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Wien Anno 1794

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Wir standen jetzt im Jahre 1794. Die Französische Revolution hatte indessen alle ihre Greuel entfaltet, der König und die Königin varen ermordet, Ströme von Blut in der Hauptstadt sowohl als in den Provinzen geflossen; viele bessere Herzen, die im Anfang warm für die neuen Ideen geschlagen hatten, wandten sich mit Abscheu ab, als statt der jugendlichen Göttin der Freiheit ihnen eine bluttriefende Mänade entgegentaumelte- Klopstock sandte dem Konvent das Bürgerdiplom zurück, das er früher als eine ehrende Anerkennung angenommen hatte; der edle Georg Forster, den wir bei seiner Anwesenheit in Wien oft in unserem Hause gesehen und den meine Eltern sehr liebgewonnen hatten, war vor Gram über seine getäuschten Erwartungen in Paris gestorben. Der Krieg, den die verbündeten Mächte gegen Frankreich begonnen hatten, brachte mit den Heeren der Republik, die die Angreifenden zurückdrängten und ihnen auf dem Fuße folgten, ihre Vorstellungen von Freiheit, Gleichheit, Menschenrechten usw. mit sich herüber; der Schwindel ergriff die Geister jenseits wie diesseits des Rheins und entzündete verwandte Gemüter auch in Österreich und Ungarn. Es waren geheime Verbindungen geschlossen, Katechismen der Freiheit unter den Mitgliedern verteilt und noch sonst allerlei bedenkliche Bewegungen versucht worden, welche die Regierung aufmerksam maditen. Plötzlich brach das Geheimnis hervor. In einer Nacht wurden sowohl hier in Wien als hier und dort auf dem Lande viele Personen ergriffen, ihre Papiere in Beschlag genommen, sie selbst in strengere oder gelindere Haft gebracht. Dasselbe geschah in Ungarn. Wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel wirkte diese Nachricht auf die lebensfrohen Wiener, die plötzlidi aus ihrer Mitte eine bedeutende Zahl wohlbekannter und mit vielen befreundeter Männer gerissen, diese als Staatsverräter bezichtigt und einem sehr ungewissen, vielleicht schrecklichen Schicksal entgegengeführt sahen. Die Ergriffenen gehörten meist dem gebildeten Mittelstande an, es waren Beamte, Kaufleute, Advokaten, Gelehrte, mit einem Worte jene Kategorien, aus denen auch in Frankreich viele bedeutend“ Männer der Revolution hervorgegangen waren.

Im ersten Schreck wurden noch gar viele als arretiert genannt, die es nicht waren; denn die Bestürzung war groß und allgemein. F.:ne Kommission aus Mitgliedern des Hofkriegsrates, der Polizei-Hofstelle und der Justizkollegien wurde zusammengesetzt, um über die Schuldigen zu erkennen, und nachdem die Untersuchung ziemlich lange gewährt hatte, wurden einige zum Tode, andere zur Festung, wieder andere zu längerer oder kürzerer Haft verdammt, einige verwiesen. Einer oder ein paar hatten sich im Gefängnisse selbs- das Leben genommen. Gemäßigte hielten dafür, daß allerdings eine geheime Verbindung, die in Wechselwirkung mit der ungarischen unter Marti-novich stand, existiert und daß sie bedenkliche, wohl auch staatsgefährliche Absichten gehabt habe, daß es notwendig und der Gerechtigkeit, ja der bürgerlichen Ordnung und Sicherheit gemäß war, diese nicht zu dulden und streng zu bestrafen; daß man aber doch mit zu großem Lärmen und unnötiger Strenge verfahren sei, weil einige der Hauptentdecker und Mitglieder jener Kommission sich gern recht in die Augen fallende Verdienste erwerben wollten und daher dem Monarchen die Sache im gefährlichsten und nachteiligsten Lichte zeigten. So dachten viele, und meine Ansicht stimmte schon damals darin überein, weil ich a priori unserem Kaiser Franz keine Unbilligkeit zutrauen konnte, und die spätere Erfahrung, ja das eigene Geständnis manches damals Verurteilten und dann nach der Strafzeit wieder Freigegebenen, bestätigen vollkommen diese Meinung.

Von diesem Zeitpunkte an sprach sich der Parteigeist recht laut und gehässig in Wien aus. Da fing man an, die Benennung Jakobiner oft und vielmals zu hören, und mit diesem Worte wurden nicht allein jene bezeichnet, welche allerdings Grundsätze hegten gleich denen des französischen Konvents, sondern leider ward sie von den übertrieben loyalen und orthodoxen Gegnern jedem als Brandmal aufgedrückt, der nur irgendeine freisinnige Idee äußerte; c'est le mor pour perdre les honnetes gens, wie einer unserer

Hausfreunde sagte. Im Gegenteil wurde wieder von der anderen Partei |eder ein Aristokrat, ein Bigott, ein Feind aller Aufklärung gescholten, der seine kirdilichen Vorschriften befolgte, seinem Herrscherhause treu ergeben war und öffentliche Ruhe und Sicherheit wünschte. Dieser Geist der Par-teiung verbreitete sich bald über alles, ja auch über die heterogensten Gegenstände. So kamen damals oder bald danach Herr und Madame Vigano nach Wien und führten eine neue Art von pantomimischen Tanz, mit ganz neuer Art sich zu kleiden, ein. Die römischen und anderen steifen Kostüme, die Reifröcke etc. etc., versdiwanden vom Theater; die Natur wurde aufs treueste nach-g.ahmt; fleischfarbene Trikots umhüllten Arme und Beine, die Tänzer und Tänzerinnen waren kaum bekleidet; ja in dem sogenannten rosafarbenen Pas de deux hatte Madame Vigano über dem Trikot, der ihren ganzen Leib umgab, nichts an als drei bis vier flatternde Röckchen von Krepp, immer eins kürzer wie das andere, und a'le zusammen mit einem Gürtel von dunkelbraunem Band um die Mitte des Leibes festgebunden. Eigentlich also war dies Band das einzige Kleidungsstück, das sie bedeckte.

Auch auf die Mode in der Frauenkleidung geschah jetzt eine auffallende Einwirkung. — Unsere steifen, faltenreichen Anzüge machten leichteren Formen Platz, die langen Taillen mit den Sdinabelspitzen vorn und h:nten versdiwanden samt den Bouffants und S;?bröcken, welche schon nach und nach eine Annäherung vorbereitet hatten. Der Gürtel des Kleides wurde nicht mehr an den Hüften, sondern unter der Brust gebunden; der Puder wurde allmählich abgeschafft, die Hakenschuhe abgelegt, die ganze Kleidung näherte sich mehr der Natur und eigentlich dem griechischen Geschmacke, in welchem Sinne man in den folgenden Jahren immer weiter und weiter sdiritt, bis zu Knappheiten in der Kleidung, die kaum eine Falte übrig ließen, so daß die genaueste Bezeich,-nun der darunter befindlichen Körperform der eigentliche Zweck und Ruhm dieser Mode zu sein schien. Dazu gehörten denn die wirklich oder scheinbar unter Trikots entblößten Arme, entblößte Schultern, geschnürte Schuhe, die den Kothurn nachahmten, reiche Armbänder, nicht bloß am Vorderarm wie sonst, sondern übr dem Ellenbogen; abgeschnittenes oder in kurzen Locken gelegtes oder, wenn es lang blieb, in einen Knoten am Hinterkopf geschlungenes Haar — kurz ein so viel es möglidi war griechisierendes Kostüm.

Die Männer stutzten ihre Haare ebenfalls, kein Zopf, kein Haarbeutel, keine Seitenlocken wurden mehr gesehen; der Puder verlor sich ebenfalls, und bei vielen traten ungeheure Backenbarte hervor. Hierin ab r genierten sich doch viele und gerade die sittlichsten, geregeltsten der jungen Männer; denn so ein Schwedenkopf, wie man sie zuweilen nach den Porträts Karls XII. nannte, und ein starker Backenbart galt bei Loyalgesinnten oft für das wahre Abzeichen eines Jakobiners, und mancher, der die Mode als Mode mitmachte und vielleicht ganz rechtlich gesinnt war, mußte sich mit diesem Namen brandmarken lassen, der nicht ohne üblen Einfluß auf die Gunst seiner Vorgesetzten und somit auf sein Fortkommen in der Welt blieb.

Es ist natürlich, daß die jungen Männer unserer Sozietät die Einwirkung dieser öffentlichen Ereignisse ebenfalls fühlen mußten, und obwohl sie in Kleidung, Äußerungen und Betragen sich alle in den Schranken des Anstandes und der gebräuchlichen Formen hielten, so beschlossen doch diejenigen, die zu der gewissen Samstagsgesellschaft gehörten, diese nun aufzulösen, um der Regierung und öffentlichen Meinung keinen Anstoß zu geben; besonders da einer unter ihnen, Graf Chorinsky, der Neffe jenes hohen Staatsbeamten war, der sich am tätigsten in der Verfolgung der Verdächtigen und Verschworenen bewiesen hatte. Die meisten vertilgten also ihre Aufsätze sowie die Beurteilungen, besonders jene, welche politische Gegenstände behandelten und worin freisinnige Meinungen ohne Sdieu, weil bloß vor Freunden, waren ausgesprochen worden. Man fürchtete damals nicht ohne Grund sogar Haussuchungen, und diejenigen, welche noch ihre Karriere in der Welt zu machen hatten, durften keinen solchen Makel auf ihren Ruf laden.

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