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Dirigenten und Virtuosen

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Seit 1945 hörte man in Musikerkreisen immer wieder einen bis dahin völlig unbekannten Namen: den eines jungen rumänischen Dirigenten, der unmittelbar nach Kriegsende die Berliner Philharmoniker wieder sammelte und seither als Chefdirigent an ihrer Spitze steht. Sergiu Celibidache hat sich in jenen Jahren unter kaum vorstellbaren Bedingungen bewährt, gegenüber denen die hiesigen Schwierigkeiten während der gleichen Zeit wie ein Idyll anmuten. Im Berliner Musikleben steht Celibidache heute unbestritten an erster Stelle, vor einem Jahr konnte er sich mit seinem Orchester auch der Anerkennung des Auslandes versichern. Bei den Festspielen in Edinburgh hatten die Berliner einen triumphalen Erfolg. In Wien debütierte der junge Dirigent mit einem modernen Programm. (Das im letzten Augenblick an Stelle des Gregorianischen Konzerts von Respighi eingeschobene Violinkonzert von Viotti sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt, desgleichen die italienische Geigerin Lilia d’Albore.) Beide zeitgenössische Werke haben wir in Wien wiederholt gehört, so daß Vergleichsmöglichkeiten gegeben sind. In Hindemiths Symphonie „Mathis der Maler“ und in D. Schostako- witshs V. Symphonie erwies sich Celibidache als außerordentlich fähiger, energischer und leidenschaftlicher Dirigent von ekstatischexpressivem Typus, etwa den jungen Tschechen Krombholc und Rafael Kubelik vergleichbar. Für diejenigen, welche glauben, diese Art grundsätzlich ablehnen zu müssen, stellt der Chronist fest, daß Celibidache der erste war, dem wir eine tadellose Auf führung der Fünften von Schostakowitsch zu danken haben, und der einzige, der einige schwerwiegende Fehler in der Partitur festgestellt hat, nach welcher in Wien bisher musiziert wurde. (Unter anderem hat er das Tempo des letzten Satzes richtig- gestellt, das infolge eines Druckfehlers bei der Metronomisierung immer doppelt so schnell genommen wurde, als es in Wirklichkeit vom Komponisten gedacht ist.) Da Orchester der Wiener Symphoniker hat nach einigen harten Proben unter der Führung Celibidaches eine Höchst- und Glanzleistung vollbracht und wurde verdientermaßen mit seinem Leiter stürmisch gefeiert.

Kein Neuer auf dem Wiener Konzertpodium, aber immer wieder mit neuen Überraschungen aufwartend: Hans Knap- pertsbusch. Während der letzten Monate waren es oft Enttäuschungen und unangenehme Überraschungen, die uns dieser brillante Dirigent bereitet hat: ungenügend vorbereitete Aufführung, ein oft oberflächliches Hinweggleiten über Wesentliches, manierierte Zeichengebung, fehlende innere Beteiligung und konsequentes Ignorieren der „modernen" Musik. Die letzten beiden Konzerte mit den Wiener Symphonikern waren dagegen so ausgezeichnet, daß der Waagebalken der Bewertung wieder nach der anderen Seite ausschlägt. Im 8. Orchesterkonzert begleitete Knapperts- busch Enrico Mainardi (Cellokonzert von Dvorak), und dirigierte das Siegfried-Idyll sowie — das große Erlebnis dieses Konzerts — die III. Symphonie von Brahms. Die Sicherheit der Auffassung, die Klarheit und Plastik dej Ausdrucks gewährleisteten eine Meisterleistung. — Der blendende Orchestervirtuose Knappertsbusch entfaltete ich kongenial am Werk eines anderen Virtuosen: im Festkonzert zum 85. Geburtstag von Richard Strauß dirigierte er die Orchestersuite aus „Der Bürger als Edelmann“ und „Also sprach Zarathustra“. Zwischen beiden Werken sang Irmgard Seefried drei Strauß-Lieder: ein freundlich-festliches Programm ohne Problematik, in buntem Kostüm und glitzerndem Klang schwelgend und dem Genius des Gefeierten angemessen.

Enrico Mainardi war in drei Konzerten zu hören. An einem Soloabend spielte er die Suiten Nr. 2 und 3 von J. S. Bach, das bereits erwähnte Konzert für Violoncello und Orchester op. 104 von DvoMk und das Konzert für Violoncello und Orchester von Boccherini (vom Wiener Kammerorchester unter Franz Litschauer begleitet). Der Celloton Mainardis ist, bei aller sinnlichen Schönheit, gemessen und rund, sein Ausdruck von klassischer Mäßigung und zurückhaltend. Sehr schätzenswerte Eigenschaften, die naturgemäß dem Vortrag Bachs und Boccherinis mehr zustatten kommen als dem slawisch-romantischen Stil Dvoräks.

Vasa P f i h o d a ist der belcanto-Künst- ler unter den großen Geigern. Er verfügt von allen Gästen, die wir während der letzten Jahre in Wien gehört haben, über die müheloseste Technik und besitzt die zahlreichsten und farbigsten Klangregister. In der Programmgestaltung braucht Prihoda keine Konzessionen mehr zu machen, da er jedes Stück, auch einen klassischen Sonatensatz, in seinen Klangzauberschleier hüllt und in ein Virtuosenstück verwandelt. Doch bleibt bei der Wiedergabe auch des Air von Bach die Grenze des guten Geschmacks immer gewahrt. Stil und Temperament des Künstlers entsprechen am vollkommensten den „Vier romantischen Stücken“ op. 75 von Dvorak. Aber auch der Vortrag von Cesar Francks A-dur-Sonate sowie der g-moll- Sonate von Tartini ließen kaum einen Wunsch offen.

Unter den Wiener Pianisten steht der junge Friedrich Gulda technisch an erster Stelle. In einem Chopin-Abend erwies er sich als wahrhaft berufener Interpret des großen polnischen Meisters. Ohne die geringste technische und gedächtnismäßige Störung bewältigte der junge Künstler ein Riesenprogramm: die Sonate op. 35 b-moll, die 24 Preludes op. 28 und das Klavierkonzert op. 11 e-moll, von den Wiener Symphonikern unter Prof. Rudolf Nilius ganz ausgezeichnet begleitet. Diesem verdienstvollen und erfahrenen Musiker danken wir auch die Bekanntschaft mit der Orchesterfassung des Chopin-Konzerts von Balakirew, der nicht nur ein guter Orchestertechniker, sondern auch ein ausgezeichneter Pianist und leidenschaftlicher Verehrer

Chopins war. Balakirew ließ den Klavierpart selbstverständlich unangetastet, hat aber die Begleitung thematisch belebt und farbiger, kontrastreicher und damit wirkungsvoller gestaltet. Es ist anzunehmen, daß sich diese Fassung nach ihrer erfolgreichen Erstaufführung in unseren Konzertsälen einbürgern wird.

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