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Der Griff zu alten Mitteln

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Der ist kein echter Armenier, der nicht Christ ist. Sagen die Armenier über sich selbst. Nun haben christliche Armenier Ende Februar in der aserbeidschani-schen Armenier-Enklave Berg-Kara-bach, das sie heimholen wollen, ein entsetzliches Blutbad angerichtet. Seit 1915, dem Jahr des Armenier Genozids durch die Türkei, fühlen sich Armenier als Opfer der Geschichte. Jetzt wollen sie nicht mehr Opfer sein.

Man kann es dem armenischen Volk, das sich schutzlos einer feindlichen Umwelt gegenüber sieht, nicht verdenken. Die alte Schutzmacht, auf die sich das Land über Jahrzehnte hin verlassen mußte, die Sowjetunion, existiert nicht mehr. Es ist verständlich, daß die Armenier so rasch wie möglich ihren Nachbarn klarmachen wollen, daß mit ihnen nicht zu spaßen ist. Das Signal an die Türkei, die im Kaukasus und in Zentralasien künftig kräftig mitmischen wird, ist unüberhörbar.

Die Tragik liegt darin, daß sich Recht niemals mit Gewalt herstellen läßt. »Die Kroaten wissen ein Lied davon zu singen. Die alte Sowjetunion ignorierte die Forderungen Berg-Karabachs und Armeniens geflissentlich. Der nie geförderte Dialog zwischen den Republiken erweist sich als Falle.

Auf beiden Seiten - in Armenien wie in Aserbeidschan - fordert derzeit „das Volk" ein hartes Vorgehen gegenüber dem Feind. Auf jeder Seite wird jetzt einmal zurückgeschossen.

Wieder gibt es auf dem alten Kontinent einen Testfall fürs neue Europa. Wieder einmal wird - weil es keine entsprechenden europäischen Institutionen gibt - der Ruf nach einem UNO-Ein-greifen laut. Wieder einmal mußten Abgesandte der KSZE unverrichteter Dinge aus einem Krisengebiet abziehen.

Im Ernstfall, das zeigt sich am Balkan genauso wie im Kaukasus, in Irland ebenso wie in Moldawien, greift Europa auf alte Mechanismen der Konfliktregelung zurück. Das neue Denken hat auf diesem Kontinent noch nicht gegriffen. Nicht einmal christliche Völker haben die Kraft zu gewaltlosen Lösungen. Der Griff zur Waffe fällt Europäern noch immer leicht. Verräterisch klingt die Ankündigung von Armeniens Präsident Ter Petrosjan, er wäre zu. eine.m bedingungslosen Waffenstillstand bereit. Er wäre, wenn..., die Bedingungslosigkeit ist relativ.

Die Aserbeidschaner schlagen nach der Absetzung ihres bisherigen Präsidenten Mutalibow in Berg-Karabach mit voller Härte zurück. Das ist der Stoff, aus dem Dauerkrisenherde gemacht sind. Europa schaut wieder einmal zu und hört sich verlegen lächelnd an, wie die USA rhetorisch die Welt in Ordnung bringen wollen.

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