitterer Ernst und herzhafte Heiterkeit, Vernunft und Gemüt, Glaube und Menschlichkeit in wohlgemessener Form beteiligt sind.

„Ihr habt Freude an perlenbehangenen Ohrgehängen?“ sagt er den Frauen. „Was ist auch schon Schlimmes dran? Die Parther setzen Perlen als Knöpfe an ihre Militärstiefel. Und wenn man sich um eurer Vorliebe für schönfarbige Toiletten willen viel plagen muß, so ist es ja leicht verständlich.“ — „Bei der Erschaffung der Dinge war es Gott völlig in Vergessenheit geraten, pur-pur- und scharlachrote Schafe ins Dasein zu rufen.“ .

Dabei werden in diesem gemütlichen Tone allerlei wirtschaftliche und soziale Gedanken dargeboten, und damit rückt Tertullian unserer Zeit um ein Bedeutendes näher. Abgesehen vom Gesetz der Preisbildung und der Beschränktheit der wirtschaftlichen Güter, abgesehen auch von der in dieser Schrift immer wieder angedeuteten Tatsache des individuell verschiedengeart.eten Wesens der Menschen, von den subjektiven Unterschieden ihrer körperlich-geistigen Anlagen bis zu den objektiven Ungleichheiten ihrer geo-physischen und kulturpolitischen Umgebung, davon abgesehen, muß die wiederholte Betonung des sozialen. Wertes der menschlichen Handlungen besonders hervorgehoben werden; Die Erkenntnis, daß unser gesamtes Tun und Denken in der Öffentlichkeit oder auch im intimen Privatleben sich mittelbar oder unmittelbar, früh oder spät stets auf unsere Mitmenschen auswirkt, fordert nun ein hohes Verantwortungsgefühl und rücksichtsvolles Verhalten gegenüber dem Nebenmenschen: „Ich weiß nicht“, sagt Tertullian, „ob ein Mensch, der einem anderen zur Ursache des Unterganges wird, straflos bleiben kann ... Warum aber wollen wir eine Gefahr für andere werden? ... Wollet nicht bloß an euch denken, sondern auch an den Nächsten!“

In engster Verbindung mit diesem einen Hauptgedanken steht ein zweiter, nämlich der der Sonderpflichtstellung des sich als Christen bezeichnenden Menschen. Tertullian spricht nicht zu sentimentalen Damen, wohl aber zu denkenden Christinnen, die sich freiwillig bereit erklärt haben, in den unabhängig von ihnen schon gegebenen Umständen ihr Dasein einem ganz bestimmten Sosein unterzuordnen.

Auf diesen zwei Tatsachen hat nun Tertullian seine Argumentation, und zwar mit unerbittlicher Konsequenz, aufgebaut, an der jedes noch so raffiniert zurechtgelegte Kampfmittel glatt abprallt, jede Sentimentalität, selbst wenn sie vom Manne kommt, als unnotwendig und unangebracht erscheint.

Gegen diese Grundgedanken und die daraus abgeleiteten Verhaltungsrichtlinien ist sicher nichts einzuwenden.

Andere Tertullianische Annahmen und Ansichten haben als zeitbedingte, wandelbare Formen zu gelten und heischen von uns ein entsprechendes, nicht immer leichtes geschichtliches Verständnis.

Am Ende des Buches kehrt der Ernst wieder, verdüstert aber die Stimmung nicht, sonder hebt und adelt sie, so daß die Zuhörerschaft gewissermaßen gereingt wird und gleichsam in einen höheren Rang hinaufrückt und nun ganz andere Menschen sind, als wir sie am Anfang des Buches vorgefunden hatten. Das ist die rhetorische Wirkung, die Tertullian in diesem Büchlein meisterhaft gelungen ist und die sich selbst dem Leser von heute noch unwillkürlich aufzwingt. Nach der Darlegung des vernunftbegründeten Verhältnisses der christlichen Frau zur Welt der Mode, nach den dementsprechend abgeleiteten Folgerungen schließt Tertullian. mit einer Mahnung zur Geringschätzung von Gold und Silber und Schmuck und Schönheitsmitteln und sich bewußt zu werden, daß die Zeit gedrängt ist: „Im übrigen sind die Zeiten für einen Christen stets, und jetzt ganz besonders, nicht nach Gold angetan, sondern es regiert der Stahl. Märtyrergewänder werden vorbereitet, und die Engel harren ihres Trägeramtes.“ Also drohte der Christengemeinde wieder einmal Gefahr, vielleicht nur eine ferne oder vielleicht doch noch eine unmittelbare.

Jetzt versteht man auch jenen Konjunktiv, der von Tertullian mit einem herzzerreißenden Angstschrei an den Anfang seiner Schrift gesetzt wurde: „Si tante fides mora-retur in terris!“ ... „Wenn ein so großer Glaube auf Erden erstehen würde!“

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