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Wir Heimkehrer

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Wir haben uns gefunden, nicht in der Heimat, nicht in der Gesellschaft unserer Freunde, nein, in der Fremde, aus einem Heer kriegsgefangener Soldaten heraus. Wir hatten einander kaum gesehen, ein paar Worte nur ausgetauscht und wir spürten, daß die Wurzeln unseres Lebens in dem gleichen Lande Fuß gefaßt hatten, daß unsere Seelen aus dem gleichen Nährboden gewachsen waren, daß wir unsere innere Haltung aus der gemeinschöpferischen Kraft ein und desselben Volkes aufgebaut hatten, eines Volkes, aus dessen Gemeinschaft uns das Schicksal gerissen, dessen Bindung wir aber trotz aller politischen Veränderungen nicht verloren hatten; wir spürten, daß wir zusammengehörten, wir erkannten und kannten uns als Österreicher.

Wir alle wurden gewogen in harten Schicksalstagen, und das Gute hatte sein Bestehen. Viele sogenannte Kameraden gingen'neben uns, doch vielfach wesensfremd, sind sie im Kampf um das bißchen Eigenleben an uns abgeglitten, haben die Kameradschaft um ein Stückchen Brot verkauft. Gerade das aber hat unsösterreicher enger zusammengeschlossen, wir haben uns gegenseitig in allem beigestanden, nicht nur in den alltäglichen Hilfeleistungen. — Wir haben uns am Abend zusammengesetzt, haben das gemeinsame Kriegserleben überdacht und haben uns gegenseitig geholfen, daß das Erlebte nicht allzu schwer auf dem einzelnen lastete, daß keiner mutlos wurde, daß sich jeder zu jener seelischen Kraft durchrang, die ihm auch körperlich über die Krisen hinweghalf. Wir waren Junge und Alte beisammen, viele noch Kinder und viele schon schwergeprüfte Greise. Zart war die Natur vielfach noch in den einen, in einem arbeitsreichen Leben verbraucht war sie in den anderen. Doch im gegenseitigen Verstehen, im gegenseitigen Erzählen von daheim straffte sich die Natur, wenn der Junge trotz der augenblicklichen schweren Lage für sich eine Zukunft sehen lernte, seinen Arm für den Aufbau der Heimat als notwendig erachtete und der Alte erkannte, daß gerade sein Lebensinhalt Same für die um ihre schönste Zeit betrogene Jugend sein müsse.

Hart waren wir alle, ob jung, ob alt. Auch die Jungen hatte das Schicksal schon zu Männern gemacht, doch bestand ihre Mannhaftigkeit fast ausschließlich in jener frühgestählten Härte, der das Wachstum reifender Jahre, die innere Fülle fehlt. Kaum aus der Schule heraus, die im Waffenlärm des Krieges die seelisch geistige Erziehung nur auf den fanatischen Kampfgedanken des Nationalsozialismus abgestimmt hatte, hatten sich diese braven Jungen wohl den Platz unter den Alten erkämpft; ohne jemals eine wirkliche Jugend gehabt zu haben, glichen sie einer Nuß mit einer harten, schönen Schale ohne ausgebildetem Kern.

Die Aufgabe von uns Älteren war es nun, diese jungen Menschen zu halten, die gegenwärtigen Ereignisse vor dem geschichtlichen Ablauf zu rechtfertigen und einen neuen Ausblick mit neuen Lebenszielen zu geberff Und ich muß sagen, wenn wir diese jungen Leute einmal erst fest auf beide Füße gestellt hatten, dann war das Weitere nicht allzu schwer, denn auch in ihnen keimte trotz der großdeutschen nationalsozialistischen Ideen etwas von unserer Fülle des Inbegriffes Österreich fort. Trotzdem sie von Jugend auf in falsche Einstellungen zu unserer kleinen Heimat gelenkt worden waren, trotzdem sie in weltanschaulicher Hinsicht verbildet, ja verwildert worden, waren wir mit unseren Lebensgrundsätzen und unserem stärkeren Wissen um die geschichtlichen Tatsachen. Wir Lehrer konnten hier mit uneingeschränkter Uberzeugung sprechen; hier versagte der Bann des Nationalsozialismus.

Wie dürstende Pflanzen haben sich unsere Jungen an unserer inneren Ausrichtung gelabt. Sie fanden mit uns zum österreichischen Staats- und Kulturgedanken zurück. Sie wurden begierig, auch unsere ethischen Forderungen zu hören, sie lauschten selbst gern religionsphilosophischen Erörterungen. Gerade dieses Thema zog den Kreis der Zuhörerschaft weiter, da hierin nicht nur die Jungen, sondern auch die Alten interessiert waren. Immer wieder mußte ich die Feststellung machen, daß das geistige und seelische Bedürfnis, bedingt aus der hohlen Geistesarmut vergangener Jahre, dahin zog, mehr über Religion zu erfahren, nicht zuletzt aus dem Munde eines Philosophen. Die religionsphilosophischen Betrachtungen wurden Ausgangspunkt und Sammelbecken für die kulturpolitische und staatsmännische Schau, an deren Ende das neue Österreich stand. Warum sollen auch Gedanken, die sich mit den höchsten Wesenseigenarten menschlichen Seins beschäftigen, die über menschlichem' Machwerk stehen und Aufschluß über das ureigenste Ich suchen, dem Zusammenhang über das Woher und Wohin des Menschen nachspüren und dem letzten Urgrund aller Dinge, den wir Gott nennen, warum sollen solche Gedanken, wie viele meinen, nicht formend und bildend auch im öffentlichen Leben mitwirken?

So soll man uns Heimkehrer sehen und so wollen wir Heimkehrer handeln.

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