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Stürme über dem Athos

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Ewig stürmen die Wogen gegen den vom Zorn der siegreichen olympischen Götter versteinerten Giganten des Athos, mit seinem Blankhaupt und dem faltenlos, Hunderte von Metern niederwallenden Marmormantel,

Ewig toben die Winde um das himmelhohe Mal am Ende der westlichen Welt: unverwandt schaut seine Stirn aus gegen Osten, über die ewig zerwühlte und ewig blauende Unruhe der Ägeis.

Heftiger als die Stürme der Luft umrasten die Stürme der Zeiten das Geklüft, das vom unteren Saume des Marmormantels noch dreitausend Fuß abstürzt, zerbröckelnd in zyklopischen Blöcken.

Gegen die westliche Welt setzte der gewaltige Herrscher des Ostens, Xerxes, zum Sprung an: eine Flotte, wie sie die Welt noch nicht gesehen, durchfurchte die Ägeis.

Die Küstennähe, in der sie sich aus Vorsicht hielt, wurde ihr zum Verhängnis: der alte Gigant ergrimmte mit seinen wildesten Stürmen! Das Krachen der Schiffsleiber an seine klippengegürteten Flanken und die Todesschreie der Versinkenden pflanzten sich im Echo fort bis an die Ohren des schon im Vorgefühle des Sieges zum Triumphzuge rüstenden Großkönigs.

Ein Unstern hatte die Perserzüge eingeleitet; ein Unstern waltete darüber und brachte den Flug des ersten Feuerbrandes aus Osten gegen den Westen zum schließlichen Verlöschen. Dankte Hellas, dankt das Abendland seine Rettung dem Sturm am Athos, der die Griechen warnte und ihnen Zeit schenkte zu gerüsteter Abwehr?

Ein anderer Sturm aus Sonnenaufgang kam mit der Zeitenwende. Er begann mit dem Säuseln der Botschaft vom „Friedensreich“, der Botschaft vom Frieden mit Gott.

Diesmal — es war nach der Ausgießung des Pfingstgeistes: so erzählt die Legende der östlichen Kirche — war es wieder ein Sturm, der die Barke mit der „Panajia“, der Mutter des Auferstandenen, und mit Johannes, dem späteren Seher der Apokalypse, auf der Suche nach dem ersten Missionsziel an den Felskegel des Athos verschlug. Und der Fels zerbrach nicht die zerbrechliche Barke, sondern die unsichtbare Macht des Urvaters der christlichen Mystik zerbrach die Starre des Steins, und die in bereiteten Herzen entzündete Glaubensinbrunst erwartete das Ende der Welt.

Mit dem Einzüge der „Allerheiligsten Frau“ verschloß der „Heilige Berg“ seine Pforten den Füßen der irdischer Liebe, irdi“ Schern Mutterglück Unterworfenen. So kam es zu dem Frauenverbot, das besteht bis auf den heutigen Tag.

Seltsamer, unergründlicher Sturm der Seele des Ostens, der in den ersten Jahrhunderten des Christentums den Athos-Gipfel umgeisterte und den uralten Götterberg mit dem Tempel des heiteren Licht-bringers Apollo, zum Agion Oros, zum „Berge der Heiligen“ wandelte! Wie ein stürmendes Heer klomm die Schar der Anachoreten in immer wildere Einsamkeit, in immer höhere und unzugänglichere Höhlen der zyklopischen Felsenwelt.

Vom 5. Jahrhundert an ist die Weltende-Stimmung verblaßt, die Staatsidee des Gottesreiches auf Erden, der „Theokratie“, in Byzanz ausgebildet. Klosterstädte, die bis heute das Wahrzeichen des Athos bilden, schießen auf dem sanften Ostabfall des langgestreckten Bergrückens, der wie ein riesiges Kirchenschiff mit der Achse nach Norden an den Turm des Gipfels anschließt, inmitten südlicher Üppigkeit und an der Stelle verfallener griechischer Luststädte, in kurzer Folge empor.

Die Kaiser, bis zu den Paläologen des 13. Jahrhunderts überhäufen sie mit immer reicheren Schätzen. Nur der bilderstürmende Widereifer der „syrischen Dynastie“ im 8. Jahrhundert macht eine Zäsur und schafft eine bald wieder überwundene Dürre.

Eines dieser Klöster — auf der von der Natur spröder behandelten, eher düsteren Westseite der Halbinsel — wird die Pflanzschule byzantinischer Prinzenerziehung.

In den anderen glühen die byzantinischen Farben: gold und rot, unter den weltentrückten Augen und Händen namenloser Künstler in den Zypressenholz-Tafeln ungezählter Ikone auf. Köstliches Schnitzwerk für den „Ikonostas“, die Bilderwand, die in der östlichen Kirche den Altar und die auf ihm vollzogene „Wandlung“ verbirgt, und die ebenso subtile Pinselführung in den getuschten Psalterien, zeugen von einem Bienenfleiß: alles bezogen auf die Seelenangst vor dem apokalyptischen „dies irae“, dem Tage des Gerichtes — nur gemildert durch die Versenkung in das Gebet vor der allerheiligsten „Fürsprecherin“, die aber — auf den Bildern — den Menschen nur ihre strengen Züge zuwendet...

Nach den Stürmen des griechischen Befreiungskrieges, mit dem die westliche Welt die erste der vor 400 Jahren an die türkischen Eroberer auf dem Balkan verlorengegangenen Bastionen zurückeroberte, und der in Lord Byron seinen europäischen Sänger fand, wurde der Athos eine selbständige „Mönchsrepublik“.

Erstaunlich genug, die Sultane hatten, trotz der Übernahme des islamitischen Befehls zum Glaubensstreit im Kalifat, nicht nur die Schätze der Athos-Klöster geschont, sondern auch seine weitabgewandten, christlichen Glaubenseiferer. Es waren die Mönche selbst gewesen, die das Pergament unersetzlicher Abschriften aus dem bei ihnen verwahrten antiken, Schrifttum zu Patronenhüben für die Klephten — die damaligen Partisanen — gedreht hatten.

Waren vordem nur bulgarische und serbische Klöster und Siedlungen in wachsender Zahl neben die griechischen getreten, so suchte jetzt in stiller Arbeit die russische Staatskirche eine Art geistlichen Primates über die ostkirchliche Mönchsrepublik zu erlangen. In kasernenartigen Klosterbauten sammelten sich Tausende aus dem unendlichen Räume der russischen Orthodoxie, um die ihrer slawischen Seele wie ihrer Kirche so gemäße mystische Entrückung auf dem Agion Oros zu finden. Kurz vor dem Weltkriege wurde in diesem Zusammenhang viel gemunkelt von einem gefürchteten Rösselsprung des Zaren um das begehrte Konstantinopel herum, auf den Athos-Stütz-punkt. Die Stürme des Krieges stürzten mit dem Zarenreich alle derartigen Absichten, wenn sie, ihm nicht zu Unrecht zugeschrieben waren. Jedenfalls verödeten die russischen Klöster und kirchlichen Prunkbauten dort.

Durch den türkisch-griechischen Frieden und seine Anerkennung seitens der Alliierten wurde der Athos endgültig unter griechische Oberhoheit gestellt, behielt aber eine Art territorialer Autonomie, die sich staatsrechtlich in einem regierenden „Geistlichen Rat“ mit einem Athener Staatsvertreter als Gouverneur, am Sitze des Rates — Kariäs — ausdrückt.

Der neue Friede dürfte in dieser letzten politischen Gestaltung kaum etwas ändern, obwohl sich das ungewisse Schicksal Mazedoniens räumlich dazwirchenschiebt. '“*?“.*'••“ ■' IT-'*5.?*'HiV'

Die moderne Dampfmaschine hat die Gewalt der Sturme auf den Meeren bezwungen, auch wenn ihre Kolben in einem ausrangierten englischen Küstendampfer stampfen, der den gleichen Dienst mit verdoppelter Lebenszeit im Rahmen einer griechischen Linie versieht. Aber auch diese einzige monatliche Verbindung der Außenwelt mit dem autonomen Athos-Gebiet auf dem östlichsten Finger der Chalkidike-Hand benutzt die Nacht zur Umrundung des Felsenkaps, weil sich dann das tagsüber immer aufgewühlte Fahrwasser meist etwas beruhigt. Den Seglern droht unvermindert die alte Klippengefahr!

Die eigentliche Schwierigkeit des Hingelangens liegt heute, oder lag — genauer gesagt, in der Zeit zwischen den Kriegen, von der in den folgenden eignen Erlebnissen die Rede ist — bei den Paßformalitäten. Nur wenigen gelang es, mit der Spezial-erlaubnis des Präsidenten des „Geistlichen Rates“ auch das Visum des griechischen Außenministeriums zu errringen. Ich gehörte dazu, und vermochte den Aufenthalt, dank der Führung durch einen so sprach-wie landeskundigen Reisegenossen, österreichischen Tabakfachmann und Ehrenkonsul in Saloniki, auch wirklich zu nutzen.

Die einzige Landemöglichkeit ist an der westlichen Steilküste zu finden, sozusagen an der Nahtstelle zwischen dem lang hingestreckten Rumpf des Gigantenkolosses und seinem turmartig aufgereckten Gipfelkopf im Süden. Von einer Bucht kann man kaum reden, höchstens von einer Einbuchtung. Unauslöschlich bleibt der Eindruck der fast auf das Deck des kleinen Schiffes herabstürzenden schwarzen Uferwand — viel schwärzer als die umgebende Nacht —j wenn die Maschine zwei Stunden nach Mitternacht zum Ausbooten in den hohen Schwell des Wogenganges stoppt: winzig, wie ein Glühwürmchen entdeckt das Auge nach langem Spähen das „Auge des Gesetzes“ an der Landestelle, den roten Schein aus der an den Felsen geklebten Steinhütte der Zollwächter.

Ein gut gepflegtes Grautier führte im grauenden Morgen mit seinem raschen kurzen Trippekchritt an der Spitze unserer in der Nacht gelandeten Karawane; meistens einheimische Griechen. Mit einem kleinen Schlußtrupp von Fremden zog ich es vor, den steinigen, aber nicht unbequemen Pfad hinter unseren Tieren her anzusteigen.

Der Reiter an der Spitze schien trotz seiner kleinen Statur viel zu schwer für den geduldigen Esel. Das Äußere, auffallend kontrastierend zu dem Milieu, erinnerte an das Theaterbild eines eleganten Bonvivants. Meine Vermutung wurde mit einem liebenswürdigen Lächeln meines Mentors bestätigt: Ja, dies ist der griechische Gouverneur vom Athos, der seinen Posten genau so oft und gern mit den größeren Annehmlichkeiten Athener Großstadtlebens vertauscht, als sich Anlässe zu „unerläßlichen“ Besprechungen mit der Zentrale finden lassen.

Die Liebe ist übrigens, sozusagen, gegenseitig: denn die Schutzherrschaft hat die Mönche der heute so verarmten Klöster zum ersten Male mit dem Institut der Steuererhebung bekannt gemacht, die — besonders bei der damals herrschenden liberalen Richtung in der Regierung — nicht rücksichtsvoller gehandhabt wurde als sonstwo in der Welt.

Also braucht man einen guten Diplomaten zum Verzuckern der bitteren Pille. Diplomat muß er sowieso sein; denn er ressortiert vom Außenministerium: Diplomat und — Junggeselle! In der Tat in diesem Falle ist die letztere Eigenschaft so unerläßlich wie die erstere; denn an diesem einzigen Punkte der Erde würde das bloße Dasein einer Frau — unabhängig von ihren Jahren und von ihren Reizen — zu einem diplomatischen Zwischenfall führen!

Im Reiche der Mönche ist selbst die Vorstellung des Weiblichen verbannt — bis herab zu den Haustieren.

Wenn man den messerscharfen Rücken des Gebirgskammes erklommen hat, ist es, als schritte man in die aufgehende Sonne hinein. Die Kargheit des eben überwundenen westlichen Steilabfalles ist wie mit einem Schwämme weggewischt. In sanften Stufen absteigend entfaltet sich nun vor den kaum genug fassenden Augen die Üppigkeit des Baumwuchses und der Strauchgewächse eines unübersehbaren Gartens mit ausgesprochen südlichem Einsdilag. Edelkastanien und Mispelbäume bilden das Blätterdach; Weinreben, breitblättrige .weitauslangende Feigenarme und dichtverfilzte Haselnußhecken umhegen die zwischen den Walddächern eingebetteten Grüninseln.

Ein silberner Saum, von der trägen Morgenbrandung des flachen Meeres, zeichnet die reichgeschwungene ebenso flache Strandlinie nach. An ihr, wie an einer Perlenkette aufgereiht blinken in der Sonne ein halbes Dutzend größerer und kleinerer Siedlungen. Nicht Badeorte natürlich, wie sie profaner Sinn vermutet hätte, sondern Klostergemeinden! In einer Mulde aber, auf halber Höhe etwa und in der offenen Bauweise einer Landstadt: Karyäs. der Vorort der Athos-Republik, Sitz das regierenden „Geistlichen Rates“ und des griechischen „Staatsvertreters“!

Aus so weiter Entfernung gesehen, wäre man auch da versucht gewesen, an einen parkgeschmückten Kurort zu glauben!

Knapp unter der Höhe hatten wir — für einen Augenblick nur — die seltene Schau auf den weißen stumpfen Kegel des Athos-gipfel erhascht. Und noch einmal leuchtete uns, auf halbem Wege, vom Standorte eines freieren Platzes gesehen, aber diesmal aus unserer nordwärts gewendeten Marschrichtung eine Fata Morgana entgegen: von schmalem Plateau, das steil zum Meere abfällt, und noch Meilen hinter der Hauptstadt gelegen, flimmern und blenden fast den Blick fünf goldene Kirchenkuppeln! Es ist das „Serail“, die leergebliebene Prunkkirche der ehemals so reichen und pamp-liebenden russischen Orthodoxie!

Am vorderen Stadtrand von Karyäs wird abgesessen: so verlangt es die Etikette. Zu Fuß wird das an einer Längsachse orientierte Straßengewirr der Hauptstadt — soll man sagen: Basarstraße? — durchmessen. Was das Gemüt befällt, ist nicht so sehr das Fehlen der Frauen, als das völlige Schweigen jeglichen Kinderlärmes und -lachen! Was nicht fehlt, sind die Läden mit den geschnitzten Erinnerungen. Also doch ein Schielen nach dem Fremden? Wohl nur, daß dabei an die frommen Wallfahrer gedacht war, die zu den verschiedenen wundertätigen Ikonen ihre Seufzer trugen und ihre Hoffnungen.

Irgendwie legt es sich als spinnwebgrauer Schleier über die Sinne, mag auch eine hohe Mittagssonne vom fleckenlosen Blau des Himmels alles zu vergolden scheinen: das nicht fleckenlose Schwarz der schleppenden Gewänder, die beklemmende Stille und eine von ihr begleitete Geschäftigkeit, die so völlig sinnlos wirkt, weil die hier Lebenden den Zweck solcher Geschäftigkeit mit jedem Atemzug verneinen. An einer Ecke kann es sein, daß ein zahnloser, zerlumpter Alter den Fremden, das heißt hier: den Glaubensfremden, mit fanatisch emporgereckten Fäusten nachdroht.

Mit Erleichterung biegt man am Nordausgang der Stadt in einen schon wieder gärtenumgrünten Seitenpfad, wenn man, wie wir, beim einzigen Arzt des Athos,dem „Offizialarzt“ zum Gabelfrühstück eingeladen ist.

Es gab eine Überraschung: es war der Widerspruch in sich, in allem, restlos — nein, unlöslich! Von dem übergepflegten Äußeren des schön- und noch dunkelbärtigen Mannes an, einschließlich der makellosen Soutane, die er, wie eine Galakleidung trug, und der Kopfröhre auf dem vom Nacken heraufgeknoteten ungeschorenen Haupthaar, von kleinen Äußerlichkeiten, wie dem weißgedeckten Tisch mit appetitlich angerichteten Fisch- und Eierspeisen — im Lande der Enthaltsamkeit von feinen Genüssen — über das Doppelstudium unseres Gastgebers: Er vereinte orthodoxe Theologie und moderne Medizin. Jenes Studium in einem mönchischen Seminar der Provinz, dieses an einer kulturellen Weltmetropole, wie Wien, absolviert — von da auch sein gefälliges Deutsch, das den Dolmetscher für unsere interessierten Fragen überflüssig machte — bis zur offiziellen Stellung des Mannes, für die die Priesterweihe die Konzessionder staatlichen Macht an die geistliche war. Man starb zuvor durch Jahrhunderte auf dem Athos ohne Arzt, wie man ohne Arzt gelebt hatte, und — fast — ohne Krankheiten, bis Gottes Allmacht den Büßer zu sich berief! Und dann, am unmittelbarsten berührend und, beinahe, rührend der Widerspruch, die tiefe Spaltung in der Seele des Mannes selbst: daß er als Mediziner tun mußte und zu tun für richtig hielt, was er als orthodoxer Mönch zu verwerfen hatte.

Wir befragten ihn, nach mancherlei Umwegen, schließlich über die Seelenlage des aktuellen Mönchtums, und er diagnostizierte ohne Besinnen: Versteinerung der Ekstase! Da hatten wir eine Kontrapunktik im Ohr, die nicht zu überbieten war.

Am Abend zeichnete sich auf dem schwefelgelben Streif, der am Horizont von der versunkenen Rotscheibe des Tagesgestirns stehen geblieben war, die Silhouette eines gewaltigen Mauervierecks: eines Kastells,- das auch ein Seeräubernest hätte sein können, so geschützt liegt es auf der Strandseite von See her! Vatopädi,' eine der großen Klosterburgen: mehrstöckige Wohnbauten über-wulsten die Schutzmauer, und wenn das einzige, auf der Landseite Einlaß gewährende Doppeltor durchschritten ist, so folgen einander, wie in einem bunten Wandelbild: die Höfe, die Kirchen mit ihren vielen und kleinen byzantinischen Kuppeln, die Brunnenanlagen und — der Schatzturm mit einem goldenen Gral von Kaiser Justinian!

Wer sind wir: Normannen? Kreuzfahrer? Heilsucher von einer kranken Welt? Hier kommt es auf ein paar Jahrhunderte rückwärts oder vorwärts nicht an!

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