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Hebbels Vermächtnis

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Im Jahre 1862, als Chrisrne Hebbel zum 49. Geburtstag ihres Mannes einen Lorbeerzweig kaufen wollte und dem zuerst widerstrebenden Besitzer des Treibhauses ihren Namen nannte, bot der Verkäufer seinen schönsten Baum. Hebbel sollte nur noch einen Geburtstag erleben, der schon in sein Todesjahr fiel; dieser Tag stand unter dem sicheren Zeichen großen Ruhmes; über Hebbels Grabe gedieh der Lorbeer immer üppiger; von der neuesten Zeit aber wird man wohl sagen müssen, daß in ihr manche Verehrer des Dichters ihm Schlimmeres antaten, als seine Feinde zu seinen Lebzeiten. Die Frage, was von seinem dramatischen Werk gerettet werden kann, darf nicht zu rasch beantwortet werden. Heine hatte ihm einst in Paris gesagt, er selber habe nur das Ende einer Kunstepoche gefühlt, Hebbel aber werde die neue beginnen. Und doch ist das echte Drama auf dem von Hebbel gebrochenen Wege kaum weitergekommen; die Problematik überwog. Vieles hatte er der Philosophie zu danken, vieles hat sie ihm genommen, obwohl er sich gegen Ende sehr skeptisch gegen die meisten Philosophen verhielt, Schopenhauer nicht .ausgenommen, den er einmal in Frankfurt besucht hatte; die Berichte über diesen Besuch dürften zu den unerquicklichsten Dokumenten der neueren Geistesgeschichte gehören.

Wie andere deutsche Dramatiker, gefährdete Hebbel alles mit dem Versuche, das Tragische als Denker zu fundamentieren und ein eigenes Weltbild aufzubauen, das dem Tragischen gemäß war oder in dem es wenigstens seine Stelle hat. Man kann ein solches Weltbild nicht sdiaffen; es muß da sein. Echt war aber ohne Zweifel das Empfinden des Tragischen als Hebbels Lebensgefühl überhaupt; das ist es, was uns noch immer ergreift über seinen dramatischen Dichtungen, auch über den Nibelungen — dieser Gestaltung des Zugs zum Tode, des Zugs in den Tod —, gegen die im übrigen wie gegen die Persönlichkeitsproblematik, den Kampf zwischen den Geschlechtern, das Geschichtsbild schwerwiegende Bedenken ausgesprochen worden sind. Schwerlich können wir es wünschen, daß Hebbel den Vorsatz, eine Tragödie, die Jesus Christus darstellen sollte, ausgeführt hätte. In einer Hinsicht allerdings wäre dieses Werk von Bedeutung gewesen: es hätte wahrscheinlich die Unhaltbarkeit des Weltbildes einsichtig gemacht. Hebbel sah im christlichen Ethos den höchsten Wert der Menschheit, aber er war kein Christ und konnte und wollte keiner sein; Schuld und Erlösung erkannte er nicht an, doch nahm er im Testament noch darauf Rücksicht, daß die von ihm gewünschte — dann nicht vollzogene — Verbrennung nicht im Widerspruch zum Grundprinzip der christlichen Religion stehen sollte. Einige Äußerungen, Handlungen seiner letzten Jahre, Zeugnisse der Reife, zu der er sich durch unvorstellbare Widerstände durchgerungen hatte, rühren uns noch immer unmittelbar an. So etwa das Wort, das er zu Goethes Enkel sagte, als dieser ihn in das Arbeitszimmer seines Großvaters führte: „Dies ist das einzige Schlachtfeld, auf das die Deutschen stolz sein dürfen.“ Oder wir denken an den Bericht über seine Wiederbegegnung mit seinem Bruder in einem Dorfe bei Rendsburg (1861), da die ganze unermeßliche Kluft zwischen Ursprung und Bestimmung sich noch einmal auftut, die Hebbel zu überwinden hatte; an seinen Plan, noch im Jahre 1863 mit Klaus Groth die Marsch: zu durchwandern; auch an das schöne Bekenntnis, mit dem er an seinem 50. Geburtstag die ihn ehrenden Studenten sofort „aus dem engen persönlichen Kreis in den großen allgemeinen“ hinüberlenkte: „Den Künstler kann man überschätzen, die Kunst wird nie überschätzt, d*nn sie ist die höchste Vermittlerin der Geschichte.“ Wir erinnern uns des hellsichtigen Urteils, das er über das englische Weltreich anläßlich eines späten flüchtigen Aufenthalts in London aussprach: es komme dem römischen Weltreich gleich, übertreffe es aber bei weitem an Solidität. Lieber freilich denken wir noch an ein so einfach-ergreifendes Gedicht wie „Der letzte Baum“, das die letzte Gestalt feiert, auf der das Licht der Jugend liegt, überhaupt an die Verse des Absdiiednehmenden, mit denen sich bewahrheiten mag, was im Jahre 1852 die Gattin eines Ministers zu ihm sagte; „Das Herz ist an Ihnen das Größte.“

Während des Ringens mit der unheilbaren Krankheit in Gmunden schrieb er das Gedicht: „Der Brahmine“, dessen Manuskript den Vermerk trägt „In schweren Leiden“. Als er es seiner Frau vorlas, rief sie: „Das ist dein Testament“ — und sie hatte wohl recht, es ist vielleicht sogar das eigentliche Vermächtnis, Zeugnis der Haltung des Dichters zur Welt und allen Geschöpfen und damit einem andern großen Nachlaßgedicht ähnlich, das um dieselbe Zeit bekanntgeworden ist: Der „Ächzenden Kreatur“ der Droste, in dem die Dichterin den Menschen anklagt für alles Leid und alles Böse auf Erden, für den Schmerz der Insekten noch und der verdorrenden Halme. Der Brahmine wird in den bangsten Sterbensqualen vom Tode versucht: er möge es nur wollen, dann würden die Schmerzen, die er nicht mehr tragen könne, den Hund zerreißen, der bei ihm wacht. Aber der Kranke möchte lieber dulden bis ans Ende, auch den vorüberstreifenden Vogel will er nicht mit seiner Qual verderben: „Heilig ist mir solch ein Leben“, und nicht einmal den Löwen will er schlagen, der die Hindin anfällt:

Mich verlockst du nidit, zu töten. Und wenn die „unrein-eklen Kreaturen“, Unken, Spinnen, Kröten, Würmer, böse sind, so sollen sie büßen für ihre Sünden — wie der Brahmine für die seinen büßt; er will keinen Büßenden hindern, keine Möglichkeit der Läuterung aufheben:

Auch noch aus der Hölle Tiefen Führt ein Weg zurück zum Reinen. So wehrt er sich auch gegen die herankriechende Schlange nicht, im Gegenteil: er schließt die Augen, widerstehen wird er dem nicht, was beschlossen ist:

Grimmig schlägt die zorn'ge Schlange Jetzt den Zahn in seine Glieder, Doch, sowie sie ihn nur ritzte, Ist er auch ein Jüngling wieder, Aus dem losen Sdiulterpaare Sproßt ihm goldenes Gefieder, Brahma aber ruft vom Himmel: Schweb empor, sonst steig ich niederl Wir meinen, auf die Art, wie ein Dichter Abschied nimmt, kommt es an. Nach diesem Gedicht konnte Hebbel keine Tragödie mehr vollenden: er hätte den Grimm und Haß Hagens und Kriemhildes nicht mehr durchleben können. Als die Gestaltungskraft sich seiner, da er auf dem Totenbette lag, noch einmal bemächtigte, gelangte er bis in die Katastrophe des lange schon begonnenen Demetrius, aber er vollendete ihn nicht.

Mich verlockst du nicht, zu töten —.

„Nicht töten“ ist ja auch das große Wort des Demetrius (IV. Aufzug), des Helden, der getötet wird, da er nicht töten will. Hier wird alles frei, rein, vollkommen klar. Dem Dichter sind die Geschöpfe und Dinge anvertraut; er will sich an keinem versündigen, nicht das geringste Werk Gottes aufheben. Vielleicht läßt sich an dieser Stelle nicht mehr leben; aber doch ist hier allein das von Anfang bestimmte Ziel, und Gott neigt sich herab und nimmt den Vollendeten auf. Hier ist das Ursprünglich-Edle, das diesen widerspruchsvollen, oftmals verletzenden, als Denker wie Künstler und Mensch häufig irrenden oder fehlenden Dichter ausgezeichnet hat, als seine eigentliche Krone durchgebrochen; Menschentum und Dichtertum vollenden sich im letzten Wort, einem ganz reinen Verhältnis zur Schöpfung. Es wäre unrecht, wenn wir dort stehenbleiben wollten, wo Hebbel weitergegangen ist, unrecht aber auch, wenn wir uns verschweigen wollten, daß in seinem letzten Wort eine Forderung beschlossen ist, vor der das Herz erschrickt. Es ist kein Zweifel, das die Welt sich verwandeln würde, wenn wir das Herz hätten, dieses Vermächtnis zu vollzieht!.

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