7117075-1996_19_18.jpg
Digital In Arbeit

Wiedersehen mit Urzidil?

Werbung
Werbung
Werbung

Das Bewußtsein der Kulturgeschichte verhält sich merkwürdig und rätselhaft: sehr bekannte Persönlichkeiten verschwinden nach ihrem Tod sofort, andere verbleiben beharrlich in Erinnerung. Jene, die plötzlich dem Gedächtnis der Öffentlichkeit abhanden kommen, tauchen später, oft nach Jahrzehnten, wieder auf, und ihr Werk wird in noch größerem Ausmaß und noch stärker, als es einst war, in den Zeitungen, Zeitschriften, im Theater, im Buchhandel präsent. Fritz Hochwälder könnte das jetzt nach dem gewaltigen Erfolg seiner „Himbeerpflücker" im Wiener „Theater in der Josefstadt" geschehen, der bisher mitsamt seinem vielgestaltigen und früher so zugkräftigen dramatischen Werk jahrzehntelang ignoriert wurde. Wer kümmerte sich fünfundzwanzig Jahre lang um Johannes Urzidil? Wer kennt noch seinen Namen, erinnert sich etwa an sein wunderbares „Prager Triptychon" oder gar an ihn selbst. Einige wenige. Die entlegensten Anarchisten wurden inzwischen sogar aus früheren Jahrhunderten ausgegraben und intensiv diskutiert. Die bedeutenden Humanisten unter den Schriftstellern der jüngsten Zeit jedoch sanken so rasch wie nur möglich in Vergessenheit.

Johannes Urzidil, der 1896 in Prag in kleinen Verhältnissen geboren wurde, begann als Expressionist im Kreis von Max Brod, Franz Werfel, Franz Kafka, Egon, Erwin Kisch, ließ aber die literarische Szene, von der Karl Kraus treffend bemerkte: „Es brodelt, es werfelt, es kafkat und kischt", bald hinter sich. Urzidil verdiente seinen Unterhalt bürgerlich als Übersetzer an der Deutschen Botschaft in Prag und arbeitete an einem ganz konservativen Werk: „Goethe in Böhmen". Die Nazis entließen ihn an der Botschaft, er mußte 1939 nach New York emigrieren. Von dort erst wurde er als deutschsprachiger Schriftsteller bekannt, vielbeachtet und in zahlreichen Auflagen verbreitet: „Das Prager Triptychon", „Die verlorene Geliebte", „Da geht Kafka", „Die erbeuteten Frauen" waren und sind Bücher eines klassischen Erzählers. Abklärung, Humor, eine strömende, lebenschaffende und geradezu hypnotische Prosa versetzen in ein skurriles Prag, das mit der Grandezza des souveränen Humanisten als komisch, irrational, absurd, und mit Liebe geschildert wird. „Weisheit heißt", sagte er mir einst, „mit ungelösten Problemen leben zu können." Er rief mir das letzte Mal zu: „Auf gutes Wiedersehen, Deo volente!" Vielleicht sehen wir bald seine Bücher wieder?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung