Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Wiedersehen mit Urzidil?
Das Bewußtsein der Kulturgeschichte verhält sich merkwürdig und rätselhaft: sehr bekannte Persönlichkeiten verschwinden nach ihrem Tod sofort, andere verbleiben beharrlich in Erinnerung. Jene, die plötzlich dem Gedächtnis der Öffentlichkeit abhanden kommen, tauchen später, oft nach Jahrzehnten, wieder auf, und ihr Werk wird in noch größerem Ausmaß und noch stärker, als es einst war, in den Zeitungen, Zeitschriften, im Theater, im Buchhandel präsent. Fritz Hochwälder könnte das jetzt nach dem gewaltigen Erfolg seiner „Himbeerpflücker" im Wiener „Theater in der Josefstadt" geschehen, der bisher mitsamt seinem vielgestaltigen und früher so zugkräftigen dramatischen Werk jahrzehntelang ignoriert wurde. Wer kümmerte sich fünfundzwanzig Jahre lang um Johannes Urzidil? Wer kennt noch seinen Namen, erinnert sich etwa an sein wunderbares „Prager Triptychon" oder gar an ihn selbst. Einige wenige. Die entlegensten Anarchisten wurden inzwischen sogar aus früheren Jahrhunderten ausgegraben und intensiv diskutiert. Die bedeutenden Humanisten unter den Schriftstellern der jüngsten Zeit jedoch sanken so rasch wie nur möglich in Vergessenheit.
Johannes Urzidil, der 1896 in Prag in kleinen Verhältnissen geboren wurde, begann als Expressionist im Kreis von Max Brod, Franz Werfel, Franz Kafka, Egon, Erwin Kisch, ließ aber die literarische Szene, von der Karl Kraus treffend bemerkte: „Es brodelt, es werfelt, es kafkat und kischt", bald hinter sich. Urzidil verdiente seinen Unterhalt bürgerlich als Übersetzer an der Deutschen Botschaft in Prag und arbeitete an einem ganz konservativen Werk: „Goethe in Böhmen". Die Nazis entließen ihn an der Botschaft, er mußte 1939 nach New York emigrieren. Von dort erst wurde er als deutschsprachiger Schriftsteller bekannt, vielbeachtet und in zahlreichen Auflagen verbreitet: „Das Prager Triptychon", „Die verlorene Geliebte", „Da geht Kafka", „Die erbeuteten Frauen" waren und sind Bücher eines klassischen Erzählers. Abklärung, Humor, eine strömende, lebenschaffende und geradezu hypnotische Prosa versetzen in ein skurriles Prag, das mit der Grandezza des souveränen Humanisten als komisch, irrational, absurd, und mit Liebe geschildert wird. „Weisheit heißt", sagte er mir einst, „mit ungelösten Problemen leben zu können." Er rief mir das letzte Mal zu: „Auf gutes Wiedersehen, Deo volente!" Vielleicht sehen wir bald seine Bücher wieder?
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!