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Ostpolitik gerechtfertigt

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Die Marginale eines Kommentators, zehn Minuten nach dem Abschied Papst Jan Pawels von Staatspräsident Henryk Jablonski, der Pontifex habe innerhalb von neun Tagen „ein komplettes Programm vatikanischer Ostpolitik“ entwickelt, war ebenso gut gemeint wie falsch, gibt es doch keine generelle Doktrin, die für „alle Staaten der Welt“ Geltung beansprucht, gleich einem westlichen Reisepaß. ■

Die gesellschafts- und staatspolitischen Elemente einer religiösen Visite, deren Faszination alle erfindbaren journalistischen Superlative mobilisiert, entsprachen jedoch dem pastoralpolitischen Konzept des designierten Kardinals und Prostaatssekretärs Agostino Casaroli: um des Heiles der Seelen willen in einem freundlichen Gesprächsklima Gemeinsamkeiten zu definieren, die als Basis konkrete Sachverhandlungen dann und wann ermöglichen. Und dies in einem „sittlich, anspruchsvollen und folgerichtigen Verhalten“, als welches man mit dem zweiten Mann im Vatikan Politik bezeichnen sollte.

Was durfte man in diesem Sinne vor dem Besuch erwarten? Zunächst eine Bestätigung zeitgeschichtlich noch immer umstrittener Verfahrensweisen seit Pius XI. bis Paul VI.; sodann einen respektablen Freiheitsraum des Kultes, einen relativ geräumigen Bereich der unbehinderten Verkündigung und schließlich einen eher bescheiden Zugang zur Freiheit des christlichen Lebens.

Fernwirkungen auf den viel zitierten „monolithischen Block des sowjetischen Imperiums“ fallen nicht ins Kalkül, denn Polen ist nicht Ungarn, Warschau nich^ Prag und der Jasna Gora nicht Zagorsk. Erwarten durfte man den Tag der Ernte aufrichtigen diplomatischen Engagements päpstlicher Emissäre, zusammengesetzt aus konkreter Folgerichtigkeit, menschlicher Wärme und kluger Höflichkeit.

Der Papst hat diese Garben schon am Pfingstsonntag im Warschauer Belvederepalst mit souveräner Sicherheit in die Scheunen der Kirche eingebracht. Verdächtigungen westeuropäischer Kritik, der Heilige Stuhl hätte die Märtyrerkirche des Pius-Zeitalters verraten, zerflossen in der Glut dieses polnischen Ereignisses.

Zu erwarten waren auch die eiserne Resistance der marxistisch-polnischen Parteidoktrin, der müsam unterdrückte Stolz polnischen Patriotismus' auf den Ruhm des kleinen Landsmanns, der's zum Papst gebracht hat, und der Versuch, denselben vor außenpolitischen Wägelchen zu spannen, die gegen den Westen ziehen.

Was wurde während der Visite des Papstes deutlich?

1. Das Akzept des Papstes auf die machtpolitischen Strukturen und Wirklichkeiten eines Ostblocklandes, dessen Protokoll (und Realität) dem Ersten Sekretär des ZK absoluten Vorrang zuerkennen. Der entscheidende Dialog, dessen Charakter Wiens Weihbischof Helmut Krätzl in einem TV-Club-Gespräch apostrophierte, betrifft Edward Gierek, den Chef der Partei.

2. Das Thema des politischen Gesprächs kreist um jene juristisch faßbaren Werte, die in Helsinki und Belgrad östliche Euphorien so tief ernüchterten: um die Würde des Menschen, um seine Rechte, zu denen jenes auf Religionsfreiheit zählt, sei es gelegen oder ungelegen.

3. Eine Kirche, die keine Privilegien vom marxistisch-ideologisierten Staat verlangt, mobilisiert die physikalisch nicht meßbaren Kräfte der Ubernatur, der Gnade, des Gebetes, allzumal aus dem eucharistischen Opfer und der Verehrung jener Frau, die Polens Königin auch heute ist. So ereignet sich die intensivste Konfrontation des Oberhauptes der Universalkirche mit der unsichtbaren Gewalt atheistischer Doktrin auf jener spirituellen Ebene, deren Ordnungsfelder sich jeder Miliz entziehen.

4. Die Kräfte des Geistes, der Freiheitsraum der Religion, symbolisiert in den innigen Gebeten des Papstes, manifestieren sich ihrerseits im menschlich, ja gesellschaftspolitisch faßbaren Bereich: im Slawentum, das für marxistische Reflexionen ebenso von Wichtigkeit ist, wie es Johannes Paul II. als europäisches Ferment der Weltkirche beschwört; aber auch in der Hoffnung auf die Ökumene, vor allem mit den getrennten Brüdern der Orthodoxie.

5. Und just in jenem Stadium des Besuches, in dem selbst Kandidaten des Warschauer Politbüros theologische Lexika bemühen, um des Papstes geschichtsmächtige Visionen zu durchschauen, verläßt dieser Karol Wojtila den Olymp des supranationalen und supranaturalen Geistes, um sich - wie destruktiv! - im abendlichen Frohsinn mit jungen Menschen anzusiedeln! Sprich: mit Gitarren, Liedern und gemütstiefen Strophen heimatlicher Sänge und Klänge.

Das aber ist neu, verglichen mit allen pastoralpolitischen Erfahrungen mit Casaroli und Poggi, ja selbst Johannes XXIII. und Paul VI. Nicht allein das konkrete Verhandeln um sachlich konturierte Zielvorstellungen erheischt den Respekt marxistischer Kirchenkommissäre. Die Faszination des Heiligen, des Göttlichen, des Transzendenten tut ihre Wirkung: Christus vincit, Christus reg-nat, Christus imperat.

Was wird nunmehr geschehen? Das weiß Gott allein, denn Er ist der Herr des Kosmos wie der Geschichte. Es gibt keine Synthese zwischen Feuer und Wasser, keine „ideologische Koexistenz“ zwischen marxistischem Atheismus und der Frohen Botschaft vom Erlöser-Heiland Jesus. Aber es gibt ein drittes Element, die Erde. Auf dem Boden ihrer Wirklichkeiten könnten des Kremls tief verärgerte Strategen eine „litauische Denkpause“ einschalten und nützen. Doch falsche Hoffnungen, Illusionen und Träume im Verklingen der unvergeßlichen Tage von Polen signalisieren nicht die Zukunft,

Was als Verpflichtung bleibt, das ist im Schatten des sichtbar gewordenen Lichtes die künftige, nüchtern konzipierte, klug überdachte und zielstrebig motivierte Kleinarbeit der „Ostpolitik“ von zwei Jahrzehnten. Ihre Ersinner, Johannes XXIII. und Paul VT., ihr Architekt und seine Mitarbeiter, der neue Kardinal-Staatssekretär Casaroli und seine Mitbrüder im kurialen Bischofsamt, erfuhren in der Pfingstoktav die große Rechtfertigung vor der Geschichte. Eine Erkenntnis, die im Jubel und in der Dankbarkeit für die Begegnungen von Warschau und Gnesen, Tschen-stochau, Auschwitz und Krakau nicht untergehen sollte.

War im Lichte päpstlicher Sorge um dasUberleben der Kirche als Institution die Reise Jan Pawels in seine alte Heimat eine Fahrt ins Ungewisse? Ja und nein. Dienn des Christen Leben ist allemal ein Gang ins menschlich Ungewisse, hinein in die unsichtbare Gewißheit Gottes, der nicht nur in Portugal, so wül's das Sprichwort, auch auf krummen Zeilen gerade schreibt und absoluter Herr der Zukunft ist.

Was aber den Geheimprotokollen der Warschauer Parteiführung fürs nächste ZK verborgen bleiben muß, daß ist der „Vorteü“ des Papstes gegenüber den Verbindungsmännern Moskaus. Die Fußballer bauen in Entscheidungsschlachten auf ihren „Heimvorteil“. Jan Pawel brachte den „Gottesvorteil“ mit ins Spiel, der auch Rankünen und Schikanen spottet.

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