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Eriwans 2750. Geburtstag

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Eriwan, das geistige Zentrum des vielgeprüften armenischen Volkes und die Hauptstadt der Armenischen Sowjetrepublik, feierte den 2750. Geburtstag. Die 585.000 Bewohner der Stadt am Fuße des Ararat-Gebirges und am Fluß Sanga glauben mit Stolz, daß sie die älteste, pulsierend-funktionierende Hauptstadt der Erde besitzen. Wie es auch mit dem Alter von Eriwan bestellt sei, gibt es viele andere Gründe, die den Armeniern heute Anlaß zum Nationalstolz böten.

Die Geographen des Altertums nannten Armenien als Naira, das heißt „Land der Flüsse“. Die Geschichte des Landes begünstigte gar nicht das Aufblühen der historischen Legenden. Im 4. Jahrhundert begannen die unendlichen Verfolgungen der Armenier, deren Historie nur mit der roten Tinte der Geschichte, mit Menschenblut, geschrieben wurde. Südlich vom Kaukasus wüteten viele Eroberer, die gar nichts unterlassen hatten, um die Armenier vollkommen auszurotten. Nach den Reiterhorden der iranischen Parther kamen die byzantinischen Griechen, bald die erbarmungslosen Araber, nach ihnen die gewalttätigen Türken, schließlich Stalins Folterknechte. Es ist nur 53 Jahre her, daß das alles übertreffende türkische „Herrenvolk“ eine Million Armenier kurzerhand ausgerottet hatte und den folgenden roten und braunen Liquidatoren den praktischen Weg zeigte, wie man ganze Völkerschaften loswerden kann. Kaum zu glauben, aber die Armenier haben trotzdem bis heute als eine Grundeigenschaft ihres Volkscharakters die naive Gutmütigkeit und die hdntergedankenlose, unkomplizierte Freundlichkeit bewahrt. Und noch etwas: ein gesundes, dominierendes Humorgefühl 1

Die Armenier lieben ihren Magen. In der Hauptstadt halten manche renommierte Restaurants, wie der „Ararat“ zum Beispiel, die ganze Nacht hindurch offen und servieren frische, warme Speisen. Niemand braucht um vier Uhr nachts hungrig schlafen gehen, mindestens ein Schaschlik wird ihm vorgesetzt. Dem fremden Besucher wird eine frisch-fröhliche Gebrauchs- bzw. Verzehrungsanweisung mitserviert. Selbst der weltberühmte Chefkoch Anatolij Dava-bjan, der auch für die Sowjetolympioniken kochte und früher die Küche des Sowjetpavillons an der Weltausstellung in Montreal kommandierte, wofür er eine Goldmedaille für Eriwan kassierte, kommt höchst persönlich zu später Nachtstunde zum Tisch, um den ortsunkundigen Gast in die Schaschlikgeheimnisse zeremoniell einzuweihen: Die gebratenen Lammfleischstückchen müssen zwischen zwei Lavasscheiben — armenisches Nationalbrot — gelegt werden, dazu gewürzte, gebratene grüne Paprika, Zwetschken und andere Zutaten, vor allem verschwenderisch Pfeffer, Paprika und etliche Gewürze vermengen; dann müssen die gefüllten Lavas geschickt zusammengerollt werden, wie ein Strudel, den man in der Hand balancierend essen muß. Armenien ist heute in der Sowjetunion das Musterländle für alle Südfrüchte. Die kernlosen armenischen Trauben — „vinograd bez kostot-schki“ genannt — sind eine weltbekannte Spezialität geworden, deren hoher Zuckergehalt beispiellos ist.

...nicht vom Brote allein

In dieser uralten Stadt tragen fast alle Gebäude die Merkmale der reichen Kulturerbschaft an sich. In früheren Jahrhunderten hat der christliche Glaube in Armenien eine hervorragende Rolle gespielt und entsprechende Spuren hinterlassen. Eine reiche Auswahl von altertümlichen und mittelalterlichen Baudenkmälern zeugt von der Reife der Baukunst der alten armenischen Staaten. Die uralte Nationalbibliothek Ma-tenadaran hütet Hunderte von wertvollsten Manuskripten und schriftlichen Dokumenten, dde älter als tausend Jahre sind. Die Schätze des Schriften- und Buchmuseums bezeugen, daß schon im frühen Mittelalter zahlreiche historische geographische und literarische Werke in armenischer Sprache erschienen waren. Das armenische Heldenepos „David Sasuni“ ist ebenfalls hier ausgestellt, in dem der ewige Unabhängigkeitskampf der Armenier ergreifend geschildert wird.

Armenien hat, trotz der vielfach dezimierten, niedrigen Zahl seiner Bevölkerung, verhältnismäßig viele Berühmtheiten der Kulturwelt in den letzten Jahrzehnten geschenkt Wer kennt nicht den Komponisten Chatschaturjan, den symphonischen Edelschleifer der armenischen Folklore, oder Ambarcumjan, den berühmten Astronomen? Sarjan ist der Spitzenreiter zwischen den neuzeitlichen Malern. Zara Doluhanowa und Goar Gasparjan sind leuchtende Sterne am internationalen Opemhimmel. Der jetzige Schachweltmeister Tioran Petrosjan ist ebenfalls ein Armenier. Besonders die Ringkämpfer waren und sind bei den olympischen Wettkämpfen immer an der Spitze. „Kein Wunder“ — bemerkt ein hoher Funktionär mit einem volkseigenen, hinterlistigen Lächeln in der verzogenen Mundwinkeln — „War ja nicht unsere ganze Historie ein Ringen mit dem Schicksal?!“

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