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Am Ende ihres Lateins?

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Wollte man die Eindrücke von der vergangenen „österreichischen Pastoraltagung“ etwas salopp zusammenfassen, könnte man es mit dem Satz tun: die Kirche ist in der Jugendarbeit am Ende ihres Lateins. An diesem Fazit ändert die dreitägige konzentrierte Bemühung von über 500 Theoretikern und Praktikern der Jugendarbeit, Priestern und Laien, „Funktionären“ und Jugendlichen, Bischöfen und Nonnen aus Österreich, der BRD, der Schweiz, der DDR, der CSSR, aus Polen, Ungarn und Jugoslawien nichts.

Daß die Zeit der Rezepte vorbei ist, wußte man schon vor der Pastoraltagung, das wußte man nicht zuletzt seit dem gleichfalls vom österreichischen Pastoralinstitut im Februar 1975 im oberösterreichischen Bildungshaus Schloß Puchberg veranstalteten Symposion über „Leitlinien kirchlicher Jugendpastoral“. Und so liegt der Schwerpunkt heute auf Analysen der Situation, auf Fragen und auf „Leitlinien“, an denen kirchliche Jugendarbeit sich entlangtasten könnte.

„Zwischen Kirche und Gesellschaft“ steht nach Meinung des Referenten Zulehner die Jugend. In Fragen nach Sexualität und Liebe, Macht, Autorität und Freiheit sowie Eigentum kristallisiert sich für junge Menschen die Sinnfrage und suchen sie nach Antworten. Anders als in vergangenen Zeiten, in denen eine einheitlich „christentümliche“ Gesellschaft — Zulehner grenzt „christentümlich“ deutlich von „christlich“ ab — einheitliche Antworten gab, findet sich der junge Mensch heute auf einem „Jahrmarkt der Weltanschauungen “.

Auf die von Zulehner konstatierten Spannungen, die aus dieser Situation folgen, gibt es vier typische Lösungsversuche: Auszug aus der Kirche und Anpassung an das „Lebenswissen“ im Raum der Gesellschaft oder Auszug aus der Gesellschaft und „Flucht“ in den (abgeschlossenen) Raum der Kirche — beides Rückzug von der Spannung —, oder die Reduzierung der Spannung durch kritische Auseinandersetzung mit kirchlichem öder gesellschaftlichem Lebenswissen. Wer sich kritisch mit dem Lebenswissen der Kirche auseinandersetze — Zulehner verwies auf die „Frauenberger Resolution“ der KSJ zu Sexualfragen und die „Grundsatzerklärung“ der KAJ —, stehe eindeutig in der Kirche. Jugendpastoral wird in dieser Sicht als Hilfe für den jungen Menschen verstanden, sein Leben — und vor allem die genannten Zentralfragen — aus der Jesus-Tradition zu bewältigen.

So bestechend diese Analyse scheinen mag, dürfte sie doch in einem Punkt nicht zutreffen: der durchschnittliche Jugendliche findet sich subjektiv nicht in einer Spannung „zwischen Kirche und Gesellschaft“ mit jeweils verschiedenen Ansprüchen und Angeboten, sondern allenfalls auf dem „Jahrmarkt der Weltanschauungen“, auf dem kirchliche Angebote zur geglückten Lebensbewältigung unter zahlreichen anderen (und vielen stärkeren) bloß „vorkommen“.

Nur ein Ernstnehmen der gegebenen Situation bedeutet es, wenn darauf verzichtet wird, die Jugend auf ein fixiertes Menschenbild — und sei es ein christlich etikettiertes — zu erziehen. Günter Rombold, Philosoph an der Linzer Philosophisch-Theologischen Hochschule, nennt Erziehung zur Mündigkeit als Ziel der Jugendpastoral: zur Fähigkeit, selbst zu entscheiden und den eigenen Weg zum eigenen Ziel zu gehen. Das muß natürlich auch enthalten: Erziehung zur Kreativität, zur Fähigkeit, anderen Menschen zu begegnen; das heißt auch Einbindung der Sexualität in die gesamte Person, Bereitschaft zum Engagement, Mut, sich auch selbst in Frage zu stellen. Wie Christusbilder und „christliche Menschenbilder“ legitimerweise verschieden sind, so kann auch christliches Engagement in seinen konkreten Verwirklichungen verschieden sein. Das „spezifisch Christliche“ ist jeweils der Bezug zu Christus.

Die Moraltheologie hat an der weitgehenden Ratlosigkeit gegenüber Jugend und Jugendarbeit teil, zumindest die traditionelle Moraltheologie. Aus der Spannung zwischen überkommenen Forderungen und dem oft unreflektiert und schlechten Gewissens empfundenen Wunsch nach Anpassung ist bisher wenig Fruchtbares und kaum Konkretes entstanden: Appelle verhallen unbefolgt, disziplinare Folgen nach unkonventionellen Äußerungen bei Moraltheologen anderer Länder lassen manchen lieber schweigen, und neue, auf einer seriösen Exegese fußende Ansätze zu einer moraltheologischen Theorie als Hilfe für die Praxis sind noch allzu selten.

Die Ratlosigkeit ist weitgehend, aber sie ist nicht vollständig, und zwar sowohl in der Praxis wie in der Theorie. Überall dort, wo Seelsorger sich wirklich um die Jugend und ihre Anliegen mühten, war Leben — auch wenn das von kirchlichen wie auch staatlichen Obrigkeiten nicht immer nur mit Wohlgefallen verfolgt wurde. Auch in der Theorie zeichnen sich einige wenige Fixpunkte kirchlicher Jugendarbeit ab, Leitlinien, an denen sich die Praxis entlangtasten könnte. Bei der österreichischen Pastoraltagung war es einmal mehr „Jugendbischof“ Weber, der sie deutlich nannte: die unaufgebbare Sakramentalität der Kirche, damit im Zusammenhang die Notwendigkeit des Priesters und nicht allein des Funktionärs, Gebet und Anbetung, eine Sicht der Glieder der Kirche, auch der jungen Glieder der Kirche als Subjekte, nicht zunächst oder nur als Objekte der Seelsorge.

Für die Praxis bedeutet das dauerndes Gespräch, institutionalisierten Dialog — wobei Dialog auch wirklich Dialog meinen muß, in dem alle Beteiligten etwas beitragen, etwas annehmen und — nötigenfalls — auch „nachgeben“. Weber nannte den Horizont, unter dem all das geschehen müßte, der für alle gilt, die heute in Wort und Tat Christen sein wollen: die Säkularisierung, unter der alle, Erwachsene wie Jugendliche, gläubiges Leben als Aufgabe haben. Eine „neue Solidarität“ in der Kirche — damit müßte den Problemen begegnet werden: eine Solidarität, die es jedem Glied der Kirche, und sei es ein Bischof, unmöglich macht, sich von einem anderen Glied der Kirche, und sei es ein Mitglied der KSJ oder der KAJ, zu distanzieren — und umgekehrt.

Der Stein der Weisen wurde bei der Pastoraltagung nicht gefunden. Wäre er gefunden worden, wäre das wohl ein Alarmsignal; denn wahrscheinlich gibt es ihn nicht (mehr). Aber ein paar Steinchen wurden gefunden, die hilfreich sein könnten. Dazu zählt etwa der kluge und menschliche und gewiß christliche Satz, den ein erfahrener Jugendseelsorger in einer so delikaten und heiklen Problematik wie der Sexualbeziehungen vor der Ehe in einem der Arbeitskreise sagte: „Das Maß der Liebe ist auch das Maß der Intimität.“ Solche Sätze zwingen dazu, das eingangs gezogene Fazit, die Kirche sei am Ende mit ihrem Latein, zu ergänzen: sie lernt, nicht ohne Erfolg, die Sprache der Jugend. Die Sprache der Gegenwart und der Zukunft — und damit eine nicht weniger christliche Sprache als Latein.

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