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Das Prosaische der Poesie

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I. Alles auf der Welt hat seine Zeit, • manches sein Jahr, und etliches seinen Tag. - Das erste belegt der Prediger (vgl. Koh 3,1—15), das zweite im Augenblick das Kind, und das dritte wird schließlich (u. a.) durch die Lyrik belegt, von welcher im folgenden anläßlich des Tags der Lyrik die Rede sein soll, und zwar in prosaischer Form.

Wäre von der Lyrik in lyrischer Form die Rede, so gälte es zum Beispiel, den Tag der Lyrik unter dem Aspekt des Feierns zu betrachten und darzustellen: der Tag der Lyrik wäre der Feiertag des Lyrik, und zwar -in aktiver wie passiver Hinsicht. Die Lyrik würde feiern und würde gefeiert.

Zum Unterschied vom Tag der Prosa (den es nicht gibt) wäre der Tag der Lyrik, lyrisch betrachtet, ein einziges Feiern und Gefeiertwerden. In allen Massenmedien und in allen Minderheitenmedien besänne man sich auf die Lyrik: insbesondere auf ihr Vorhandensein, auf ihre Schönheit und auf die Wichtigkeit ihrer Existenz, die sie den Rest des Jahres bescheiden und hintergründig fristet, hoch- und in Ehren gehalten einzig von einem kleinen Häuflein Getreuer (und ähnliches mehr).

Hier jedoch ist ausdrücklich nicht in lyrischer Form, sondern in unfeierlicher Prosa von der Lyrik die Rede, ja das Augenmerk wird ausdrücklich auf das Prosaische an der Lyrik gelegt.

nProsaisch an der Lyrik ist zum • Beispiel, daß sie nicht aus sich selbst heraus besteht, sondern zunächst einmal geschrieben werden muß. Selbst die unsterblichsten Verse (zum Beispiel „Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Ely-sium“ oder „Dein ist mein ganzes Herz“) existierten nicht von Anbeginn, sondern mußten irgendwann einmal geschrieben werden und könnten grundsätzlich auch ganz anders lauten oder gar (man stelle sich vor!) gar nicht geschrieben worden sein!

Unverschämt und neugierig, wie er nun einmal ist, fragt sich der Mensch angesichts der Lyrik, wieso es eigentlich zu so etwas wie Lyrik kommt. Warum sondern (um mit dem frechen Kurt Tucholsky zu sprechen) manche Menschen in bestimmten Fällen Lyrik ab?

Man kann auch so fragen: Was ist, wozu schreibt und zu welchem Ende liest man Lyrik?

mErstens einmal: Was ist Ly-• rik? - Die einfachste Antwort auf diese einfache Frage lautet: Schwierig.

Lyrik ist schwierig. Das sagt a) der Leser, wenn er an Paul Celans Ge-

dichtgebilde denkt und sie mit Adalbert Stifter vergleicht, b) der Dichter, wenn er daran denkt, wie er um den richtigen Ausdruck ringt oder nach einem Reim auf „Mensch“ sucht, und das Ganze mit dem lustbetonten Hinschmieren einer Polemik vergleicht, und c) der bisher noch nicht erwähnte Vermittler zwischen den beiden, der in der Gestalt des Buchhändlers oder in Gestalt des Verlegers auftreten kann, in beiderlei Gestalt jedoch gleichfalls behauptet, Lyrik sei schwierig, darunter allerdings schwer, verkäuflich versteht. i .i fUrworte haben bekanntlich einen Gegensinn: Lyrik ist leicht, wird der Leser sagen, wenn er sich erinnert, daß er, ehe er sich über so schwere Brocken wie Karl May oder Johanna Spyri hermachte, sich an Büschs Max-und-Moritz- Versen und Dr. Hoffmanns Struwwelpeter-Reimen erfreute; und der am Bleistift kauende bzw. an der Schreibmaschine kauernde Schriftsteller wird sich erinnern, wie unglaublich leicht es ihm seinerzeit fiel, seine pubertären Weltschmerzen und seine pubertären Verliebtheiten zu Papier zu bringen.

Und der Verleger bzw. der Buchhändler? Auch er wird sich an manche Lyrik erinnern, mit der er leicht sein Geschäft machte, aber er wird nicht verraten, wie groß es war, sondern effektvoll und idealismusbewußt über die schwierige Lyrik jammern.

ITT Prosaisch, allzu prosaisch XV wäre es, sich die Frage nach dem Grund, aus dem die Dichter schreiben, zu leicht zu machen, und sich mit einseitigen Auskünften zu begnügen, wie etwa dieser: Lyrik werde geschrieben wegen eines dringenden (zumeist neurotischen) Bedürfnisses ihres Autors nach Mitteilung; der Autor schrecke nicht davor zurück, den Leser zur Bewältigung seiner privaten Probleme zu mißbrauchen, wenn nicht gar durch die Veröffentlichung seiner Lyrik Therapiekosten zu sparen (bzw. im Erfolgsfall sogar noch zu verdienen); - und im Extremfall erlebe der frühkindlich frustrierte und lebenslänglich ungeliebte Dichter es noch als die Zärtlichkeit, die er eigentlich wollte, wenn sich Germanisten und dgl. mit seinen Produkten abgeben.

Die einzige Antwort, die der Frage nach dem Warum und Woher der Lyrik wirklich gerecht wird, ist eine Tautologie: Die Dichter dichten, weil sie dichten; sie haben gar keinen bestimmten Grund, sie tun es ganz einfach. Um nicht zu sagen: täten sie es aus einem bestimmten Grund, käme gar keine richtige Lyrik heraus. Die Rose ist schließlich auch ohne Warum und blüht, weil sie blüht.

Basta.

VDem frei und verfügbar ver-• strömenden Schreiben von Lyrik entspricht ein ebenso freies und unverfügbares Lesen von Lyrik. Der Leser, gelegentlich auch Rezipient oder Konsument genannt, kann auch nicht genau sagen, warum er eigentlich liest, was er liest, und was ihm das gibt. Das heißt: natürlich könnte er es sagen, aber es führt zu nichts. Er macht Gebrauch von der Lyrik, weil er eben Gebrauch macht. Basta.

Stellen wir uns die Sache doch bildlich vor: Ein Knabe reitet eilig einher, um einer Kaiserin auf ihrem Schloß j ein Geschenk zu überbringen; es handelt sich um ein kostbares Instrument, gefertigt aus dem Horn eines Elefanten, mit Gold, Perlen, Edelsteinen, Einlegearbeiten, Silber und Glocken geziert und geschmückt.

Der Knabe ist nur der Überbringer, das Geschenk stammt von einer sogenannten Meerfei, aber der Knabe weiß die Gebrauchsanweisung für das Instrument: „Dies ist des Horns Gebrauch“, erklärt er der Kaiserin: „Ein Druck von Eurem Finger, und diese Glocken all, sie geben süßen Schall, wie nie ein Harfenklang und keiner Frauen Sang, kein Vogel obenher, die Jungfraun nicht im Meer nie so was geben kann.“

Da ist schon nichts mehr prosaisch am Wunderhorn des Knaben, es sei denn der Knabe selber, der in unro-mahtischer Zeit seine Vermittlerfunktion nicht mehr auf schnellem Roß, sondern per Post, Bahn und Lastwagen der Verlagsauslieferungen erledigt und was des Gleichnisses noch mehr auszuschmücken wäre. Ein solcher Knabe, schon längst kein Knabe mehr, sondern vom Idealisten zum Geschäftsmann gemausert, würde er so etwas wie den Tag der Lyrik erfinden?

TTT Das Prosaischste an der Ly-V X rik ist, daß sie, selbst sie, die um ihrer selbst willen Blühende, es offenkundig nötig hat, vermarktet, gehandelt, unter die Leute gebracht zu werden.

Wäre nämlich der Tag der Lyrik noch nicht erfunden, so müßte man ihn keineswegs erfinden! Der Lyrik zuliebe ganz bestimmt nicht. Denn sie hat ihn nicht nötig, sie blüht auch so, wie sie blühet, sie feiert ohnehin pausenlos. Ihr, der Lyrik (wir wissen: sie ist eben ein bißchen schwierig!), könnte ein Tag der Lyrik im Grunde gestohlen bleiben; sie pfeift auf ihn.

Erfunden werden müßte der Tag der Lyrik hingegen, falls er es nicht ohnehin schon wäre, um anderer Gründe willen als um der Lyrik willen. Nicht für die Lyrik, sondern für das Leben feiern wir ihn: den Tag der Lyrik.

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