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Denkbar: Von der Meß- zur Wortkirche
Johannes Paul II. wisse sehr wohl, daß die Alternative zur Auffüllung des Priesterreservoirs durch verheiratete Priester und ordinierte Frauen eine Kirche sein könne, „die wesentlich weniger von der Gegenwart des Amtsträgers und damit von der Eucharistie geprägt ist und mehr von der Wirklichkeit gläubiger Gemeinden, die vor allem die Botschaft verkünden und Eucharistie als (vielleicht selteneres) Festmahl feiern."
Diese interessante Auffassung vertrat der weitum bekannte österreichische Jesuitenpater Johannes Schasching von der Gregoriana in Rom, der kürzlich in Österreich mehrere Vorträge hielt und vor der Arbeitsgemeinschaft katholischer Journalisten Wiens vom Pontifikat des Polen-Papstes ein -
,, Eine Enzyklika gegen den Kommunismus wird es von diesem Papst nicht geben.
insgesamt recht positives - Bild zeichnete.
Eine Hauptsorge des regierenden Papstes sei die Reinerhaltung der Lehre. Jede Säkularisierung im Sinne einer Anpassung an Zeit und Welt berge für ihn die Gefahr, daß Glaubensund Sittlichkeitsgebote nur noch unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit formuliert würden. Deshalb dränge er auf absolute Prinzipientreue und nehme dafür auch einen weiteren Rückgang in den Priesterberufungen in Kauf, auch wenn es sein erstes Anliegen natürlich sei, diese Zahl durch Gebet und Opfer wieder zum Steigen zu bringen.
Schasching gab zu, daß die eingangs aufgestellte These einer zunehmenden Akzentverlagerung von der „reinen Meßkirche zur Priorität des Wortes" eine Annahme sei, die in der „Grauzone" vorläufig unbeweisbarer Vermutungen liege.
Eine solche Akzentverlagerung würde nach Auffassung des Redners die katholische Kirche naturgemäß der evangelischen näherbringen, doch wäre dies ebenso ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt wie eine wachsende Entfremdung mit den Protestanten wegen der Betonung des Marianischen durch Johannes Paul II.
Letztere entspringe ebenso wie sein häufiges Auftreten in Massenaudienzen, bei Reisen und im Fernsehen dem Bestreben des Papstes, dem von Theologen überstark intellektualisierten Glauben, der Reduzierung der Kirche auf eine Summe von Dogmen, Riten und Gesetzen, wieder durch Hervorkehren einer emotionalen Komponente entgegenzuwirken.
Auch die demonstrative Rückbesinnung auf seine polnischen Erfahrungen entspringe nicht nur persönlichem Erleben, sondern der Überzeugung des Papstes, daß Polen eine Art „Speerspitze des Christentums in Osteuropa" und das Auftreten der Katholiken in Polen beispielhaft für das Verhalten in anderen kommunistischen Ländern sein könnte.
Konkret: Johannes Paul II. wolle beweisen, daß ein weltliches Regime zwar Macht erringen und erhalten, nicht aber die Menschenmassen mit sich reißen könne. Die Seele Europas müsse christlich sein und die Christen, die um ihre geistige Kraft wissen, brauchten sich auch in totalitären Staaten nicht als Katakombenexistenzen fühlen: „Durch ein offenes Auftreten, durch ihr ganzes Verhalten können sie gewissermaßen die Strukturen totalitärer Systeme menschlich und bewohnbar machen."
Das sei ihr wahrer gesellschaftsver-ändernder Auftrag, und seiner Verwirklichung gelte die Sorge des Papstes -nicht einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Marxismus: „Eine Enzyklika gegen den Kommunismus wird es von diesem Papst nicht geben."
Auf gesellschaftliche Strukturveränderungen ziele Johannes Paul II. auch in Lateinamerika hin, führte P. Schasching aus. Deshalb sei es völlig falsch, ihm vorzuwerfen, er sehe nur den Einzelmenschen, individualisiere den Glauben und unterschätze gesellschaftliche Strukturen.
In Lateinamerika heiße die klare Alternative auch in Papstsicht: entweder Änderungen auf gewaltlose, dem Evangelium gemäße Art - oder die Revolution der Gewalt, die immer neue Gewalt gebären müsse.
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