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Theodor Haecker und sein Ruf in die Gegenwart

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Im April des Entscbeidungsjahres 1945, einige Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner, starb in einem kleinen bayrischen Städtchen, betrauert nur von seinen nächsten Freunden, ein Mann von abendländischem Format: Theodor Haecker. Erst nach und nach sickerte die Nachricht in eine von „größeren Dingen“ absorbierte Welt. Von einigen warmen Nachrufen und Gedächtnissendungen im Rundfunk abgesehen, blieb es still um diesen bedeutenden Toten, der nach den Worten eines seiner treuesten Jünger „unser geistiges Leben mächtig gefördert und merklich gewandelt hat“.

Und es ist gut so; denn noch ist die Stunde nicht gekommen, das Schweigen au einer umfassenden Würdigung zu brechen, die aus echtem Bekenntnis nur allzu leicht „Literatur“ macht. Noch ruht Gewaltiges im Dunkel eines ungesichteten Nachlasses. Doch kann es niemals zu früh sein, Suchenden den Weg zu diesem universalen Denker zu weisen, an dem sich manches Herz in der Stille entzünden mag, ehe der Brand offenbar wird.

Wer also ist Theodor Haecker? Nicht die spärlichen Daten seines äußeren Lebens meinen wir, sondern seine zeitliche und überzeitliche Bedeutung. Sie auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, sind wir in absoluter Verlegenheit. Zweifellos ist er ein Sprachgewaltiger von seltener Kraft und hierin ein naher Verwandter Nietzsches, wie er sonst dessen Antipode, ja man sagt nicht zu viel, dessen Überwinder ist; ein Meister der Antithese und des Wortspiels, des Hinabhorchens in den Ursprung der Wörtlichkeit und des Bildesein Motiviker, wie sie sonst nur die Musik aufzuweisen hat, ein Prediger hymnischer Ergriffenheit ebenso wie flammenden Zornes, ein Dichter, der alle Register seines Instrumentes bis in die letzten Sublimitäten hinein beherrscht. Aber eine solche Beschreibung trifft doch nur die erste Schale seines“ Wesens, und so sehr sie anzulocken und den Zugang zu Haecker im ersten Augenblick zu erleichtern scheint, so birgt sie doch zugleich die Gefahr, von ihr über größere Tiefen hinweggeblendet zu werden.

Vom Sprachkünstler nicht zu lösen und zu trennen ist der Zeitkritiker und Satiriker Haecker. Wer nur eines seiner Bücher gelesen, um nicht zu sagen:5 verschlungen hat — es scheint das Schicksal seiner Bücher zu sein, verschlungen zu werden —, der weiß, mit welcher Eleganz der Meister Schwächen und Gebreste einer Zeit zu entlarven, wie er seine Widersacher, ob sie nun Spengler und Klages, George oder Brandes heißen mögen, aus dem Felde zu schlagen pflegt. Dem Tieferblickenden kann dabei freilich jener dritte Haecker nicht entgehen, der die Kehrseite, die positive Kehrseite des zweiten ist. Aufgerufen aus der Not eines Jahrhunderts, gepeinigt von dem Schatten einer über das Abendland heraufziehenden* Katastrophe, stellt dieser Haecker in aller Eindringlichkeit die großen Quellen abendländischer Kultur und Gesittung beschwörend ans Licht: Antike und Christentum, das gesicherte Geistbekenntnis des Hochmittelalters, das beiden zu Dank verpflichtet ist. So bereitwillig nun aber die Warnrufe des Geschichtsphilosophen von der Fin-du-siecler Stimmung der Zeit beider Weltkriege auf genommen werden und so leicht sie Widerhall finden, ebenso leicht wird aber auch der letzte und tiefste Haecker, der existentielle Christ und der spekulative Theologe, wir wollen nicht ..agen: übersehen —, aber nicht voll und ernst genug genommen. Ein geradezu verhängnisvolles Mißverständnis!

So groß der Apologet des Abendlandes auch sein mag, der Apologet des Glaubens und des Ordogedan-k e n s (sofern sich beides überhaupt trennen läßt) überragt jenen um ein Weites. Hier fassen wir erst den Kern dieses reichen und vielschaligen Genius, hier rühren wir an die geheimen Quellen seiner Kraft, seines hymnischen Pathos, aber auch seiner „hochfahrenden Momente“, deren er freilich manche zeigt und die ihren üblen Beigeschmack nur verlieren, wenn sie am Grunde seines universalen christlichen Verantwortungsbewußtseins gesehen werden. Der existentielle Christ Haecker hat zwischen seinem Schreiben und seinem Sein keinen Unterschied gemacht und sein schweres Leid, sein persönliches, wie das kollektive, wie ein Geschenk Gottes getragen. — Der spekulative Theologe Haecker knüpft mit einem Bekennermut und einer Naivität des Herzens, die ebenso erquicken wie überwältigen, an die Glaubenssekurität der Hochscholastik an und ist dabei — hat man dies nun als Einschränkung seiner Leistung oder nicht vielmehr als ihre letzte Verifikation zu verstehen? — in wesentlichen Dingen jedenfalls über sie nicht hinausgelangt. Wenn man fragt, ob heute nach Kants so ernüchternder Erkenntniskritik noch irgendwo naiv spekuliert werden kann: hier wird Spekulation betrieben und sie besitzt eine geradezu unerhörte Aktualität und* durchaus nicht Verstaubtes und Antiquiertes wie so mancher andere Versuch der Wiederbelebung scholastischer Gedankengänge. Es geht dem Theologen Haecker um nichts mehr oder weniger als um die „Summa“, das große Ganze, von dem nichts ausgelassen werden darf, um den „Ordo universalis“. Der H i e r a r-c h i s t Haecker — wenn es also sein muß, ihm einen Namen zu geben, so ist es dieser! Die Hierarchie des unerschaffenen und erschaffenen Seins gegenüber allen Perversionen oder billigen Säkularisierungsversuchen wieder ins Rechte zu bringen, das ist sein eigentlichstes Anliegen. Er entspringt keinem logisch-systematischen oder gar nur ästhetischen Bedürfnis, dieser Ordo-gedanke, er ist vielmehr das Zentralmotiv seiner Philosophie, die Sonne, um die sein ganzes Denken planetarisch kreist. „Wir sind Hierarchisten!“ Dieser Satz klingt nicht nur immer wieder bekennerisch und fanfarenstolz auf, jedes Wort scheint von ihm unsichtbar durchtränkt und durch woben, jedes Bild erhält von ihm sein Licht. Tilgten wir ihn aus seinem Werke, dann sänke es zu einer bestenfalls geistreich zu nennenden Aphorismensammlung hinab. Sein Ordo umfaßt die Totalität des unerschaffenen und erschaffenen Seines den trinitarischen Gott sowohl wie dessen Schöpfung nach Analogie und Ebenbild: die Welt und den Menschen.. Ontologie und Anthropologie stehen dabei in einer mystischen Kommunikation mit der Theologie. Arralogia trini-tatis, das heißt, nach Analogie zur Trinität Gottes — denn Gott erfreut sich an der Dreizahl! — scheidet Haecker die hierarchischen Seinsordnungen der Materia bruta, des Vitallebens und des Geistes, an denen der Mensch als Körper, Leibseele und Geist teilhat. Den subjektiv-menschlichen Wirkweisen des Denkens, Wollens und Fühlens entsprechen dabei objektiv das Wahre, Gute und Schöne als onto-logische Seinsweisen, von denen man vermuten darf, daß sie im göttlichen Sein identisch sind. — Ihre Krönung erhält diese Theologie kl einer eschatologischen Geschichtsphilosophie. Geschichte wird Haecker zur heiligen Geschichte, das heißt zur Heilsgeschichte, die Zeit aber zum Äon, das sich — so oder so — erfüllen muß. Damit aber öffnet sich uns der überzeitliche Hintergrund seiner oft so verletzenden Zeitkritik: über unserem Säkulum — und seine Anfänge reichen weit über das vergangene Jahrhundert hinaus — steht das Mal und Zeichen des Abfalls vom Glauben, die Absage an den göttlichen Ordnungs-edanken, die Perversionder übernatürlichen Hierarchie ins Chaos einer hoffnungslos aus den Fugen geratenen Welt. Und die Ursachen? Ein verwirrter Verstand, ein krankes Herz, Mangel an Liebe! In allen Seinsbereichen hat sich das Chaotische breit gemacht: der Religion ist seit dem Abfall von der unteilbaren katholischen Kirche die Autorität, der Philosophie seit ihrer Emanzipation von der Theologie der Wahrheitsbegriff problematisch geworden. Der nie ernst bestrittene Vorrang des Logos ging längst an die Tat über und beschattet seither das praktisch-politische Leben mit jenem Fanatismus, von dem Haecker einmal sagt, daß das Heißlaufen seiner unerleuchteten Gefühle in der Weltgeschichte stets Qualm und Gestank entwickelt habe. Wie das Chaos von den höheren Ordnungen in die tieferen herabsickert, so ist ihm die Wirtschaft zuletzt, jedenfalls aber am verhängnisvollsten ausgeliefert worden. Denn nirgendwo hat der Mensch seine geschöpfliche Würde schlimmer besudelt' und tiefer preisgegeben, als — ein Novum in seiner immerhin einige tausend Jahre zähle iden Geschichte — in der Selbstunterwerfung unter die Maschine, den vollendeten Automaten als einer dämonischen Parodie göttlicher Schöpfung.

Die Exzesse der Selbstvernichtung, wie sie das wirtschaftlich-technische Chaos schließlich unweigerlich mit sich brachte, sind dem Menschen unserer Zeit das große Menetekel geworden, sich wieder auf sich selber zu besinnen. Und nun merkt er erst, wie fragwürdig er sich in allen seinen Seinsweisen geworden ist. An ihn, gerade an diesen aber richtet sich die Botschaft Theodor Haeckers. Er ist nicht nur ein gewaltiger Niederreißer, sondern auch ein aufbauender Geist von mitreißendem Schwung und hinreißender Gläubigkeit.

Den Anstoß zum Chaos gab der Abfall des Intellekts: dieser ist es also, der wieder zurückgeführt werden muß zur natürlichen und übernatürlichen Ordnung des Seins. Er muß diese Ordnung zunächst bei sich selber wiederherstellen, dann kommt das andere, das Ganze in allen seinen Bereichen von selber wieder in Ordnung. In dieser Selbsteinkehr und Selbstbekehrung geht Haecker dem Menschen unserer Zeit tapfer und seherisch voraus. „Was ist der Mensch?“ Mit einer verächtlichen Geste weist er Spenglers „Raubtiermenschen“ ab, mit einer mil-

deren Handbewegung schieb* er auch Schelers Drang-Aktwesen, den Gotterlöser, zur Seite, auch die Schichten-Ontologie N. Hartmanns, diese säkularisierte Hierarchie ohne Haupt und Krone, vergißt er nicht, denn für einen gewaltigen Bau kann man nicht gründlich genug abräumen: aus den Trümmern einer gestürzten Welt aber ruft Haecker wie dem Phönix einer besseren Zukunft das ehrwürdige Wort der Genesis zu neuem Ansehen empor: „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbilde*' In der Gotteskindschaft wird der gestrauchelte Mensch wieder seine Ordnung finden oder er wird sie niemals finden. Hoffnung auf Klarheit aber besteht für unser Säkulum nur dann, wenn Makrokosmos und Mikrokosmos „der ,große* und der .kleine' Mensch wiederum versöhnt sind in der rechten Rangordnung der Gnade, Freiheit und Liebe“!

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